Falkenberg im Abendlicht

Das Wesentliche am S-Bahnhof Hohenschönhausen sind die Treppen. Sie sind blau und verbinden die S-Bahn mit der Falkenberger Chaussee, mit Tram und Bus. Aber ich gehe an diesem frühlingshaften Januartag zu Fuß. Die tüchtige HoWoGe saniert im Wortsinn glänzend. Die blassen Farben sind von Christian Koch aus Wilmersdorf. Das McDonalds-Eckhaus hat in diesen Farben etwas Nautisches; es kann sich architektonisch wirklich sehen lassen; da gibt es nichts. Von der Schule zu schweigen, die sich an der Ecke Prendener Straße entlang rundet; grau-grün öffnet sie sich nach Osten zur Landschaft, die hinter den Sportplätzen in Brache übergeht. Da verengt sich auch die Straße und der Fußgänger kann das Gefühl haben, nicht mehr erwünscht zu sein, so dicht neben ihm schleudern die Autos in selbstbewusstem Tempo kleine Kiesel von der Straße empor. Hinter „Holzwurmhaus“ und Abenteuerspielplatz endet auch die gelbe Straßenbahn. Der „Hauptweg“ nach Norden wirkt hier fast wie ein Abweg. Auch dass die Straße jetzt „Dorfstraße“ heißt, ändert nichts daran, dass es zu dieser in den Abend übergehenden Nachmittagsstunde, eine reine Autostraße ist. Trotzdem stellt sich hinterm grünen Schild „Falkenberg“ tatsächlich fast ein Dorfeindruck ein.

Ziel meines Weges ist der kleine Friedhof, der sich alsbald hinter zwei Puttenpfeilern an der Nordseite der Straße, hinter einer schmalen Wiese, öffnet. Vor der jüngst erneuerten Gedenkplatte hinten, an den knappen Mauer-Resten der Dorfkirche, die SS-Leute 1945 gesprengt haben – wenn das stimmt, wird die Frage nach dem Warum zu tiefen-melancholischen Antworten führen – liegt ein kleines Blumenarrangement. Vielleicht ist es offiziellen Ursprungs. Das freute mich. Denn der Ort – nun ja, ein deutscher Haupterinnerungsort ist es nicht, aber es ist doch einer der Plätze, an dem man sagen kann: Es gibt das Deutschland der Niederwerfung und der Zerstörungen, das Mord- und Totschlagsvaterland, aber es gibt auch – und das eine grenzt dicht ans andere – das Deutschland der Erleuchtung und der humanen Weltumfassung.

Die Gedenkplatte zeigt die gewesene Grabstätte der Eltern des berühmtesten deutschen Brüderpaars: Wilhelm und Alexander von Humboldt; nach keinem Menschen sind mehr Erdenorte und sogar Weltraumplätze benannt als nach Alexander von Humboldt. Ihre Mutter hatte vor ihrem Vater einen anderen Mann und einen anderen Sohn, dem überließ sie später Falkenberg, wo sie für sich und ihre Männer das Grab bestimmte, hier, wo die Landschaft des Barnim beginnt. Senator Strieder hat ein Stückchen weiter ein rotes Eisen aufstellen lassen, an dem er verkündet, wie schön er hier demnächst alles arrangieren wird. Die adlige Frau von Humboldt, die die beiden hochberühmten Söhne zur Welt brachte, war eine geborene Colomb, ihr Vater, aus einer Familie von Frankreichflüchtlingen, baute Spiegel an der Dosse, ihre Mutter war schottischer Herkunft: bürgerlich, europäisch: das war das geistigmoralische Erfolgsgemisch. Zum Beispiel das manches außerdem – kann man auf diesem kleinen Friedhof lernen.

Jetzt düstert er schon im Abendlicht. Der Bus 159 hält fast vor der Tür, nicht weit zur Tram Nummer 4, mit dieser bis zur Endstation am Hackeschen Markt und dann nur noch ein kurzes Stück: Da sieht man die Berühmten auf ihren steinernen Stühlen sitzen vor der Universität, die sich mit ihrem Namen schmückt. Jetzt im Winter sind sie eingebrettert. Man muss sie sich denken.

Aus: Spaziergänge in Berlin (1990er Jahre)

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