Die toten Kinder von der Spree

Zwischen Kreuzberg und Friedrichshain gehörte die Spree auf der vollen Breite zu Ost-Berlin, das Kreuzberger Ufer jedoch zum Westen. Kurz vor der kaputten Oberbaumbrücke hatte sich vor der Teilung Berlins eine Anlegestelle für Ausflugsdampfer befunden, dort führten ein paar Stufen zu einer Plattform auf dem Niveau der Wasseroberfläche hinunter. Obwohl der Abgang mit einer Stange gesperrt war, kam man leicht dort runter. Erst recht als Kind. Und es war ja auch spannend, so direkt ans Wasser zu können, denn gegenüber sah man die Boote der DDR-Grenzpolizei. Leider bezahlten mehrere Kinder dieses Erlebnis mit ihrem Leben.
Vor allem, wenn es geregnet hatte, war die Plattform sehr rutschig. Aber auch sonst war das Ufer gefährlich, teilweise war die Kaimauer im Krieg beschädigt und immer wieder mal brachen ganze Stücke heraus.
Fünf Kinder fielen zwischen 1972 und 1976 am Groebenufer (heute May-Ayin-Ufer) ins Wasser der Spree. Passanten, Polizei und die Feuerwehr durften sie jedoch nicht herausziehen, weil das Wasser eben schon zu Ost-Berlin gehörte. Anders als bei Fluchtversuchen waren die Grenzboote bei solchen Unfällen nicht sofort zur Stelle, sondern erst, als es zu spät war. Warum trotzdem nie jemand den Mut hatte, die zwischen 5 und 8 Jahre alten Kids aus dem Wasser zu ziehen, weiß man nicht.

Der 8-jährige Cengaver Katrancı stand am 30. Oktober 1972 gegen 13 Uhr im Stadtteil Kreuzberg zusammen mit einem Freund am Ufer und fütterte Vögel. Dabei verlor er das Gleichgewicht und stürzte in die Spree. Die alarmierte und rechtzeitig erschienene Feuerwehr von West-Berlin durfte nicht eingreifen. Ein Boot der Ost-Berliner Feuerwehr hielt sich in der Mitte des Flusses auf, durfte sich aber nicht ohne Genehmigung dem westlichen Ufer nähern.
Der kleine Italiener Giuseppe Savoca (6 Jahre) fiel 1974 an der selben Stelle ins Wasser, als er ein Spielzeug rausfischen wollte, das ihm in den Fluss gefallen war.
Auf die gleiche Weise starb im Mai 1975 auch Çetin Mert, dem an seinem 5. Geburtstag ein Ball in die Spree gerollt war. Die Trauerfeier für ihn wurde zu einem Massenprotest gegen das DDR-Grenzregime.
Der 6-jährige Andreas Senk ertrank, weil ihn ein anderes Kind ins Wasser geschubst hatte.
Siegfried Kroboths Familie war aus Ost-Berlin geflüchtet, nachdem seine Schwester dort ermordet und in die Spree geworfen worden war. Kurz nach seinem 5. Geburtstag fiel er 1973 beim Spielen mit einem Freund in den Fluss, auch er konnte nicht mehr gerettet werden.

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1 Kommentar

  1. Ich habe kurz recherchiert und bin über Wiki auf diesen Artikel dazu gestossen:
    http://www.fr-online.de/meinung/kolumne-herr-d–und-die-jungen-maueropfer,1472602,3092376.html

    Kaum zu glauben, dass noch Mitte der 70er Jahre die Angst vor wild schiessenden DDR-Grenzern so gross war. Aber die „Frontstadtathmosphäre“ hat wohl in den meisten Köpfen Veränderungen verursacht.
    Mich hatte als Westdeutscher nur immer gewundert, wie viele Westberliner bei gegebenen Anlässen die Amis bejubelten, während die Stimmung hier, wo die Amis ebenfalls im Stadtbild präsent waren, eher gleichgültig war. Aber klar, „Rosinenbomber“ hatten wir hier nicht gebraucht.

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