The Day After

Dass der Tag nach der Wahl interessant werden könnte, hatte ich mir schon gedacht oder jedenfalls erhofft. Und tatsächlich bekam ich gestern Abend und in der Nacht mehrere Fahrgäste, die in irgendeiner Form unmittelbar vom Ausgang der Bundestagswahl betroffen waren.
Der erste war gleich bei Schichtbeginn ein Angestellter des Konrad-Adenauer-Hauses. Er erzählte von der Party am Abend und auch, wie sich manche Gäste dort (daneben) benommen haben. Einer habe gesagt, dass die Kommunisten „ausgemerzt“ werden müssten, er wurde aber von einem anderen daran erinnert, dass „die Angela“ ja auch „aus dieser Ecke“ kommt. Das wäre aber in Ordnung, solange sie nur gewinnt. Ein interessanter Einblick in das Innenleben der CDU!

Frustrierend war die Fahrt mit einem aus der Verliererpartei. Er erzählte mir, dass er den ganzen Wahlkampf über Bauchschmerzen gehabt habe, nicht nur inhaltlich. Seine Aufgabe war es, die Agenda-Politik zu vertreten, obwohl er sie für unsozial hält und ablehnt. Aber besser SPD als CDU, sogar seinen Jahresurlaub hat er für den Wahlkampf geopfert. Für nichts. Ein bisschen habe ich ihn getröstet mit meiner Meinung, dass diese Niederlage die Partei zwingt, sich politisch neu zu positionieren und hoffentlich den Bossen-Genossen-Kurs aufzugeben. Die SPD wird künftig nur noch weiter links existieren können und der Beginn wird ein neuer Bundesvorstand sein. „Das hoffe ich sehr“, sagte er.

Dagegen war das junge Pärchen ganz euphorisch. Der Mann ist Büroleiter eines FDP-Kandidaten, die Frau arbeitet in der CDU-Bundeszentrale. Auf dem Weg zur Disco holten wir noch jemand anderes ab, der es „gerade noch so“ wieder ins Parlament geschafft hatte. Der gehört aber zur SPD und wurde von den beiden heftigst bedauert, zumal er offenbar nicht zu denen gehört, die einen Linksruck der Partei gutheißen. Jedenfalls machte er den Eindruck, dass er etwas Zuspruch gebrauchen konnte. Sozialforscher hätten sicher ihre Freude an diesen Fahrgästen gehabt.

Mein letzter Kunde war dann noch ein leibhaftiger Sozialdemokrat, auch Abgeordneter, allerdings nicht mehr angetreten. Er war guter Dinge und hoffte, dass seine Genossen endlich wirklich wieder welche werden. „Der Wowereit hat gute Chancen“, meinte er. Darauf konnte ich nur antworten „Die Arroganz dafür hat er ja schon“, aber er ging nicht darauf ein. Wir sprachen noch einige Minuten über die weitere mögliche Entwicklung der SPD und darüber, was Westerwelle als Minister wohl für eine Figur machen würde. Mein Fahrgast war der Meinung, dass er unter der Knute von Merkel stehen wird.
Ja, mitten drin im Zentrum des politischen Betriebs kann Taxifahren manchmal sehr spannend sein.

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