Der Groschenkeller

Eines der bekanntesten und berüchtigsten Lokale in der Kantstraße war zweifelsohne der Groschenkeller in der Nummer 126. Ursprünglich dienten die Räume als Chauffeur-Kantine für die daneben stehenden Kant-Garagen, die 1930 eröffnet wurden. Doch schon im Jahr darauf übernahm der staatenlose Zenobjucz Messing die Räume. Der Mann war eine schillernde Persönlichkeit mit seiner schwarzen, immer ins Gesicht fallende Mähne und seinem extrem schlechten Ruf. In den Vorjahren war er als Falschspieler in zahlreichen Etablissements rund um das alte Scheunenviertel aufgefallen und verdingte sich als Polizeispitzel. Da er gute Verbindungen zu den Unterweltskreisen und insbesondere zu den Hehlern hatte, war seine Arbeit durchaus erfolgreich.
„Siggi“ Messing dachte sich für die Schankwirtschaft den Namen Groschenkeller aus und machte aus ihm in kürzester Zeit eine Mischung aus Künstler-, Rendezvous- und Ganoven-Kneipe. Vor allem unter Schauspielern und Musikern entwickelte sich der Groschenkeller schnell zu einem beliebten Treffpunkt. Trude Hesterberg war die Schirmherrin und Paula Wessely, Attila Hörbiger, Heinrich George, Werner Kraus, Lotte Lenya, Kurt Weill, Bertolt Brecht und andere Stars waren Stammgäste.

Wenn die Stimmung auf dem Höhepunkt war, sangen alle das Groschenkellerlied von Kurt Bry:
„Im Groschenkeller, da sind die Männer schön,
Wenn da ’ne Frau hinkommt, ist sie ganz fasziniert,
Und gleich im Vorraum, da möcht sie schlafen gehn,
Damit sie keine Zeit verliert.
Da hilft ihr keine noch so gute Kinderstube,
Da denkt sie nicht an den zu Haus gelassenen Ehemann.
Da hilft kein Whisky und kein noch so schöner Zeitvertreib,
Wenn da ’ne Frau hinkommt, wird sie zum Weib.“

Mit der Machtübergabe an die Nazis musste sich der Jude Zenobjucz Messing zurückziehen, der Name Groschenkeller aber blieb. Ebenso die Künstler. Einer von ihnen war Norbert Schultze.
Doch zuerst eine Rückblende zur „Maikäferkaserne“ in der Kesselstraße (heute: Habersaathstraße). Am Abend des 3. April 1915 war dort Gardefüsilier Hans Leip auf Wachposten. Eine „dumpfe Todesahnung“ beschlicht ihn, denn am nächsten Tag musste er an die Front. Er hatte sich kurz zuvor erst von der dunkelhaarigen Lili verabschiedet, dann von der blonden Marleen. Jetzt verschmolzen sie zu Lili Marleen, und nach seiner Ablösung kritzelte er einige Verse mit einer Melodie ins Notizbuch: „Vor der Kaserne vor dem großen Tor…“
Die Sängerin Lale Andersen sang dieses Lied in einer Version, die heute kaum noch bekannt ist. Norbert Schultze komponierte mehr als zwanzig Jahre später im Groschenkeller eine neue Melodie, die sein Verleger jedoch erst ablehnte: „Man kann nicht darauf tanzen, man kann nicht drauf marschieren, vergiss es!“ Tatsächlich verkauft sich diese Version, am 2. August 1939 erstmalig auf Schallplatte veröffentlicht, nur 700 mal. Im Laufe des 2. Weltkriegs aber wird „Lili Marleen“ so oft im Radio gespielt, dass es sich zu einem Millionenhit wird. Norbert Schultze war mit der militärischen Umsetzung seiner Musik nie einverstanden. Trotzdem entwickelte sich Lili Marleen zum Soldatenlied schlechthin. Nach der Wehrmacht übernahmen noch zu Kriegszeiten auch die Briten und US-Amerikaner das Lied in einer englischen Version. Und noch heute wird die Melodie jeden Abend zum Abschluss des Programm von Radio Andernach gespielt, dem Sender der Bundeswehr.

Während der Jahre des Nationalsozialismus‘ versteckte sich der Groschenkeller. Während draußen die Nazis marschierten und Marschmusik angesagt war, spielten hier Ilja Glusgal, Coco Schumann und der „Swing-König“ Teddy Stauffer ihre längst verbotene Musik.
Der junge Geiger Helmut Zacharias war schon als Solist des Berliner Kammerorchesters berühmt, als er um 1940 im Groschenkeller auftauchte und bei den Musikern einstieg, die dort „Negerjazz“ spielten. „Uns haben die Ohren geschlackert“, erinnert sich der Gitarrist Coco Schumann in einem Interview:
„Also dieser Groschenkeller hier in der Kantstraße, das war der Treffpunkt der Jazzer, wie wir damals sagten. Wenn ne Kontrolle kam von der Reichsmusikkammer, die haben alle Ledermäntel gehabt und Schlapphüte. Dann stellten wir einen oben hin, der bekam vom Wirt, den nannten wir Vati, mit nem Rauschebart, ein Bier spendiert. Und unten stand auch einer. Und wenn da so zwei Typen kamen mit Ledermantel und Schlapphüten, hat der runtergepfiffen. Und der unten pfiff. Und wir haben sofort von einem Tiger Rag oder so ne amerikanische Nummer auf Rosamunde oder sowas umgeschaltet. Und dann kamen die runter. Und wenn die dann alles für in Ordnung befunden haben, weil wir so schön deutsche Schlagermusik spielten oder Marschmusik, dann sind die weg. Und alle haben sich unten totgelacht im Groschenkeller.
Wir spielten im Groschenkeller nur verbotene Musik. Es gab ja auch Rassenschande, wie die Nazis es nannten. Ich habe reichlich Rassenschande getrieben. Und irgendeiner, dem ich die Braut ausgespannt hatte, hat rausgekriegt, dass ich den gelben Stern mit der Aufschrift ‚Jude‘ nicht trug. Im März 43 wurde ich zum Alexanderplatz zur Kriminalpolizei hinbestellt. Und die übergab mich der SS.“
Coco Schumann überlebte das KZ Auschwitz und spielte noch mit über 90 Jahren bis zu seinem Tod im Januar 2018.
Den Groschenkeller aber gibt es längst nicht mehr in der Kantstraße.

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4 Kommentare

  1. Hallo und Grüss Gott! Bin heute nach Familienrecherche auf die Seite gekommen und kann zum Groschenkeller hinzufügen: meine Gross-Tante Therese (Tante Thres mit Schüpp und Bees) führte das Lokal 1939 mit Eugen. Sie war bekannt für ihre guten Eintöpfe. Meine Schwester (geb. 1939 Charlottenburg, verbrachte als Baby im Hinterraum ihre ersten Monate. Meine Mutter war die Nichte von Tante Thres. Verrückte Geschichte.
    Liebe Grüße aus Bayern
    Barbara Bose-Waluyo

  2. Schade, das es den Groschenkeller nicht mehr gibt. Besonders die Story um Lilli Marlen hat mir gefallen. Kann man die Fassung von Norbert Schultze oder das Groschenkellerlied nicht irgendwo hören?
    Gruß
    Holger

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