Verpeilter Fahrgast

Früher Abend, gerade hatte ich mit dem Taxi drei junge Neuberliner vom Hauptbahnhof abgeholt („Endlich, endlich weg aus Mannheim!“) und am Winterfeldplatz ausgeladen, als mich ein recht edel gekleideter Mann mit Hut heran winkte. Er wollte gerne zum Flinsberger Platz, jemanden abholen und danach zum Hermannplatz. Ob 35 Euro reichen würden? Nach kurzem Überlegen sagte ich ihm, dass es vielleicht knapp werden würde, aber es sollte zu schaffen sein.

War es aber nicht. Denn in Schmargendorf angekommen machten wir erstmal einen Stopp in der Auguste-Viktoria-Straße. Dummerweise genau gegenüber der israelischen Botschaft, weshalb auch gleich zwei Polizisten ankamen, um uns wegzuschicken. 100 Meter weiter blieben wir wieder stehen und er schaute aus dem Fenster. Diese Situation kenne ich ja, man wartet auf den anderen. Aber in diesem Fall tat sich nichts. Er versuchte auch nicht, ihn anzurufen. Nach drei, vier Minuten wollte mein Fahrgast dann in die Salzbrunner Straße. Dort gab er mir 30 Euro als Pfand und suchte an einem der Häuser die Klingelschilder ab. Dann rauchte er erstmal eine, um danach mit mir in die Warmbrunner Straße zu fahren.
So ging es noch eine Weile weiter. Erneut Auguste-Viktoria-Straße, dann auf die andere Seite des Hohenzollerndamms in die Landecker Straße, dann wieder Warmbrunner. Mir war’s egal, den Großteil des Geldes hatte ich ja.

Während all der Fahrten schaute er immer die Fassaden hoch, als wenn er dort etwas suchen würde. Ich machte mir unterdessen Gedanken, was wohl dahinter steckt. Eine klare Adresse hatte er ja nicht, von der er jemanden abholen wollte. Kannte er bloß die Fassade und die ungefähre Gegend?
Irgendwann gab er auf und woillte zurück fahren. Kaum auf dem Hohenzollerndamm sollte ich aber nochmal links in die Cunostraße, aber nach 100 Metern wieder wenden.
Da wir zwischendurch immer wieder stehengeblieben sind und dann das Taxameter weiter lief, hatten wir schon über 20 Euro auf der Uhr.

Endlich gings es wieder los, Richtung Neukölln. „Das werden wir jetzt mit 35 Euro aber nicht mehr schaffen“, sagte ich ihm. Er antwortete mit „Kein Problem.“ Na dann.
Als wir gerade am Ende der Yorckstraße direkt auf den Mehringdamm zufuhren, sollte ich anhalten. Das Taxameter stand bei 34,90 EUR. Er gab mir noch einen Fünfer und verließ ohne einen Gruß das Taxi. Nachdem er bereits die Tür geschlossen hatte, sagte ich noch „Tschüss“. Obwohl er das natürlich nicht mehr hören konnte, drehte er wieder um, öffnete nochmal die Tür und verabschiedete sich. „Sorry, ich bin heute ein bisschen verpeilt.“
Ja, den Eindruck hatte ich auch.

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