Silvester in Falkensee

Seit einigen Jahren bin ich Silvester die Taxischicht nicht mehr gefahren. Zwar macht man dann deutlich mehr Umsatz als in normalen Nächten, aber dafür ist die Arbeit auch extrem nervig. Laute, oft betrunkene und nicht immer ganz trockene Fahrgäste können einem die Arbeit sehr schwer machen. Dazu kommen die vielen Idioten, die mit ihren Raketen gezielt auf fahrende Autos zielen oder die nach dem Knallen ihre Glasflaschen mitten auf der Streße stehen lassen.
Diesmal hab ich mich kurzfristig aber entschlossen, doch mal wieder zu fahren, weil ich nichts besseres vor hatte. Allerdings hatte ich mir eine Strategie überlegt, wie ich meine psychische und des Taxis physische Unversehrheit bewahren könnte. Anders als normal fuhr ich 1. ohne automatische Auftragsvermittlung und 2. mit ausgeschaltetem Taxischild. Dadurch war ich nicht gezwungen, jeden Fahrgast mitzunehmen, da ich ja offiziell nicht frei war.
Es war eine gute Entscheidung, tatsächlich hatte ich bei insgesamt 19 Fahrten nur einmal Stress mit einem Fahrgast. Und nach meiner Drohung ihn rauszuschmeißen wurde auch der ganz zahm.

Silvester lohnt es sich kaum, schon vor Mitternacht zu fahren. Ich begann trotzdem gegen 23 Uhr und hatte dann sofort eine Tour vom Hauptbahnhof in den hohen Norden. Das war genau die richtige Richtung, denn von Frohnau aus konnte ich im Märkischen Viertel vor Anker gehen, um dort bei ein paar lieben Freunden den Jahreswechsel zu feiern. Aber nur eine halbe Stunde, dann begann der Ernst der Nacht. Und die verlief etwas ungewöhnlich, denn in den folgenden fünf Stunden habe ich es nicht mehr geschafft, in die Innenstadt zu kommen. Erst ging es ein paarmal innerhalb von Reinickendorf hin und her und dann nach Spandau. Von dort kam ich bis um 1/2 6 nicht mehr weg, jedenfalls nicht nach Berlin. Stattdessen fuhr ich ständig von Nord- nach Süd-Spandau und wieder zurück, Hakenkreuzfelde, Staaken, Haselhorst, Wilhelmstadt, Zitadelle. Am Rathaus standen zeitweise 150 bis 200 Menschen, die ein Taxi wollten. Ich hielt mich an meinen guten Vorsatz, fuhr ohne Taxibeleuchtung an den Rand, stieg aus und suchte mir meine Fahrgäste aus. Wer einen friedlichen und einigermaßen nüchternen Eindruck machte, hatte gute Chancen. Die Silvesternacht ist die einzige, an der wir Kutscher uns die Fahrgäste aussuchen können, statt umgekehrt. Und ich habe immer die Ältesten mitgenommen, die keine Chance hatten, wenn bei einem freien Taxi alle auf die Kollegen einstürmen.
Dazu gehörte auch das alte Ehepaar. An normalen Tagen hätte ich mich über eine Fahrt vom Bahnhof Spandau ins havelländische Brieselang sehr gefreut, diesmal aber waren die sehr langen Fahrten unter’m Strich weniger lukrativ. Statt den 30 Euro hätte ich diesmal in der gleichen Zeit ein, zwei Zehner mehr machen können, aber das Geld ist für mich noch nie das einzige Kriterium gewesen. Es war ein nettes Paar, wir hatten eine schöne Fahrt und auf dem Rückweg wurde ich in Falkensee sogar zweimal gewunken. Auch danach ging es von Spandau auch noch mal nach Falkensee.

Auf der Rückfahrt stand direkt hinter der Stadtgrenze plötzlich ein richtig fröhlicher, junger Glatzkopf mitten auf der Straße, mit ausgebreiteten Armen. Er wollte jetzt dieses Taxi, das war eindeutig. Ich erkannte ihn sofort und auch er wusste, dass er mich vor etwa einem halben Jahr schon mal durch den halben Bezirk gelotst hat, weil ich seine kleine Straße nicht kannte. „Na, weeßte jetzt endlich bescheid?“, fragte er mich schon beim Einsteigen. Wir mussten beide lachen und als wir seine Frau und seine kleine Tochter abgeholt hatten und auf dem Weg nach Hause waren, ernannte er mich zu seinem Stammfahrer. Ich hoffe, ihn fahre ihn wirklich mal wieder, diesmal hab ich mir seine Straße gemerkt.
Am späten Morgen um 5.30 Uhr machte ich dann Feierabend – nach weniger Stunden Arbeit als sonst, mehr als das Doppelte an Fahrten und Umsatz, dazu rund 60 Euro Trinkgeld. Die alte Taxiweisheit stimmt schon: Silvester ist für Taxifahrer Weihnachten.

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5 Kommentare

  1. Freut mich, dass es bei Dir auch gut lief! Ich bin dieses Mal leider nicht ganz im Osten geblieben, hab aber die Innenstadt auch fast immer gut umfahren – aber das alles schreibe ich auch noch selbst … ;)
    Wird es bei Dir noch was von der stressigen Fahrt zu lesen geben?

  2. Es ist ja immer Zufall, wo es einen hin verschlägt. Hab auch schon stundenlang im Süden verbracht oder bin die halbe Schicht nicht aus Köpenick rausgekommen.
    Wie’s halt kommt.
    Und nee: Der Stresser lohnt sich nicht. Aber etwas anderes, das sich zur gleichen Zeit abgespielt hat. Das hab ich aber erst heute Nacht mitgekriegt und poste es morgen oder übermorgen.

  3. Ich poste meine Schicht mindestens die nächsten drei bis fünf Tage … :)
    Aber schön, wenn der Stresser es nicht wert war. Meiner war es – aber nicht, weil es irgendwie extrem stressig war. Nur so, wegen Doofheit …

  4. Meine Hochachtung für deine ´Idiotenbremse´! Falls ich in diesem Leben doch noch mal in der Silvesternacht fahren sollte, werde ich es genau so machen.
    Schönes Jahr, Aro!

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