Ein Stadtteil voller Widerstandskämpfer

Es ist ein Stadtviertel, das mit Armut in Verbindung gebracht wird, auch wenn er das schicke „Charlottenburg“ im Namen trägt. Aber Charlottenburg-Nord ist ganz anders als die Gegend um den Kurfürstendamm. Es hat nicht mal einen eigenen Namen und eingepfercht zwischen Flughafen Tegel und Gewerbegebiet, durchschnitten von der Stadtautobahn leben hier viele Menschen, die sich woanders keine Wohnung mehr leisten können. Der Stadtteil, bestehend aus der Siedlung Charlottenburg-Nord und der Paul-Hertz-Siedlung, wurde von 1956 bis 1961 anstelle großflächiger Kleingartenanlagen errichtet.

Ganz am östlichen Ende liegt das alte Gefängnis Plötzensee. Dort befand sich während der Nazizeit auch die Hinrichtungsstätte. Fast 2.900 Nazigegner starben hier, erst durch das Handbeil, dann durch die Guillotine oder den Galgen. Mitglieder der kommunistischen „Roten Kapelle“, des christlichen „Kreisauer Kreises“, Verschwörer des Stauffenberg-Attentats vom 20. Juli 1944 sowie viele andere Antifaschisten wurden dort ermordet.

Zehn Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur entstand das Wohnviertel Charlottenburg-Nord, beidseitig des südlichen Kurt-Schumacher-Damms. Zum Gedenken an die ermordeten Widerstandskämpfer wurden die meisten Straßen dort nach ihnen benannt. Darunter so bekannte wie der Domprobst Bernhard Lichtenberg, der schon 1930 von Goebbels bedroht wurde. Später protestierte er öffentlich gegen das Novemberpogrom, die Euthanasie und immer wieder gegen die Judenverfolgung. Er starb 1942 auf dem Transport ins Konzentrationslager Dachau.

Oder Ernst Heilmann, bis 1933 SPD-Fraktionsvorsitzender im preußischen Landtag, 1940 in Buchenwald ermordet.
Oder Friedrich Olbricht, der am 20. Juli 1944 zusammen mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg erschossen wurde.
Aber auch weniger bekannten Widerstandskämpfern wurde gedacht, wie der Zeitungsausträgerin Emmy Zehden, der Sekretärin Maria Terwiel und dem Maschinenbauer Joseph Wiersich. Die Gerichtsreferendarin Elisabeth Gloeden versteckte einen der Hitler-Attentäter um Stauffenberg und wurde dafür im November 1944 hingerichtet.

Der zentrale Platz in Charlottenburg-Nord erhielt zwar auch den Namen eines Widerstandkämpfers, allerdings hatte er den Faschismus überlebt. 1961 wurde der Siemensplatz nach Jakob Kaiser benannt. Dieser war Jahrzehntelang als Gewerkschaftler und Politiker aktiv, hatte während der Nazizeit enge Kontakte zum Widerstand und unterstützte das Stauffenberg-Attentat. Danach konnte er bis zur Befreiung untertauchen.

Ob den Leuten in Charlottenburg-Nord wohl bewusst ist, dass sie in einem Wohnviertel leben, dessen Straßen und Wege nach tapferen Widerständlern benannt sind? Eigentlich sollten Straßennamen ja an die Geschichte der Menschen erinnern, deren Namen sie tragen. Die paar Taxi-Fahrgäste, die ich in den vergangenen Jahren dorthin hatte, wussten allesamt leider nichts davon, nach wem die Straßen dort benannt sind. Und obwohl es im Heilmannring einen Gedenkstein für den Bau der Siedlung gibt, wird auf ihm mit keinem Wort darauf hingewiesen, auf wen die Straßennamen hinweisen.

Hier eine Übersicht über diejenigen, an die die Straßen dort erinnern:

  • Gustav Dahrendorf, Mitglied des Kreisauer Kreises, überlebte Gestapohaft, KZ und das Zuchthaus Brandenburg.
  • Alfred Delp, katholischer Theologe, in Plötzensee hingerichtet am 2.2.1945.
  • Elisabeth Gloeden, am 30.11.1944 hingerichtet.
  • Carl Friedrich Goerdeler, Jurist, in Plötzensee hingerichtet am 2.2.1945, auf persönlichen Befehl Hitlers enthauptet.
  • Nikolaus Groß, Gewerkschaftsführer, in Plötzensee hingerichtet am 23.1.1945.
  • Hans Habermann, Buchhändler, hatte Kontakt zu Widerstandsgruppen, nahm sich in Gestapohaft an 30.10.1944 das Leben.
  • Hans-Bernd Haeften, Diplomat, in Plötzensee hingerichtet am 15.8.1944.
  • Werner Haeften, Militär, am 20.7.1944 nach dem Hitler-Attentat zusammen mit Stauffenberg erschossen.
  • Nikolaus von Halem, Jurist, unterstützte Beppo Römer bei dessen Versuch eines Attentats auf Hitler, hingerichtet am 9.10.1944 im Zuchthaus Brandenburg.
  • Ernst Heilmann, Politiker, 3.4.1940 in Buchenwald ermordet.
  • Cäsar von Hofacker, Jurist, gehörte zum Kreis um Stauffenberg, in Plötzensee hingerichtet am 20.12.1944.
  • Richard Hüttig, Arbeiter, Leiter der kommunistischen Häuserschutzstaffel im Charlottenburger „Zille-Kiez“, die wegen wiederholter Überfälle der Faschisten zur Abwehr gegründet worden war. In Plötzensee hingerichtet am 14.6.1934.
  • Jakob Kaiser, Buchbinder und Politiker.
  • Johanna Kirchner, Journalistin, arbeitete in der Illegalität für die SPD, in Plötzensee hingerichtet am 9.6.1944.
  • Friedrich Karl Klausing, Militär, gehörte zum Kreis um Stauffenberg, in Plötzensee hingerichtet am 8.8.1944.
  • Bernhard Letterhaus, Gewerkschaftsfunktionär, gehörte zum Kreis um Stauffenberg, in Plötzensee hingerichtet am 13.11.1944.
  • Franz Leuninger, Gewerkschaftsfunktionär, gehörte zum Kreis um Stauffenberg, in Plötzensee hingerichtet am 1.3.1945.
  • Bernhard Lichtenberg, Domprobst, starb 1942 auf dem Transport ins KZ Dachau.
  • Friedrich Olbricht, Militär, am 20.7.1944 nach dem Hitler-Attentat zusammen mit Stauffenberg erschossen.
  • Hermann Popitz, Jurist und Politiker, gehörte zum Kreis um Stauffenberg, in Plötzensee hingerichtet am 2.2.1945.
  • Adolf Reichwein, Pädagoge, hatte Kontakt zu Widerstandsgruppe um Anton Saefkow, in Plötzensee hingerichtet am 20.10.1944.
  • Ernst Schneppenhorst, Politiker, wegen des Hitler-Attentats am 24.4.1945 von der SS erschossen.
  • Ludwig Schwamb, Jurist, Mitglied des Kreisauer Kreises, in Plötzensee hingerichtet am 23.1.1945.
  • Ulrich von Schwanenfeld, Militär, gehörte zum Kreis um Stauffenberg, in Plötzensee hingerichtet am 8.9.1944.
  • Hellmuth Stieff, Militär, gehörte zum Kreis um Stauffenberg, in Plötzensee hingerichtet am 8.8.1944.
  • Theodor Strünck, Jurist, wegen Beteiligung am Hitler-Attentat verurteilt, am 9.4.1945 erhängt.
  • Richard Teichgräber, Schlosser, starb am 25.2.1945 im KZ Mauthausen.
  • Maria Terwiel, Sekretärin, gehörte zum Kreis der Roten Kapelle, in Plötzensee hingerichtet am 5.8.1943.
  • Oswald Wiersich, Maschinenbauer, hatte Kontakt zu Widerstandskämpfern, in Plötzensee hingerichtet am 1.3.1945.
  • Joseph Wirmer, Jurist, in Plötzensee hingerichtet am 8.9.1944.
  • Emmy Zehden, Zeitungsausträgerin, wegen Beteiligung am Hitler-Attentat verurteilt, in Plötzensee hingerichtet am 9.6.1944.

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