Ústí nad Orlicí

350 km. Um des Glaubens willen

Neukölln dagegen ist Partnerstadt des Tschechischen Ústí nad Orlicí, weil von dort Protestanten um des Glaubens willen vertrieben wurden und Friedrich Wilhelm I. sie aufnahm, wohlgemerkt der Urgroßvater des Königs Friedrich Wilhelm III., der genau hundert Jahre später um des Glaubens willen Protestanten bis nach Australien vertrieb. Ob das derselbe Glaube war? Darum ging es bei den verschiedenen Vertreibungen ja gerade. Friedrich Wilhelm I., ein frommer Mann, hat in seinem politischen Testament aufgeschrieben, wie er darüber dachte. Seine Handschrift, eine ausgeschriebene und charaktervolle Schrift, ist gut zu lesen. Seine Rechtschreibung dagegen war eine Katastrophe. Man sieht, dass aus jemandem, der auf der Schule nichts gelernt hat, doch noch etwas werden kann. Zu seiner Entschuldigung muss man sagen, dass er die Schulpflicht überhaupt erst eingeführt hat, und da war es für ihn zu spät.

Wahs die Religion anlanget so bin ich und werde mit Gottes hülfe Reformiret sehlich sterben indeßen bin versicherdt das ein Lutterischer der dar Gottsehlich wandelt eben so guht sehlich werde als die Reformirte und der unter(sch)eidt nur herrühre von die Prediger Zenckereien haltet dehrowegen Reformirte und Lutterahner in geleiche würde tuet sie alle beide Religionen geleiche guht und machet keine differance davor wierdt euch Gott sehgen(en) und werdet dadurch bey alle beide liebe euch erwerben wo es nöhtig ist und es fehle Bauet Kirchen und schuhlen das Gottes heilige wohrt unter euere Regirung mehr und mehr ausgebreit(et) werde da wierdt euch Goht sehgen(en) und euer haus wohll ergehen laßen tuet die Armen guht und laßet in euren Lande keinen armen Noht leiden und helfet so viell als Ihr Könnet davor wierdt euch Gott 10000. feltig wiedergehben.

An alle Consistorien in euere Provincen müßet Ihr scharf anbefehlen das die Reformirte und Lutterahner auf den Kancellen keine Contrawersen tracktieren und absonderlich von der genadenwahl nichts davon t(o)uchiren und sonsten auf den Kancellen nur blohs das reine wohrt Gottes Predigen und Keine Zenckereyen anfangen sondern müßet Ihr immer zu einigkeit der beyden Religionen zu bearbeiten trachten Mein lieber Successor mus die Prediger in beyden Religionen nicht laßen sich in weldtliche afferen mischen den(n) sie gerne in weldtliche Sachen sich mischen und müßen kurtz gehalten werden den(n) die herren geistliche gerne Bepste in unße(r)n glauben agiren wollen den(n) beim Babstum die Paffen alles zu sagen haben.

Wahs die Kaltolische Religion anlangel müßel Ihr sie tolleriren soweit als der westfehlische fride mit sich bringet und die weloische“) Pacta mit derRebublicke Pohlen Jesuwitter müßet Ihr in eure lender nicht dulden sein deuffels die dar KaPable zu viellen Böhses und schedtl: gegen euch und gegen landt und leulhe also müßel Ihr sie nicht dulden unter was Pretex(t) sie sich auch wollen einnisteilen in euer lender

Wahs Berlin anlanget halte ich ein Katlolisch pfaffen der in mein dazu gekauftes haus den Kattolischen Gotlesdinst hellet weill viell Kaltolische Burger und leutte viell da sein bey die Regimenter sein auch viell Kaltolische die müßet Ihr die Hebertet Ihren Kaltolisen Gotlesdinst Permittieren zu hallen und den pfaffen alle Monat bey die Regimenter hinreißen laßen.

Sein Sohn Friedrich II., selbst vollkommen ungläubig, drückte es so aus:

alle Religionen Seindt gleich und guht wan nuhr die leüte so sie profesiren Erliche leüte seindt, und wen Türken und Heiden kähmen und wolten das Land Pöpliren, so wollen wier sie Mosqueen und Kirchen bauen.

Da wurden also aus der Gegend um Ústí nad Orlicí Menschen vertrieben, und Friedrich Wilhelm I. bauten ihnen ein Dorf neben Rixdorf im Süden von Berlin. Sie nannten es Český Rixdorf und sprachen dort noch bis ins zwanzigste Jahrhundert Tschechisch. Nur nach und nach erhielten die Straßen deutsche Namen.„Český“ ist das tschechische Wort für „Böhmisch“, also nannte man das Dorf dann irgendwann Böhmisch-Rixdorf. Es gibt dort inzwischen ein von einem echten Österreicher, möglicherweise einem Nachfahren der Vertreiber, betriebenes Wiener-Schnitzel-Restaurant. Die Schnitzel sind unvorstellbar groß, als ob etwas gut zu machen wäre.

Bei Potsdam gab es übrigens für ebensolche Vertriebenen ein Dorf Nová Ves. Das hieß später Nowawes und heißt heute Babelsberg.

Als Berlin dann viel größer wurde, nannte man den ganzen Bezirk, in dem Český Rixdorf liegt, Rixdorf, und als dem Rixdorfer Bürgermeister Hermann Boddin dieser Name zu dörflich klang, nannte er seinen Bezirk um in Neukölln – der Name war ja frei geworden. Einer seiner Nachfolger schloss dann die Partnerschaft mit Ústí nad Orlicí. Inzwischen hatte man auch begonnen, in Neukölln Moscheen zu bauen.

Aus: Suche nach der Mitte von Berlin

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