Unordnung in Birkenwerder

Der Prinz und der Froschkönig

In Birkenwerder darf man sich nicht beirren lassen. Wenn man mit der Fernbahn weg will, und man sieht am Bahnsteig S-Bahn-Gleise mit der Stromschiene, steht man doch richtig. Hier halten Fernbahnen und die S-Bahn am selben Bahnsteig. Das gehört sich nicht. Die Reichsbahn wusste, warum sie die beiden Systeme getrennt hatte. Was verwandt ist, aber doch unterschiedlich, gehört brüderlich nebeneinander, nicht durcheinander. Auf hundert Berliner Bahnhöfen herrschen klare Verhältnisse, nur hier und in Karow nicht.
Aber in Birkenwerder läuft noch mehr durcheinander. Hier ist der Pfarrer zugleich Monarchist und Prinz und von der Thronfolge ausgeschlossen. So viele verschiedene Züge am selben Bahnsteig – das schafft die Bahn nicht. Diesen Mann will ich kennenlernen, und er empfängt mich im Gemeindehaus. Hier ist es sauber und ordentlich, aber die Möbel und die Bilder an der Wand sind ohne jeden Geschmack zusammengewürfelt. Es könnte auch ein verlassenes, gründlich geputztes Obdachlosenasyl sein. Hier achtet niemand auf Stil, Ausstrahlung oder Behaglichkeit. Hat er das von seinem Vorfahr Friedrich Wilhelm I.?
Ich finde eine konstitutionelle Erbmonarchie ja auch besser als ein System, in dem die Parteien regelmäßig um einen Präsidenten zanken, der nach kurzer Zeit wieder abdanken muss. Ein Thronfolger wird von Geburt an auf die einzigartige, nahezu unmögliche Aufgabe vorbereitet, über den Parteien zu stehen und das Volk zu binden. Seine Familie genießt seit Jahrhunderten hohes Ansehen, verfügt über Bauten und Rituale, um Bürger und ausländische Staatsgäste zu beeindrucken, und der Hof hat Erfahrung, wie man allzu Menschliches nicht nach außen dringen lässt. Es geht ja nicht um einen Menschen wie dich und mich, sondern um eine besondere Funktion.
Nur ist es in Deutschland illusorisch. Eine Mehrheit für die Grundgesetzänderung würde es nie geben, und wenn es sie gäbe, würde es nicht funktionieren: Die Familie Hohenzollern will nach Kaiser Wilhelm II. und seinen teilweise doch recht braunen Söhnen niemand mehr haben. Eine andere Familie, die man seit Jahrhunderten bewundert hätte, ist weit und breit nicht in Sicht. Die ehemals geschätzte Marke Preußen könnte wohl auch kaum auf eine andere Familie übergehen, von den Oraniern vielleicht abgesehen. Die Schlösser sind umgebaut zu Museen, und es würde einen Aufschrei geben, wenn sie nicht mehr besichtigt werden könnten. Es gibt keinen Hof mit den nötigen Erfahrungen.
Aber Prinz Philip Kiril von Preußen, Pfarrer in Birkenwerder, lässt sich dadurch nicht verdrießen, sondern erklärt im NRC Handelsblad, dem Spiegel und Christ und Welt, warum die Monarchie die bessere Staatsform ist und warum er nun eigentlich Kronprinz sein müsste. Und er wirkt in Brandenburg, wo die Menschen im dritten Reich und in der DDR aufgewachsen sind. Das will ich gern verstehen.
Auf seinem Facebook-Bild, dass ihn im Kreise seiner sechs Kinder zeigt, hält eine Tochter einen Frosch auf der Handfläche, der eine Krone trägt. Der Pfarrer ist der älteste Sohn des ältesten Sohnes des ältesten Sohnes des ältesten Sohnes von Kaiser Wilhelm II., dem letzten König von Preußen. Also nicht einfach nur irgendein Ururenkel, sondern genau derjenige, der heute Kronprinz und Prinz von Oranien wäre, wenn die Monarchie nach 1918 nicht abgeschafft worden wäre und wenn sein Vater nicht darüber hinaus das Recht auf den Thron verloren hätte. Sein Kopf ähnelt dem Friedrichs des Großen, und auch sein Schädel ist so überraschend klein, wie man es von der Totenmaske dieses Philosophen auf dem Thron kennt.
Mit den verfassungsrechtlichen Aspekten von Monarchien hat er sich offenbar kaum beschäftigt. Ich erkläre, wie alles im niederländischen Grundgesetz geregelt ist. In Deutschland steht nichts über Könige im Grundgesetz; aber das Hausgesetz der Hohenzollern enthält sehr ähnliche Regeln. Wer ohne Zustimmung heiratet, verliert für immer das Recht auf den Thron, und auch seine Nachfahren bleiben von der Thronfolge ausgeschlossen. Der Vater von Prinz Philip Kiril hatte ohne Zustimmung des Chefs des Hauses Hohenzollern geheiratet, also ist der Fall erledigt. Der Pfarrer wäre heute trotz seiner Geburt nicht der Kronprinz.
Die Kraft der europäischen Monarchien lag und liegt darin, dass die Thronfolge unverbrüchlich geregelt ist und es keine Streitereien geben kann. Nur darum musste ja Wilhelm II. trotz seiner mehrfachen körperlichen und geistigen Behinderung König und Kaiser werden. Die Kraft kann auch eine Schwäche sein.
Offenbar interessieren Prinz Philip Kiril solche Gesetze aber nicht, und er redet recht unfürstlich über seinen Großvater und die heutigen Thronfolger. Ist er einfach ein Lausbub, der dieses Spiel um einen in Deutschland illusorischen Thron spielt, um sein Land und seine Familie aufzumischen?
Nein, es ist ihm ernst, wie sich herausstellt, als wir auf die Aufgabe des Königs zu sprechen kommen, Gesetze zu unterschreiben. In konstitutionellen Monarchien demokratischer Länder funktioniert das genau so wie beim deutschen Bundespräsidenten. Wenn ein Gesetz ordentlich zustande gekommen ist und danach noch einige Prüfungen bestanden hat, muss das Staatsoberhaupt es irgendwann unterschreiben. Ein König kann ebenso wenig wie der Bundespräsident sagen: „Ich kann zwar nichts rechtlich Stichhaltiges dagegen vorbringen, aber das Gesetz passt mir nicht. Also unterschreibe ich es einfach nicht.“ Er kann das Unterschreiben nur verzögern oder abdanken. Letzteres wäre ein ungeheuer starkes persönliches Signal eines Menschen in höchster Funktion. Das kann er nur einmal machen. Er opfert sich sozusagen selbst, wenn es ihm so wichtig ist.
Boudewijn von Belgien konnte seinerzeit ein Abtreibungsgesetz nicht mit seinem katholischen Gewissen vereinbaren und wollte weder unterschreiben noch abdanken. Da fand die Regierung ein Schlupfloch und erklärte ihn für vierundzwanzig Stunden regierungsunfähig. Der eingesetzte Regent unterschrieb, und danach war der König auf einmal wieder regierungsfähig. Dazu musste ein Verfassungsartikel missbraucht werden, der für den Fall geschrieben ist, dass der König irrsinnig oder in den Händen einer feindlichen Macht ist. Verfassungsrechtler fanden das verwerflich. So darf man nicht mit dem Grundgesetz umgehen. Hier hat nicht ein Mensch in Gewissensnot ein Gesetz übertreten oder gebrochen. Hier hat ein hoher Amtsträger, der für Recht, Gesetz und Staat verantwortlich ist, mit dem Grundgesetz gemauschelt.
Aber der Pfarrer von Birkenwerder und Prinz von Preußen hat große Hochachtung vor Boudewijns Signal und findet, dass einem König viel mehr persönliche Macht zukommt. Sonst wäre er ja nur ein „Grüßaugust“ – inakzeptabel!
Denn seine Glaubensüberzeugung als Christ steht über den Gesetzen. Wir leben, so sagt er, in Deutschland in einer „Kultur des Todes“, in der Christen in den Medien geschmäht und verteufelt werden, bis sie nur noch unter Polizeischutz für ihre Überzeugung eintreten können. Da darf man auch die Verfassung beugen, um dagegen anzugehen. Da muss ein König her, der zusammen mit seiner Familie dem Volk überzeugend die richtigen Werte vorlebt. Ein König, wie er einer wäre und eigentlich sein müsste. Es geht um Tod und ewiges Leben. Das ist kein Spiel.
Ich kenne solche Kompromisslosigkeit und Unerbittlichkeit von gewissen evangelikalen Christen, hatte aber bisher noch keinen Pfarrer einer Landeskirche gesprochen, der sich so offen dazu bekennt. Er muss es hier in Brandenburg schwer haben.
Er würde es auch als König und somit Oberhaupt der protestantischen Kirche schwer haben. Und als konstitutioneller König mit der Verfassung. Aber das ficht ihn nicht an.
Ich mache einen großen Bogen um andere Fragen des Zusammenlebens und der Sexualität und lenke das Gespräch zu den Fundamenten seines Glaubens. Glücklicherweise gehört er nicht zu den Menschen, die glauben, dass die Bibel wörtlich Gottes Wort ist. Dafür hat er doch zu viel Theologie studiert.
Aber sein Glaube hängt doch davon ab, dass Christus historisch am Kreuz gestorben und danach physisch wieder von den Toten auferstanden ist, und davon, dass es gewisse Dinge gibt, die die Wissenschaft prinzipiell nicht erklären kann. Zum Beispiel das menschliche Auge. Das kann nach seiner Überzeugung nicht durch Zufall und Selektion entstanden sein, und deshalb beweist es die Existenz Gottes. Ja, gibt er zu, im Kleinen sehe man ja durchaus, dass es eine Evolution nach Darwins Theorie gibt; aber „missing links“ wie das Auge oder die Zelle bewiesen eben doch, dass da ein intelligenter Schöpfer am Werk war. Armer Schöpfer! Wenn dann wieder einmal die Lücke so eines missing links geschlossen wird, was ja regelmäßig geschieht, werden sich erneut etliche Gläubige dieser Art von ihm abwenden. Oder von der Wissenschaft.
Der Prinz nennt auch die üblichen volkswirtschaftlichen und naturrechtlichen Argumente: Ein Staat ohne glückliche Familien mit vielen gut erzogenen Kindern würde einfach zu teuer. Mann, Frau und Zeugung passen zueinander, also passt sonst nichts zueinander. Insbesondere dürfen zwei Männer keine Kinder adoptieren, um ihnen ein gutes Zuhause zu bieten.
Warum klammern sich manche Gläubige genau wie manche Atheisten so an wissenschaftlich Unhaltbares und logisch Unsinniges, um zu „beweisen“, dass es Gott gibt oder eben nicht gibt? Warum können sie nicht einfach gute Menschen sein? In Gesprächen mit Wissenschaftlern und Philosophen wird dieser Pfarrer es schwer haben, und mit solch wenig spirituellem Verkünden seines Glaubens wird er wenig bewirken.
Was diesem Prinzen seine königlichen Vorfahren als Menschen bedeuten, wie er sie sieht, wie seine Familie sie sieht, bleibt unklar. Anscheinend spielten sie bei seiner Erziehung keine besondere Rolle. Das kommt davon, wenn der Vater dynastisch unpassend heiratet. Offenbar hat er selbst sich auch nicht besonders für seine Wurzeln interessiert. Der Atem der Geschichte haucht mich hier nicht an. Der Prinz ist wohl bereit, über seine lebenden Vettern und Onkel zu reden; aber das interessiert mich wiederum nicht. Mir reicht, wie Wilhelm II. sich über seinen Onkel, den König von England, gegiftet hatte.
Er sieht aus wie Friedrich II. und empfängt in einer Umgebung mit der Ausstrahlung der Räume von Friedrich-Wilhelm I. Aber das meiste hat er doch von Wilhelm II. geerbt. Er ist überzeugt davon, zum Thron berufen und ein vorbildlicher König und Familienvater zu sein, wie ihn Gott verlangt und das Volk braucht, und hat das immer wieder in den Medien erklärt. Er scheut sich nicht, auch extreme Überzeugungen, die Menschen weh tun können, forsch auszusprechen. Er lässt sich nicht hindern durch Zweifel und nicht durch die staatliche Rechtsordnung.
Auf dem Bahnsteig in Birkenwerder wird mir bewusst, dass die verschiedenen Sorten Züge sich hier streng nach Fahrplan abwechseln und niemals verheddern.
Ein kaiserlicher Hofzug mit seinen Privilegien würde das vielleicht durcheinanderbringen; aber er würde Eindruck machen. Hier läge eine Herausforderung für die Bahn. Wenn Ururgroßvater Wilhelm den Ersten Weltkrieg verhindert hätte und es nicht das Hohenzollernsche Hausgesetz gäbe.

Aus: Suche nach der Mitte von Berlin

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