Jagdschloss Stern

Mit diesem Text ist die Serie „Suche nach der Mitte von Berlin“ beendet, in der das gleichnamige Buch von Hanno Wupper dokumentiert wird. Das letzte Kapitel behandelt einen Ort, der ihm ganz besonders wichtig war und an dem er sich gern aufgehalten hat.
Ich bin dem Autor Hanno Wupper sehr dankbar dafür, dass er die Genehmigung für die Veröffentlichung der Texte gegeben hat! Er hat sich über die Veröffentlichung seiner Texte auf Berlin Street gefreut, aber sie leider nicht mehr vollständig erlebt.
Hanno ist am 22. Juli 2017
im Kreise seiner engsten Freunde gestorben.


Gedankenvolle Leere

Dass man umgeben ist von bizarren Ausstülpungen der ehemaligen Mauer, von Plattenbauten und Verkehrsbauwerken, vergisst man hier. Man sieht nur das Jagdschloss und einige unscheinbare Nebengebäude.

Theodor Fontane schrieb:

Von Kohlhasenbrück aus schlagen wir eine südliche Richtung ein, schlängeln uns auf Fußpfaden durch ein wohlgepflegtes Gehölz und treten dann in eine Lichtung, von der aus wir strahlenförmig die Gestelle sich durch den Wald ziehen sehen. Diese Lichtung heißt der Stern; inmitten desselben, von einigen Akazien umstanden, ein Jagdschloß gleiches Namens.
Auch hier historischer Grund und Boden, aber jüngeren Datums und ohne jeden Anflug von jenem Sagen-Dämmer, der über der alten Kohlhaasstätte ruht. Hier ist Alles licht, faßbar, real, mit jenem Prosa-Beigeschmack, den Alles hat, was unter den vielgeschäftigen, rastlos-gestaltenden Händen des Soldaten-Königs entstand. Aber noch eines charakterisirte seine Art: die propreté, und Jagdschloß Stern hat bis diese Stunde jenes Sauberkeits-Gepräge, das Friedrich Wilhelm I. allen seinen Schöpfungen zu geben liebte.
Jagdschloß Stern ist ein holländischer Bau, quadratisch in rothem Backstein aufgeführt, mit einem Giebel in Front, einem Jagdhorn über der Thür und einem eingeätzten Stern im Mittelfenster. Es besteht nur aus einem Eßsaal, einer Küche und einem Schlafzimmer, drei Räume, die ihre Einrichtung und ihren Charakter bis auf diese Stunde beibehalten haben. Der Eßsaal mit den abgestoßenen Geweihen des „großen Hans“ (der es bis zum Achtundzwanzig-Ender brachte), ist panelirt und über den Panelen der einen Längswand hin mit den Jagdstücken irgend eines Leygrebe oder sonstigen Hofkünstlers geschmückt, — eine Hirschhetze, eine Eber- und Entenjagd.
Welch tiefer und plötzlicher Verfall der Kunst spricht aus diesen Blättern, wenn man sie mit jenen hunderten von Tableaux und Deckengemälden vergleicht, wie sie 30 und selbst noch 20 Jahre früher unter dem ersten Könige und während der letzten Regierungsjahre des großen Kurfürsten in den brandenburgischen Schlössern gemalt wurden! Damals, wie äußerlich die Dinge auch bleiben mochten, brachte jede zwischen Amoretten ausgespannte Rosen-Guirlande, jede symbolische Figur, ob sie sich Europa oder Borussia nannte, die brillante Technik der niederländischen Schule zur Erscheinung, und nun, von jener Epoche virtuosenhafter Technik, gefälliger Form, sinnlicher Farbe war man wie durch eine Kluft geschieden, ohne daß irgend etwas Anderes sich ereignet hätte als ein Thronwechsel. Jenseits lag die Kunst, diesseits die Barbarei.
Aus dem Eßsaal, nach kurzem Verweilen, traten wir in die Küche, aus dieser in das Schlafzimmer des Königs, dessen eine Seite ein riesiger Wandschrank einzunehmen schien. Aber nur die beiden Flanken dieses Holzbaues waren wirkliche Schränke, das Mittelstück, eine überwölbte Bettlade, ein dunkler, nach vorne zu geöffneter Kasten, erinnerte an die Lagerstätten einer alten Schiffskajüte. War diese Höhle an und für sich unheimlich genug, so wurde sie’s in jedem Augenblicke mehr durch zwei große, feurige Augen, die uns daraus ansahen. Endlich löste sich der Spuk; unmittelbar an unseren Häuptern vorbei mit schwerem Flügelschlag flog eine Eule, die der Förster vom Jagdschloß „Stern“ in der Bettsponde des Königs einlogirt hatte. Dieser selber hätte uns nicht großäugiger und nicht bedrohlicher ansehen können als der Gast, der hier an seiner Stelle eingezogen war.

Im letzten Absatz irrte Fontane. Die beiden Türen sind keine Schranktüren. Hinter der einen verbirgt sich die Treppe zum Weinkeller, hinter der anderen die zum Dachboden. Das Zimmer wird zwar Schlafzimmer genannt; aber es ist ein holländisches Wohnzimmer mit einer Bettnische, wie man sie damals so hatte. Es war das Zimmer des Königs, zum Regieren und eben auch zum Schlafen. Nicht einmal Friedrich der Große hatte in seinem Sanssouci ein eigenes Schlafzimmer. Auch er schlief in seinem Arbeitszimmer, wo er auch Adjutanten empfing.
Die beiden Verzierungen, die Fontane beschreibt, wurden übrigens erst im neunzehnten Jahrhundert angebracht, als Königin Luise ab und zu hier mit den Kindern Tee trank.
Schon Fontane fühlte sich also zwischen Kunst und Barbarei, auch wenn er wohl kaum geahnt hatte, zu welcher Barbarei es in Deutschland noch kommen würde.
Man trifft hier nur wenig Menschen. Potsdamer und Berliner der ersten Sorte kommen, obwohl es hier fast nichts zu sehen gibt, einfach um die Ruhe zu genießen. Einige der zweiten Sorte kommen, gerade weil es hier fast nichts zu sehen gibt: An kaum einem anderen Ort kommen wir dem sparsamen, bescheidenen, Holland liebenden zugleich und entsetzlichen Menschen Friedrich-Wilhelm so nahe wie hier, in seinem einzigen Schlossbau, dem einzigen Bau überhaupt, den er nur für sich selbst gebaut hatte.
Das Schloss ist leer. Dieser König hatte sich nicht mit schönen, wertvollen Gegenständen umgeben. Seine Möbel waren Billigmöbel, die seine Erben nicht bewahrt haben. Von ihm gibt es keine Reliquien, ebensowenig wie von Gott, dem Vater.
Das stimmt nicht ganz. Er hat Bilder gemalt, und die kann man in Königs Wusterhausen noch bewundern. Ihre Qualität ist umstritten, um es pietätvoll auszudrücken. Was einem die Frage aufdrängt, wie wir das, was Gott nach seinem Bilde geschaffen hat, nun eigentlich beurteilen müssen.
Das Allerheiligste im Tempel von Jerusalem war auch leer. Vorher stand darin die Bundeslade, und die war bis auf ein Stück Text ebenfalls leer. Sie ging verloren. Der Text, die sogenannten Zehn Gebote, wurde immer wieder kopiert und dabei immer wieder anders nummeriert, Hauptsache, er endete mit Gebot 10. Danach ging der ganze Tempel verloren.
Friedrich Wilhelm I. war ein Mensch von Fleisch und Blut. Aber sein einziges Schloss ist leer, das Zentrum des Sterns, neben dem es steht, ist leer, die Garnisonkirche mit seiner leeren Gruft ist zerstört wie der Tempel in Jerusalem, und selbst im vollgestopften Haus Doorn gibt es nichts Tastbares, das von diesem König übrig geblieben ist.
Nur sein Werk, der Staat, und ein paar Zweckbauten zu dessen Nutzen sind erhalten. Und ein Nachhall der preußischen Tugenden, die in Büchern immer wieder anders aufgezählt werden, an die aber kaum noch jemand glaubt.
Besuchen Sie diesen Ort und genießen Sie die Aussicht aus dem Saal! Die holländischen Fenster sind groß und haben keine Gardinen. Man befindet sich in einem sonnendurchschienenen Wald und blickt in Baumkronen. Solch ein Raum braucht keine Dekoration.
Der letzte, der hier zum Essen eingeladen hatte, war natürlich Kaiser Wilhelm II.
Der Stern ist ein Ort zum Verweilen und zum Nachdenken. Obwohl er mittendrin liegt, ist es dort ruhig. Das Schloss aber ist nur an einigen Tagen im Jahr geöffnet, zum Beispiel wenn Martin Betz hier Cembalo spielt, und manchmal wird dann sogar im historischen Backofen Brot gebacken. Sie können es nur ungeschnitten mit nach Hause nehmen.

Aus: Suche nach der Mitte von Berlin

Interview mit Hanno Wupper zum Jagdschloss Stern auf Potsdam TV

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