Senator Czaja: Übernehmen Sie endlich politische Verantwortung und entscheiden Sie!

Es ist bisher noch nicht vorgekommen, dass ich hier die komplette Pressemitteilung eines Bürgermeisters veröffentliche. Aufgrund der auch weiterhin katastrophalen Situation der Flüchtlinge beim Landesamt für Gesundheit und Soziales in Moabit hat der Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke, einen Aufruf an den zuständigen Senator gerichtet, der hier dokumentiert wird.

Gesundheitliche Erstversorgung immer noch nicht gelöst – Obdachlosigkeit von Geflüchteten wird hingenommen – Hilfsorganisationen haben kein Personal mehr

In den vergangenen zehn Tagen gab es zahlreiche Krisensitzungen und Koordinierungsstäbe, aber in wesentlichen Fragen, um die humanitäre Situation der Geflüchteten zu verbessern, gibt es keine Fortschritte, weil der zuständige Senator nicht an den Sitzungen teilnimmt und keine notwendigen politischen Entscheidungen trifft. Auch die Sitzung des Krisenstabes vom Montag konnte keine Entscheidungen treffen, weil der zuständige Senator wieder fehlte.
Gemeinsam mit der Ärztekammer, den Johannitern, der Caritas, Moabit hilft, dem LaGeSo und dem Bezirk Mitte sowie weiteren Akteuren sind zahlreiche Problemlösungen entwickelt worden, die aber nicht umgesetzt werden können, weil die politischen Entscheidungen fehlen. So verlieren wir Zeit, gefährden Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, und verlieren das Vertrauen der Berliner_innen in ihre Stadtverwaltung.
Ich fordere den Senator auf, nachdem wir seit Wochen katastrophale Zustände für Geflüchtete in Berlin erlebt haben, die nur durch die Hilfe der Zivilgesellschaft und hunderter Ehrenamtlicher nicht vollendens kollabiert sind, umgehend folgende Entscheidungen zu treffen, die ich bei ihm auch schon im Rat der Bürgermeister in der vergangenen Woche persönlich eingefordert habe:

  • Gewährleistung eines professionellen und finanzierten Medizinischen Erstversorgungszentrums: Einrichtung eines Medi Points (Sanitätszeltes) mit Bereitstellung einer ausreichenden primärärztlichen Versorgung (insbesondere für die Bereiche Allgemeinmedizin, Pädiatrie, Gynäkologie, Dermatologie und Psychiatrie) ganztäglich direkt bei den Flüchtlingen auf dem Gelände des LaGeSo mit
  • Bereitstellung eines Medikamentenbudgets, das eine adäquate medizinische Versorgung ermöglicht.
  • Sicherstellung der Medizinischen Erstversorgung noch nicht registrierter Flüchtlinge in den Einrichtungen.
  • Sicherstellung der Grundversorgung (mit Trinkwasser, Nahrungsmitteln und hygienischen Artikeln) auf dem Gelände des LaGeSo.
  • 24-Stunden-Ansprechservice mit Schuttle-Service an der Turmstraße (gerade an den Wochenenden). Es muss Aufgabe des zuständigen Amtes und nicht die der Polizei sein, dass die Geflüchteten nicht in Obdachlosigkeit geraten und in die Notunterkünfte gebracht werden.
  • Obdachlosigkeit muss endlich zwingend vermieden werden (auch angesichts des kommenden Herbstes und der Kältesaison): Herrichtung des Flughafen Tempelhofes mit den Hangarn zur Unterbringung von noch nicht registrierten Flüchtlingen. Es ist nicht mehr akzeptabel, dass Flüchtlinge ohne Not in den Parkanlagen übernachten, von Privatleuten oder Kirchen und Moscheen aufgenommen werden. Dies ist staatliche Aufgabe.
  • In dieser Krisensituation ist für Mitarbeiter_innen aus dem öffentlichen Dienst und den landeseignen Betrieben eine dem Katastrophenfall analoge Regelung zu schaffen, um die Hilfe zu professionalisieren und die Hilfsorganisationen zu unterstützen. Den Verbänden geht das Personal aus, um Hilfe zu leisten. Es fällt immer schwerer, noch gemeinnützige Betreiber für Einrichtungen zu finden.

Die Flüchtlingszahlen für Berlin werden noch weiter deutlich steigen. Wir müssen von 45.000 in diesem Jahr in Berlin ausgehen. Wenn nicht entschiedener vom zuständigen Senator gehandelt wird, werden wir in den nächsten Wochen und Monaten auf ein Desaster zulaufen. Von Entspannung kann keine Rede sein. Stattdessen wird offensichtlich gegen Regelungen und Gesetze verstoßen: So ist beispielsweise eine Behandlung der Asylsuchenden gemäß der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33, die das Erkennen einer besonderen Schutzbedürftigkeit von antragstellenden Asylbewerbern verlangt, unter diesen Bedingungen nicht einmal mehr ansatzweise möglich.

Auch die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales muss mehr Verantwortung übernehmen und nicht immer nur auf das LaGeSo zeigen, dessen Mitarbeiter_innen schon weit über der Belastungsgrenze ihrer Pflicht nachkommen.

Es ist auch nicht mehr hinzunehmen, dass zunehmend der Bezirk Mitte für die Zustände vor dem LaGeSo verantwortlich gemacht wird, obwohl er keinerlei Zuständigkeit hat und sich dennoch seit Wochen auf unterschiedlichsten Ebene für gute und schnelle Problemlösungen einsetzt.

Ich habe viel Verständnis dafür, dass unter diesen Bedingungen die Zivilgesellschaft, die seit Wochen in der aktuelle Notsituation Hilfe geleistet und auf die Übernahme staatlicher Verantwortung und Organisation gewartet hat, die Geduld verliert und unter dem Motto „Es ist fünf vor Zwölf“ zu einer Demonstration vor der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales für eine humanitäre Flüchtlingspolitik in Berlin am Mittwoch, dem 26. August 2015 um 11.55 Uhr aufruft.

Man hat den Eindruck, dass in der Hausspitze von SenGesSoz die Situation vor Ort, die eher einem „Dritte-Welt-Land“ gleicht, schön geredet, nicht wahrgenommen oder geleugnet wird. Deshalb lade ich den Gesundheitssenator ein, gemeinsam mit mir das Gelände seiner nachgeordneten Behörde zu besuchen und mit ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern_innen das Gespräch zu suchen.

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