Hell und dunkel

Es gibt richtig finstere Orte in Berlin, selbst wenn die mitten in der Stadt liegen. Dazu gehört auch eine der ältesten Straßen Berlins, die Köpenicker in Kreuzberg. Auch nachts ist sie noch relativ stark befahren. An der Einmündung der Eisenbahnstraße sind einige Laternen ausgefallen, bei den anderen verschwindet das fade Neonlicht in den Baumkronen, selbst wenn sie wie jetzt im Winter gar keine Blätter tragen. Es ist ein bisschen wie früher, als das hier Zonenrandgebiet war. Nicht weit entfernt endete die Köpenicker Straße an der Mauer. Aber die Grenze verlief auch parallel zur Straße, dazwischen ein schmales Gewerbegebiet, direkt an der Spree. Das alte, langgezogene Gebäude der einstigen Heeresbäckerei aus der Preußenzeit liegt ebenfalls im Dunkel. Daneben verläuft eine kurze Straße, sie endet aber an der Spree. Früher mündete die Brommystraße in eine Brücke, von der stehen seit Jahrzehnte nur noch die Pfeiler im Wasser. Eine stählerne Aussichtsplattform direkt am Fluss gibt den Blick frei auf die Friedrichshainer Seite der Spree. Dort ragt neuerdings ein Hochhaus aus dem einstigen Todesstreifen, dahinter beginnt die East Side Gallery und dann die neue Mercedes-Zentrale. Eine andere Welt.

Hier in Kreuzberg besteht die Straße aus uraltem Pflaster, vermutlich noch aus dem 19. Jahrhundert. Wellig zieht es sich die ca. 100 Meter zwischen Köpenicker Straße und Spree, man kann es nur langsam befahren. Links die alte Mauer zur Heeresbäckerei. Rechts ein Zaun, dahinter Zapf-Umzüge. Dort grüßt vor dem Eingang zum Bürogebäude Lenin in Überlebensgröße. Der Firmengründer hatte ihn nach dem Zusammenbruch der DDR gekauft. Beide sind mittlerweile tot.

Die riesige Ex-Bäckerei ist dunkel, aber nicht leer. Auf der Rückseite liegt der Eingang zum Restaurant Spindler und Klatt. Jetzt zur Fashion Week ist dort Party, die jungen Damen und vollbärtigen Hipster kommen teilweise in schwarzen VW-Bussen an, sponsored by Hippe Marke.
Um zum Restaurant zu kommen muss man vorn an der Ecke Köpenicker / Brommystraße über einen kleinen Platz, dann durch ein altes Gittertor. Dahinter folgt wieder Dunkelheit, eine einsame Lampe leuchtet sehr zurückhaltend an der Fassade, rechts an der Mauer weisen ein paar dunkelrote Lichter den Weg ums Haus. Aus dem Dunkel sieht man ein paar Gestalten langsam nach vorn gehen, wo die Taxis auf Kundschaft warten. Die aufgebrezelten Ladys beschweren sich darüber, dass sie mit ihren Pfennigabsätzen so schlecht über das Kopfsteinpflaster gehen können. Authentizität wollen sie, aber bloß nicht zu viel. Kurz denke ich über ein „Original altes Kreuzberg“-Disneyland für solche Herrschaften nach. Finster und gruselig, aber klinisch sauber – und die Katzenköppe sind nur aufgemalt. Die Damen leuchten in der Dunkelheit, so sind sie geschminkt und gestylt. Total chic und bemüht lässig steigen sie ins Taxi und lassen sich ins Adlon fahren. Am Ende der Fahrt gibt es 20 Cent Trinkgeld.

Schräg gegenüber, auf der anderen Seite der Köpenicker Straße, leuchtet das Restaurant Richard. In den Neunziger Jahren war da drin das Maxwell. Eines Nachts drangen Autonome dort ein und zündeten eine Handgranate. Das sollte eine Anti-Gentrifizierungsaktion sein und tatsächlich verließen die Maxwell-Leute den Kiez und zogen nach Mitte. Das war jedoch der einzige Sieg der autonomen Militaristen. Manchmal, wenn ich so das Publikum im Spindler & Klatt und all den anderen ähnlichen Läden so sehe, denke ich doch an die spektakuläre Aktion im Maxwell. Vielleicht sollte man. Oder lieber doch nicht? Nein. Es ist eh zu spät.

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1 Kommentar

  1. Nicht nur, daß es zu spät ist: Heutzutage weißt du auch nicht, ob du mit einer solchen oder ähnlichen Aktion nicht deinen Kumpel aus Studententagen erwischst. Du weißt doch: Studenten kämpfen am heftigsten gegen solche Verhaltensweisen, die sie später selbst praktizieren werden. ;-)

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