Nach der Machtübergabe an Hitler und dem Reichstagsbrand veränderte sich das Leben vor allem für diejenigen, die sich in der Zeit davor besonders für Arbeiter- oder Mieterrechte eingesetzt hatten. Gerade in den Mietskasernen, die Hochburgen der SPD und KPD waren, war dies ein unvorstellbarer Einschnitt. Es ist heute auch schwierig, den Alltag nachzuvollziehen, weil viele der Zeitzeugen nicht mehr leben. Etwaige schriftliche Zeugnisse davon existieren kaum, weil sie aus Sicherheitsgründen nicht angelegt oder vorsätzlich vernichtet wurden.
Über die Auswirkung der Verhaftungswellen auf die Bewohner von Meyer’s Hof gibt es kaum Informationen. Augenzeugen dafür sind im Nachhinein nicht an die Öffentlichkeit gegangen und heute sicher nicht mehr am Leben.
Vergleicht man aber die Adressbuch-Einträge der Ackerstr. 132/133 von Ende 1932 mit denen von 1935, fällt auf, dass nur noch 50% der ursprünglichen Bewohner dort lebten. Erst ab 1935 pendelte sich die Bewohnerschaft wieder ein und blieb relativ konstant.
Die 1932 und Anfang 1933 entstandenen Mietergemeinschaften, die sich aus dem gemeinsamen Interesse gebildet hatten, waren zerstört. Die von den Nazis angeordneten „Hausgemeinschaften“ waren damit ja nicht mehr zu vergleichen, die bildeten eher die kleinste Einheit der sogenannten Volksgemeinschaft.
Am 9. Februar 1933, also gut eine Woche nach der Machtübernahme der Nazis, besichtigte eine Kommission der Baupolizei Meyer’s Hof. Sie verordnete Tumarkin ganze drei Auflagen, die allerdings so lächerlich waren, dass es ihm nicht schwer fiel, diese zu erfüllen. Auch ansonsten hat sich Tumarkin mit den neuen Machthabern sehr gut arrangiert, was aus mehreren Briefen hervorgeht.
Dass sich in Bezug auf die ursprünglichen Forderungen der Mieter von Meyer’s Hof nichts verändert hatte, zeigt der Text eines Briefes, den eine Mieterin im Dezember 1934 schrieb: „Hierdurch teile ich ihnen höflich mit, daß ich unserem Hauswirt Dr. Tumarkin seit Jahren nach jedem Regen gemeldet habe, wie sehr es in unserer Küche durchregnet, doch blieben meine Beanstandungen immer ohne Erfolg.“
Erst 1935 griff der Bezirk mit öffentlichen Mitteln in die Verhältnisse in Meyer’s Hof ein: „Heute hat die neue Bezirks-Verwaltung des Weddings mit allen Kräften eine Besserung der Wohnverhältnisse herbeigeführt. Nicht nur die Fassaden des Vorderhauses und der sechs Quergebäude wurden instandgesetzt, sondern auch sämtliche Treppenhäuser und Wohnungen in einen freundlichen und wohnlicheren Zustand gebracht.“
Es ist zu vermuten, dass die oberflächlichen Maßnahmen vor allem im Zusammenhang mit den für 1936 geplanten Olympischen Spielen und der damit verbundenen internationalen Öffentlichkeit standen.
Eines der wenigen Zeugnisse aus der Zeit des Faschismus, die Meyer’s Hof betreffen, fand sich 1941 in der von Joseph Goebbels gegründeten Zeitschrift „Das Reich“:
„1933 begann man zuerst das Haus von den örtlich allgemein behannten politischen Anführern zu säubern. Mehr war kaum auf den ersten Anhieb zu tun. Der Riesenkomplex der über sechs Höfe aufgeteilten Mietskasernen wird heute von 675 Menschen bewohnt.
Die 170 Familien des Hauses, von denen etwa 20 in Kochstuben wohnen, haben 130 Kinder. Die Mieter der Einzelstuben sind zu 80 Prozent alte Leute, Rentner-Ehepaare oder verwitwet. Die übrigen Kochstuben werden von jüngeren Ehepaaren bewohnt, die z.T. erst in den letzten zwei, drei Jahren zuzogen und deren Kinder schon während des Krieges geboren wurden. Sie gehören, wie die Mehrzahl der Familien hier, der Arbeiterschaft an.
1938 setzte die Kreisleitung VI der NSDAP einen politischen Treuhandverwalter für Meyers Hof ein. Er hat die Vollmacht zur weltanschaulichen, politischen und sozialen Beaufsichtigung der Mieter und setzt sich auch dafür ein, daß rückständige Mieten bezahlt werden. Der politische Treuhandverwalter ist eine Sondererscheinung, bedingt durch die außergewöhnlichen Verhältnisse dieses gigantischen Hauses. Die Partei wird durch einen Zellenleiter vertreten, der Werkzeugmacher von Beruf ist, und von fünf Blockleitern.
An allen Ecken und Enden ist mit dem Aufräumen begonnen worden. Alte, alleinstehende Personen, die es gewohnt waren, ihre oft nicht sauberen Zimmer auch noch als Nachtasyle gegen Entgelt zu verwerten, und die davon nicht abließen, wurden mit Hilfe der Stadt in Altersheimen untergebracht. Die dadurch frei gewordenen Räume, meistens Kochstuben, wurden mit anderen Einzelzimmern verbunden, so daß Familien mit Kindern mehr Platz erhielten. Mit dem Ziel, den Familien nach ihrer Kopfzahl die geeignetste Wohnung zu verschaffen, wurde in dem Gebäudekomplex Wohnungstausch über Wohnungstausch vorgenommen. Vor allem galt es, das Haus zu entvölkern. Die Keller-Wohnungen mußten ganz aufgehoben werden.
In einem Raum von 75 qm wurde eine Schar der HJ hereingenommen. Ihr Auftreten hatte eine gute propagandistische Wirkung und viele Anmeldungen zur Folge. Bei den allgemeinen öffentlichen Versammlungen schneidet Meyer’s Hof keineswegs schlecht ab. In vielen Fällen kann man eher das Gegenteil sagen.
Die Mehrzahl der Familien, das hat sieh in den letzten Jahren gezeigt, sind sehr wohl fähig, sich in ein höheres soziales Niveau einzuordnen, wenn man sich Mühe um sie gibt. Auf der anderen Seite existieren schwierige, vielleicht hoffnungslose Fälle. Aber die kommen nicht nur hier, sondern auch anderwärts vor.
Es gibt in Meyer’s Hof Menschen, die 45, ja 60 Jahre in ihm wohnen, die sich auch heute dort in ihrem gewohnten Heim glücklich fühlen und hoffen, bis zu ihrem Tode nie ausziehen zu müssen. Frau S., eine Witwe, wohnt seit 44 Jahren in der gleichen Stube und Küche. Sie zog darin neun Kinder auf. Ihr Mann war 27 Jahre lang der Wächter des Hauses, das früher noch jeden Abend abgeschlossen wurde.“
Wann während des Kriegs Meyer’s Hof beschädigt wurde, weisen keine Dokumente mehr nach. Auf jeden Fall gab es die ersten Bombenschäden in der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember 1943. Ein Artikel, der 1947 im „Sozialdemokrat“ erschien, gibt einen kleinen Einblick:
„In einer schrecklichen Nacht rissen Bomben eines der Quergebäude in Stücke, fraßen die Flammen vier weitere Blocks, so daß nur noch das Vorderhaus und das erste Hintergebäude stehen blieb! Über zweihundert Wohnungen wurden zerstört, über siebenhundert Menschen verloren ihr Obdach, oft ihre letzten Habseligkeiten. Nuir hundert Wohnungen, in denen jetzt dreihundert Arbeiter mit ihren Familien, Rentner und Pensionäre hausen, blieben erhalten. Und, ein Trost bei allem Unglück, sämtliche Einwohner der kleinen Stadt konnten sich retten.
‚Nieder mit den Nazis‘ kann man am Flureingang lesen. Ein mutiges Wort, mit grüner Farbe geschrieben, als Meyer’s Hof brannte, Ausdruck der Gesinnung einer Stadt in der Stadt, die sich zur Weimarer Zeit an ‚besonderen Tagen‘ in rotes und schwarz-rot-goldenes Fahnentuch hüllte und braune Sprechchöre zum Teufel jagte. Und die auch heute noch denkt und fühlt und haßt und liebt wie ehemals.“
Von Meyer’s Hof blieb nach dem Krieg nur das Vorderhaus und das erste Hinterhaus erhalten, die vier hinteren Quergebäude waren vollständig zerstört und wurden später abgerissen.

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