Der besondere Ullrich

Ullrich ist ein besonderer Supermarkt. Nicht nur aufgrund seiner Lage unter den Schienen der Fern- und S-Bahn, direkt am Bahnhof Zoo. Die Dunkelheit vor den beiden Eingängen schreckt ein bisschen ab. Aber er zieht auch eine spezielle Klientel an, wie sie für die Gegend typisch ist. Das ist hier eben so.
Egal ob man den Eingang in der Hardenberg- oder der Kantstraße nutzt – zuerst muss man an Menschen vorbei, denen das Leben nicht so gut mitgespielt hat. Manche von ihnen scheinen dort sogar zu wohnen, wenn man diesen Begriff dafür nutzen kann. Andere versuchen sich ein paar Euro zu erbetteln. Doch die Bierflasche in der Hand des Fragenden macht es dem willigen Spender nicht leicht, die Geldbörse zu zücken. Die meisten gehen schnell vorbei.

Manchmal trifft man sie auch im Laden. Zum Beispiel in der Schlange an der Flaschenrückgabe. Heute aber sehe ich ungewöhnlich viele Schwarze hier, sechs von acht Leuten, die die Flaschen gegen den Zettel tauschen möchten, der an der Kasse zu Geld gemacht wird. Ich denke kurz darüber nach, ob Schwarze wohl mehr trinken als andere, verwerfe die Idee aber gleich wieder als Blödsinn.

Ein paar Meter weiter, mehrere Angestellte stehen in der Obstabteilung an einem Gerät. Ein Fachmann erklärt ihnen gerade, wie es funktioniert. Genau kann ich es nicht erkennen, es sieht aus wie eine Saftpresse. Als ich aber zehn Minuten später nochmal dran vorbei komme, erklärt er immer noch. Saft zu pressen scheint nicht so einfach zu sein, wie man als Laie glaubt.

Lange Zeit war der Ullrich-Markt bekannt dafür, dass er besonders lange Öffnungszeiten hat. Vermutlich hatte er eine Ausnahmegenehmigung, weil er direkt am einstigen West-Berliner Hauptbahnhof lag. Mittlerweile darf jeder Supermarkt rund um die Uhr öffnen. Aber dieser hier auch sonntags und an Feiertagen, insofern ist er noch immer eine Ausnahme. Es gibt einen anderen Ullrich, in Mitte. Der ist dafür bekannt, dass dort die Kanzlerin einkaufen geht. Mitte hat Merkel, Ullrich am Zoo den Sonntag. Auch gut.

Zuerst kommt einem das Geschäft riesengroß vor. Ist es aber gar nicht. Wenn man durch die manchmal recht engen Gänge geht, findet man zwar alles was man braucht, aber viel mehr auch nicht. Andere Supermmärkte überschlagen sich mit dem Angebot, 30 Käsemarken, 40 verschiedene Kekse, 50 Apfelsorten. Hier nicht, und trotzdem reicht es völlig. Statt Masse gibt es aber teilweise Klasse. Welcher Supermarkt führt schon Campagner für über 300 oder gar Cognac für 2.200 Euro. Manager aus den nahen Geschäftshäusern decken sich hier ein, genauso wie arme Alkoholiker, die sich ein Bier für 50 Cent kaufen.

Im Gang nebenan schimpft jemand, man hört den lallenden Ton des Alkoholikers, aber ich verstehe ihn nicht. Er wird immer lauter, brüllt fast, aber niemand antwortet ihm. Der Tourist mit umgehängter Kamera neben mir schaut mich erschrocken an. Ich zucke mit den Schultern, lächle kurz und gehe weiter. Gerade kann ich noch sehen, wie ein Verkäufer und ein Man in Black den Krakeeler beruhigen und ihn dann zum Ausgang schieben. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er gefährlich sei, nur eben laut.

Die Frau des Touristen lässt ihre Handtasche im Wagen, während beide im Nebengang verschwinden. Berlin ist zwar keine wirklich gefährliche Stadt, aber etwas vorsichtiger sollte man schon sein. Kurz danach sehe ich sie beide auf dem Weg zur Kasse – mit Handtasche. Überhaupt scheint der Ullrich auch in Reiseführern zu stehen. Innerhalb einer Viertelstunde zähle ich etwa 30 Personen, die eindeutig Berlin-Touristen sind und die nicht den Eindruck erwecken, sie wären tatsächlich zum Einkaufen hier.

Mir fällt auf, dass ich von Anfang an einen Verkäufer an den Hacken habe. Obst, Getränke, Fleisch, Nonfood-Abteilung: Egal wohin ich gehe, immer geht er kurz danach direkt an meinem Gang vorbei. Mir war nie bewusst, dass ich einen solch verdächtigen Eindruck mache. Schließlich spreche ich ihn an, wo denn das Nutella steht. Er zeigt mir den Gang, dann aber doch einen anderen. „Hier steht es. Eigentlich.“ Dann zeigt er in eine andere Richtung, „nein, da hinten.“ Wirklich überzeugend ist er nicht.

Versteckt in einer Ecke die Drogerie-Abteilung. Dort sehe ich zwar keine Kunden, dafür aber gleich vier Angestellte. Eine an der Kasse, die anderen Drei stehen drum herum. Soziale Kontakte werden hier offenbar groß geschrieben.
Anders leider das Bild vor den Kassen am nördlichen Ausgang: Auf dem Boden liegen überall Papier und Teile von Verpackungen herum. Das ist zwar nicht Schuld des Personals, sondern vermutlich von Kunden dort weg geworfen, trotzdem will man so viel Schmutz nicht in einem Lebensmittelladen sehen.
Ich habe bei diesem Supermarkt aber auch schon eine wirklich gute Erfahrung gemacht. Als wir vor einigen Jahren an der nahen Bahnhofsmission eine Weihnachtsfeier hatten, spendete jemand mehrere Kilo Kaffee. Leider als Bohnen, so dass ich alle gastronomischen Einrichtungen innerhalb des Bahnhofs Zoo bat, uns wenigstens einen Teil des Kaffees zu mahlen. Alle lehnten ab. Verzweifelt und frustriert ging ich mit meinen Päckchen zu Ullrich, wo erstmal der Chef gerufen wurde. Und der reagierte unerwartet freundlich. „Selbstverständlich“ könnten wir dort den gesamten Kaffee mahlen.
Danke nochmal dafür!

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5 Kommentare

  1. Schön geschrieben! Da ich die einschlägigen Reiseführer nicht lese, jedenfalls danke für den Tipp ;)
    Das scheint eine ähnliche Berlinwissenslücke zu sein wie noch nicht bei Konnopke ins Würstchen gebissen zu haben.
    Ist etwas über die Eigentümer bekannt?

  2. Ullrich ist ein Familienunternehmen mit insgesamt drei Märkten. Der Einkauf läuft über den Verbund des HIT-Einzelhandels.

    Übrigens schmeckt bei Konnopke die Wurst auch nicht besser, als bei mindestens 20 anderen Currwurstbuden. Die machen nur eine bessere PR, genau wie Curry 36 in Kreuzberg :-)

  3. die beste currywurst, derzeit, gibt´s eh nur an der brutzelbaude im bahnhof gesundbrunnen! keine werbung, aber gut!
    konnopke, und vor allem 36, sind total überbewertet. schmeckt nich!
    achja; und an ca. 50 anderen buden in berlin …

  4. Danke für die Tips, wird beim nächsten Besuch getestet.
    Jetzt hab ich gesucht und bin fündig geworden, wann ich das erste Mal von Konnopke gelesen habe: im Geo special „DDR“ vom Februar 1985. Dort heisst es: „Berlins berühmteste Würstchenbude ist ein Privatbetrieb… Die Würstchenbude unter der Hochbahn, am Dimitroffplatz, das ist die ökonomische Nische, die dem privaten Unternehmer zugewiesen worden ist.“ Noch ein Zitat daraus: „Berlin ist den Schuh wert, den man sich dort abläuft.“
    Wer die staatliche Gastronomie kannte, der wusste auch um den Reiz der raren privaten Konkurrenz und wenn es nur die freundlichere Bedienung war. (Ausnahmen bestätigen die Regel)

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