Ich will das nicht

Fast jeden Abend habe ich sie im Auto. Sie tragen Anzüge, Krawatten und Aktenkoffer. Sie sind immer ordentlich frisiert und kennen unzählige englische Wirtschaftsbegriffe, die sie betont beiläufig in das Gespräch mit ihrem Geschäftspartner einfließen lassen. Und immer geht es um Märkte oder darum, wie ein Produkt platziert werden kann, welche Kollegen totale Nieten sind, um Einsparpotenziale, oder wo man mehr Dampf machen muss, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Der ganze Businessscheiß. Es sind (fast immer) Männer, die wahrscheinlich direkt nach dem Abitur und Studienabschluss „in die Wirtschaft“ gegangen sind. Wäre damit mal die Kneipe gemeint, dann würden sie sich nicht so abgehoben von der realen Welt durchs Leben bewegen. Es dreht sich alles nur ums Geld; ums Geld verdienen und investieren, um Märkte, Produkte, Strategien, Konkurrenz. Sie sind wie Roboter, die immer das gleiche machen.
Man könnte sie ignorieren und ihnen aus dem Weg gehen. Einfach mit der U-Bahn fahren, dort trifft man sie selten. Aber ich bin dummerweise Taxifahrer und habe sie oft im Auto. Sicher, wenn ich mich in Spandau oder Lichtenberg an die Halte stellen würde, wäre die Gefahr nicht so groß, dass sie bei mir einsteigen. Aber sie sind ja nur die Spitze des Eisbergs, auch viele andere Menschen sind mir fremd.

Die besoffenen Angestellten, die ich von der Betriebsfeier nach Hause bringe, die aufgeplusterten pubertären Frauen nach der Disco, oder auch der stämmige Handwerker, der während der ganzen Fahrt über „die Ausländer“ hetzt. Genauso wie die dummen Jugendlichen aus den Hostels, zum ersten Mal in der Stadt, sie machen auf so super cool, jeder mit der obligatorischen Bierflasche in der Hand.
Mit all denen kann ich so wenig anfangen, sie stoßen mich ab. Ich versuche ja schon, tolerant zu sein, andere Ansichten und Lebensentwürfe zu akzeptieren. Aber gleichzeitig hab ich das Gefühl, dass mir das gleiche Leben aufgezwungen wird. Und sei es nur dadurch, dass ich sie so nah neben mir sitzen habe.
Das war eigentlich schon immer so.

Sie haben mich ja auch schon gekriegt: Ich habe zwei Jobs, Einbauküche, Auto vor der Tür und einen vollen Kühlschrank. Aber die Seele ist leer. Ein paar Freundschaften gibt es, sehr wenig, auch da gehts teilweise um Ausnutzen des anderen. Meine Mutter freut sich für mich, wenn ich was geschafft habe, z.B. etwas mehr Geld verdient. Dabei ist das nur ein Ersatz, nicht wahr, Herr Freud? Aber sie meint es gut und dafür bin ich ihr auch dankbar.
Schon lange bin ich in der zweiten Lebenshälfte, und noch immer gehöre ich irgendwie nicht dazu. Diese Gesellschaft ist mir so fremd wie vor 30 Jahren. Selbst jetzt mit meiner bürgerlichen Existenz bin ich darin ein Außenseiter, auch wenns kaum jemand sieht. Ich kann nicht dazugehören und will es auch nicht. Weil ich Angst habe, dann jegliche Gefühle zu verlieren.

Diese Einstellung ist natürlich maßlos arrogant. Als ob Menschen gefühlslos sind, nur weil sie ein geregeltes Leben haben. Mir ist das ja bewusst, trotzdem ist es so. Ich habe mich ihnen so angenähert, kann stundenlang Krimis im Fernsehen schauen und freue mich, wenn ich ein neues Smartphone habe. Es hört sich nach Verschwörungstheorie an wenn ich sage, dass wir durch diesen Konsum gekauft werden, um ja nicht aufzubegehren. Trotzdem denke ich genau so. Jeder Tag vor der Glotze ist verschenkt. Ich leide darunter, andere Menschen gehen an dieser Plastikwelt kaputt.

Das Leben ist leer, selbst wenn es scheinbar voll ist mit Freizeitbeschäftigungen, Jobs und allen möglichen Terminen. Es ist leer, sinnlos und ich will nicht, dass es auf diese Art weiter geht. Aber ich habe das Gefühl, dass ich damit ziemlich allen stehe.

print

11 Kommentare

  1. Mensch Aro, lass Dich mal nicht hängen!
    Und falls es hilft: Ja, ich kann das nachvollziehen. So ziemlich jeden einzelnen Satz. Und ich denke ebenso darüber nach. Und natürlich lassen wir uns durch Konsum kaufen und ruhigstellen. Aber nichts ist absolut, am Ende sind es doch die Zwischentöne, die das Leben ausmachen, oder? Ist das gelegentliche Abschalten vor einem Krimi schon der erste Schritt in den Sarg, oder wird es erst schlimm, wenn auch noch Fußball, Nachmittagstalk und Doku-Soaps dazukommen?
    Und wie viele Menschen gehen kaputt an der Bemühung, sich ja an nichts zu erfreuen, bloß weil’s nicht zu 100% den eigenen Anforderungen an unerfüllbare Ideale entspricht?
    Ich hab keine Ahnung, womit Du Dein Leben zu füllen gedenkst, wenn selbst die Freizeit schon im Vorfeld verdächtig ist, ungeeignet zu sein – aber gerade Dein Blickfeld zwischen Geschichte und Kultur, zwischen Kunst und Politik, sollte doch endlose Möglichkeiten bieten, etwas zu machen, was sinnvoll ist oder meinetwegen auch nur vordergründig so erscheint.

  2. Ne, natürlich gehts nicht darum, dass Fernsehen schon der erste Schritt zum Letzten ist. Und ich bin eigentlich auch niemand, der keine Freude am Leben hat. Aber vielleicht ist auch genau das das Problem. Vielleicht sind ja die Ansprüche zu hoch und die Realität zu platt und leer. Irgendwie kriege ich es einfach nicht hin. Zu wenig Freunde, zu wenig Vertrauen. Und mittlerweile auch die Angst, dass es zu spät ist, um grundlegend was zu verändern.

  3. @Aro:
    Ach, wann ist es denn zu spät? Ich hab irgendwie die Hoffnung, dass es im Zweifelsfall auf das letzte Lächeln ankommt.
    Um ganz ehrlich zu sein: Einen „Sinn“ im Leben sehe ich nicht. Die Welt ist groß und selbst unser Planet ist klein. Am Ende ist selbst nichtig, was jene getan haben, die uns heute als „unsterblich“ gelten. Das ist manchmal deprimierend, wenn man darüber nachdenkt.
    Auf der anderen Seite ist es so schön, irgendwann mal irgendwen zum Lachen oder Nachdenken gebracht zu haben – wenn nicht wir Blogger ein Lied davon singen können, wer dann?
    Aber ja: Die Realität ist oft platt und leer. Das hat man ja jetzt wieder einmal bei den Wahlen gesehen. So viele dumme Menschen, die allenfalls ihr eigenes Leben, oftmals aber sogar nur ihren Kontoauszug im Blick haben. Das ist traurig und das tut mir genauso weh wie Dir. Versprochen!
    Was den Mangel an Freunden und Vertrauen angeht, da bin ich ein schlechter Berater. Ich schare selbst nur wenige Leute um mich und meine wichtigste Bezugsperson ist die, die ich ganz altmodisch geheiratet habe. Auch nicht gerade state of the art, falls das schief geht. Aber das Vertrauen darauf, dass es gut läuft, ist da.

    Aro, wir kennen uns nicht sonderlich gut. Hauptsächlich übers Bloggen und ein paar wenige Treffen. Aber wenn’s Dir scheiße geht, dann sei Dir gewiss, dass Du auch bei mir ein offenes Ohr findest, ok?

  4. Der Sinn und die Fülle kommen nicht von außen, sondern aus dir selbst. Aber nur dann, wenn du die Blickrichtung änderst und nicht immer nur darauf schaust, was fehlt und was nervt.
    Sondern darauf, was du GEBEN kannst, wo du helfen und dich engagieren kannst. Dann kommt auch die Freude an dem, was einfach da ist und gut so ist – auch davon gibt es eine ganze Menge!

    (sagt eine alte Frau, die vor langer Zeit auch phasenweise so drauf war wie du jetzt)

  5. Hej P.!
    DAS Leben ist nicht leer und auch nicht sinnlos. Vielleicht scheint dir DEIN Leben gerade nicht sehr erfüllt und sinnvoll zu sein.
    Aber hej, ist es nicht so, das Du es ändern kannst. Ich meine: sehe es als DEIN Leben und ändere etwas wenn es dir nicht gefällt. Aber vielleicht ist es ja auch viel besser als du glaubst. Ich kenne einige Leute,, (z.B. Ann) die jammern und klagen andauernd über ihr ach so großes Leid. Ann „mußte“ jeden Abend die schönsten Erlebnisse und Gedanken des Tages in ein Buch schreiben. Sie war sehr überrascht wieviel positive Gedanken und Erlebnisse sie täglich hat. Obwohl sie fast jeden Tag für negativ hielt. Nach drei vollgeschriebenen Büchern weiße sie, das jeder Tag nicht nur schlechte sondern auch (erstaunlich viele) gute Seiten hat. Ich habe sie schon lange nicht mehr jammern hören.
    P., ich hoffe sehr, dass du auch bald wieder die Dinge sehen kannst, die Dein Leben bereichern und erfüllen.
    Vielleicht ist ja eines dieser Dinge, das wir uns bald wiedersehen. Oder, dass dich deine Mutter von Herzen liebt, oder das Du nicht unter einer Brücke leben mußt, oder das es Menschen gibt, die an Dich denken und dabei ein warmes Gefühl haben.
    Dein Leben ist bestimmt nicht leer und auch nicht sinnlos.
    Dein Bruder

  6. Bitte Vorsicht, was Aro schreibt liest sich sehr nach Depression, und da können Aufmunterungs- und Durchhalteparolen sehr nach hinten losgehen, so gut sie auch gemeint sind.
    Ich kenne das selber und habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn Hinweise nach dem Muster Guck-doch-mal-draußen-scheint-die-Sonne alles noch schlimmer machen. Sie meinen es ja gut … aber sie kennen die Hölle nicht.

  7. @ Sash
    Ach Du bist so schön pragmatisch. Das tut auch wieder gut :-)
    Und: Danke.

    @ClaudiaBerlin
    Das weiß ich wohl. Es gibt einige Leute, denen ich „gebe“ – Zeit, Zuhören, Unterstützung in einiger Hinsicht. Und das ist für mich auch selbstverständlich, weil es einfach dazugehört.
    „wenn du … nicht immer nur darauf schaust, was fehlt und was nervt.“
    Ich glaube nicht, dass ich das tu.

    @Kex
    Ich will ja auch nicht nur klagen (mache ich ja auch nicht). Natürlich gibt es auch schöne Momente, ganz klar. Die sehe ich auch. Und auch diejenigen, die mich nicht nur wegen meines Aussehens mögen ;-)
    Trotzdem ist da eine Leere, die ich einfach nicht weg kriege. Und das „anders machen“ – klar, gerne. Aber wie?
    Einige wissen, dass ich vor langer Zeit Dinge gesehen habe, die einen eigentlich verzweifeln lassen (meine Kollegin hat es damals nicht überwunden). Ich weiß, wie ein wirklich perspektivloses Leben aussieht und dass das hier ein sogenanntes Jammern auf hohem Niveau ist. Aber diesen Widerspruch („eigentlich geht es uns doch allen total gut“) und dem Gefühl tief drin kriege ich nicht gelöst.
    Und ja: Ich freue mich schon sehr darauf, Dich bald wiederzusehen! :-)

    @Sonja
    Danke für den Hinweis. Ich werde mich da mal ein bisschen reinwühlen.

    @Hans
    Ne, das glaube (hoffe) ich nicht. Eine Depression habe ich schon erlebt, das fühlt sich viel schlimmer an. Ich habe nicht vor, mein Leben zu beenden. Trotzdem will ich es SO nicht weiterführen.

  8. Manchmal frage ich mich auch, ob „das jetzt alles sein soll“. Mir geht es derzeit eigentlich nicht schlecht – zwar keine Festanstellung sondern Zeitsklaverei, aber immerhin zu einer Bezahlung die auch die Erfüllung des einen oder anderen Wunschs zulässt. Da geht es vielen schlechter. Leider damit erkauft, dass mir an Wochentagen selten mehr als 2 Stunden für privates bleiben und ich am Wochenende nach Erledigung des liegen gebliebenen kaum mehr Lust auf irgendwas habe.
    Und dann mache ich mir vielleicht auch zu viel fremde Sorgen, gräme mich über die wachsende Armut und soziale Kälte in diesem Land, die Ausnutzung und tägliche Manipulation.
    Aber keiner von uns kann die ganze Welt retten. Jedenfalls nicht allein. Wir können nur schauen, dass wir in unserer kleinen Welt das Leid lindern oder wenigstens kein neues schaffen. Und dabei müssen wir auch auf uns selber acht geben, sonst leiden die, denen wir wichtig sind.
    Es ist nicht leicht.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*