MRR beißt wieder

Es gibt viele, die Marcel Reich-Ranicki nicht mögen. Die Gründe sind unterschiedlich, aber meist liegt es an seiner Art, alles runterzumachen, was ihm nicht hundertprozentig gefällt. Früher dachte ich, das wäre nur Schau, privat ist er vielleicht freundlicher, aber das ist nicht so: Als ich mal einige Zeit neben ihm im Auto saß, hörte sich sein Gezausel genauso an, wie im Fernsehen. Der Mann war mir bisher höchst unsympathisch, gleichzeitig hatte ich aber immer auch eine gewisse Achtung vor ihm. Vor allem seine Geschichte als Mitglied des Widerstands im Warschauer Ghetto nötigte mir Respekt ab, weniger seine spätere Arbeit für die stalinistische Geheimpolizei. Aus der wurde er entlassen, weil er mit den ihn umgebenden Menschen extrem arrogant umging. Das ist bis heute sein Markenzeichen.

Nun hat er mal wieder richtig auf die Pauke gehauen: Bei der Aufzeichnung des Fernsehpreises am vergangenen Wochenende sollte er sowohl für sein Lebenswerk, als auch für die Sendung „Das Literarische Quartett“ geehrt werden. Vor ihm wurden noch zahlreiche andere Künstler ausgezeichnet. Als Reich-Ranicki endlich an der Reihe war, brüskierte er den Moderator Thomas Gottschalk. Unter Hinweis auf „den Blödsinn, den wir hier heute Abend zu sehen bekommen haben“ lehnte er die Auszeichnung ab und nahm den Preis nicht an. Direkt vor ihm saßen die Intendanten von ARD, ZDF und RTL, aber niemand von denen traute sich auf die Bühne zu kommen und mit Reich-Ranicki zu sprechen.
Die Kritik an der Qualität des deutschen Fernsehens ist auf jeden Fall berechtigt und dass MRR sie mit einem solchen Paukenschlag übt, sicherte ihm das breite Interesse der Öffentlichkeit. Tatsächlich verflacht das Niveau des Fernsehangebots seit Jahren. Die Comedysendungen sind nicht lustig, die Nachrichten werden immer mehr zu Unterhaltungsshows, richtige Reportagen werden kaum noch finanziert und angebliche Wissenschaftssendungen wie „Galileo“ behandeln am Liebsten Themen wie „die größte Pizza der Welt“, „wie man sich in einem Nobelrestaurant verhält“ oder „Umzugsduell: Bodybuilder gegen Möbelpacker“. Normalerweise spielen Intellektuelle mit, wenn sie mit einem Preis geehrt werden sollen. Ihren Frust schlucken sie runter oder formulieren ihn vielleicht in der FAZ. Reich-Ranicki aber ist nicht normal, er macht den Mund auf, wenn ihm was nicht passt und das hätte man sich auch vorher denken können. Dass es so laut und weit vernehmbar passiert, war zwar nicht vorhersehbar, aber es war gut. Zwar ist kaum zu erwarten, dass sich die Qualität des Fernsehangebots bessert, aber prima, dass es an so prominenter Stelle thematisiert wurde.

Aufzeichnung von Reich-Ranickis Auftritt bei YouTube:

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