Zu Gast bei Feinden: No-Go-Areas

Kurz vor der Fußball-WM geht es im Politgeschäft plötzlich hoch her: Das Thema Rechtsextremismus und Rassismus ist auf einmal on vogue. Als Ex-Regierungssprecher Uwe Carsten Heye Mitte Mai davon sprach, es gäbe in Brandenburg und anderswo Gegenden, die für Ausländer gefährlich seien, trat er eine Welle der Empörung, aber auch der Zustimmung los. Zitat Heye: „Es gibt kleine und mittlere Städte in Brandenburg und anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde, hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend nicht mehr verlassen“.

Dass dies nicht nur für Brandenburg gilt, sondern auch für Berlin, machte parallel dazu der Afrika-Rat deutlich. Er kündigte die Herausgabe eines Leitfadens für ausländische WM-Besucher an, in denen bestimmte Gebiete benannt werden sollen, die vor allem für dunkelhäutige Menschen gefährlich sein könnten.
Viele Politiker zeigten sich empört und beschuldigten Heye der Übertreibung. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble bestritt vehement die Existenz von No-Go-Areas. Dabei gibt es schon seit Jahren Reisewarnungen vor Ost-Berliner Bezirken in internationalen Stadtführern und sogar vom US-Außenministerium.

Unter dem Begriff „No-Go-Area“ versteht man laut Wikipedia „Örtlichkeiten, meist Stadtviertel, in denen die öffentliche Ordnung durch den Staat nicht mehr garantiert werden kann. Gewalttätige Auseinandersetzungen sind hier häufig an der Tagesordnung, die Polizei steht den Randalierern und Verbrechern häufig weitgehend machtlos gegenüber oder wagt sich von sich aus nicht in die entsprechenden Bezirke“. Sicher ist es nicht so, dass es in Berlin oder Brandenburg Gebiete gibt, in denen sich die Polizei nicht hineintraut. Doch für die betroffenen Menschen handelt es sich tatsächlich um No-Go-Areas, daran ändern auch oberschlaue Politiker-Kommentare nichts. Manche von ihnen verbiegen sich soweit, dass man Angst bekommt, sie könnten in der Mitte zerbrechen. Während sie sich über das Benennen gefährlicher Gebiete ereifern, versichern sie gleichzeitig, alles gegen den Rechtsextremismus zu tun. Vor allem nachdem der neue Verfassungsschutzbericht öffentlich machte, dass die Zahl rechter Gewalttaten innerhalb nur eines Jahres um 25 Prozent gestiegen ist, begann innerhalb weniger Stunden scheinbar ein Wettbewerb, wer am meisten gegen die Neonazis ist. Doch es ist wohl eher die Angst vor dem schlechten Bild der Deutschen kurz vor der WM, das die Politiker so rotieren lässt. Wäre es ihnen ernst, würden sie nicht immer mehr Opfer- und Antirassismus-Initiativen das Geld streichen, sondern sie würden sich mit der Intention des Afrika-Rats auseinandersetzen.

Auch hiesige Behörden geben längst zu, dass das Leben für Ausländer in manchen Gegenden gefährlicher ist als anderswo. Bestimmte Straßenzüge in Friedrichhain, Lichtenberg und Friedrichsfelde werden in einer Broschüre des Verfassungsschutzes von 2005 als „verdichtete Räume rechter Gewalt“ ausgewiesen. Genau in einem solchen Viertel, nämlich an der Weitlingstraße in Lichtenberg, fand am vergangenen Freitag der Überfall auf den türkischstämmigen Politiker Giyasettin Sayan statt, der dabei schwer verletzt wurde. Der Kiez rund um den Bahnhof Lichtenberg ist seit der Wende als Gebiet bekannt, in denen Ausländer gefährdet sind. Dabei hat sich bei uns schon vieles verbessert: Berlin und Brandenburg sind laut dem neuen Verfassungsschutzbericht die einzigen Bundesländer, in denen rechtsextreme Gewalttaten abnehmen. Doch bei den „No-go-Areas“ zählt nicht die Statistik der tatsächlich begangenen Übergriffe. Es geht allein um die subjektive Angst um Leib und Leben, die Menschen an bestimmten Orten haben müssen. Und dass diese mehr als begründet ist sieht jeder, der mit offenen Augen durch die benannten Straßen geht.

print

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*