BERNAUER 111

Bernauer Ecke Ackerstraße steht ein Haus, das eigentlich als Provisorium gedacht war; nur vorübergehend sollte hier die Versöhnungsgemeinde untergebracht werden. Doch die Geschichte hatte andere Pläne und so ist der weißgraue Bau nun schon seit über 30 Jahren das Zentrum der Gemeinde. Die großen Lettern „BERNAUER 111“ an der Hauswand gelten sicher nicht einem kurzsichtigen Postboten, sondern erwecken den Eindruck, dass sie einst nach Ostberlin sigualisieren sollten: „Wir sind noch da!“ Über 15 Jahre lang schauten zusätzlich große, plakativ auf die Wand gemalte Kinder und eine alte Frau über die Grenze nach Ostberlin – „Versöhnung im Schatten der Mauer“. Anfang 1990 verschwand dieses Wandbild unter einer ökologischen Fassadendämmung des Hauses.
Dort, wo der Todesstreifen die Menschen fast 30 Jahre lang trennte, stellte sich die Versöhnungsgemeinde auch der Aufgabe, Kulturort im Kiez zu sein. in einer Gegend, die kulturell im Schatten lag und zeitweilig als größtes innerstädtisches Sanierungsgebiet Westeuropas weitere Umbrüche und Veränderungen erfuhr. Im Haus Bernauer 111 entwickelte sich ein lebendiges Miteinander von Gottesdiensten, Konzerten, Ausstellungen, Konfirmandenunterricht, Projekten und Kursen. Ein Bistro im Erdgeschoss lädt zum Verweilen.
„Hier, wo mit Händen zu greifen ist, wie die Berliner Mauer ins Lebendige schneidet, besteigen die Fagottisten eine Beobachtungs-Plattform. Sie heben ihre Rohre, die nun martialisch wirken, und blasen gegen die Grenzanlagen an. Hektische Aktivitäten der DDR-Grenzer sind die Folge: Kameras klicken, Hunde bellen, Jeep fahren auf und ab. Es klingt das Motiv der Posaunen an, die die Mauern von Jericho zermürben“ (aus einem Bericht der Weddinger Musikschule).
Als 1989 die Mauer fiel, versammelten sich hier wieder 1.500 Menschen unter der Regie der Musikschule zum Musizieren – open air. 1990 wurde hier an der Bernauer Ecke Ackerstraße damit begonnen, die gekappten Straßenverbindungen zwischen beiden Stadthälften wieder herzustellen und der endgültige Abriss der Mauer eingeleitet. Noch immer stehen ein paar hundert Meter der alten Mauer, und der ehemalige Todesstreifen ist noch gut zu erkennen.
Einige Jahre später hat die Versöhnungsgemeinde das Grundstück ihrer gesprengten Kirche zur sakralen Nutzung zurückerhalten. 1997 soll darauf gebaut werden: Eine kleine Kapelle, über den im Boden liegenden Fundamenten der Kirche, soll in der Zukunft wieder der Ort für die Gottesdienste der Gemeinde werden. Die alten, zurückgekehrten Glocken der Versöhnungskirche werden auf einem Läutgerüst wieder rufen und der schwer beschädigte Altar wird im Inneren der Kapelle mahnen.
In der Bernauer entsteht auf und am ehemaligen Todesstreifen um die Ackerstraße herum ein Ensemble von der Mauergedenkstätte des „Deutschen Historischen Museums“, den Friedhöfen der Sophien- und Elisabeth-Gemeinde mit Massengräbern der Toten des letzten Weltkrieges, bis zur Versöhnung, als Ort der Erinnerung und des Gedenkens. Unter behutsamer Einbeziehung der Bebauungsplanung auf dem zum Leben erwachten Todesstreifen.
In der Gemeinde blickt man heute auf ein Jahrhundert kirchlicher Aktivitäten zurück. Von der Versorgung Bedürftiger, bis zur kulturellen Versorgung im Kiez, nie wurde in der Versöhnungsgemeinde der Glaube ausgespart. Die Gemeinde blieb Kirche mit und ohne Gotteshaus. Und – wie ich finde – eine besonders sympathische.

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1 Kommentar

  1. Hier bin ich aufgewachsen. Pappelplatz, Elisabethkirche, Junge Gemeinde, Sonja, Suckers, Pfarrer Eichler…. Schöne Erinnerungen

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