Tagsüber fallen sie gar nicht auf. Und wer nachts über den Rosenthaler geht, seinen Kopf aber nicht hebt, der bemerkt sie auch nicht auf Anhieb. Aber wenn man bewusst nach oben schaut, dann wundert man sich, wie man sie übersehen konnte. Die vier riesigen Doppel-Laternen, die die Kreuzung aus etwa 14 Metern Höhe in hellrosa Schummerlicht tauchen, gehören so selbstverständlich zum Rosenthaler Platz, dass sie so wenig wahrgenommen werden, wie etwa die Scheinwerfer einer Theaterbühne, die, im Boden eingelassen, doch unverzichtbar sind – erst wenn sie mal verloschen sind, merkt man, dass etwas fehlt.
Erst die Höhe dieser Laternen macht die Ausleuchtung des Platzes nicht nur in seiner Breite (die ist nicht so doll), sondern in seiner Höhe möglich. Stark leuchtende Straßenlaternen, in der üblichen Höhe angebracht, lassen die Hausfassaden ab der zweiten Etage im Dunkeln verschwinden. Nicht so am Rosenthaler Platz. Die Häuser werden angestrahlt, so dass der Eindruck eines höheren Platzes entsteht, fast der eines Raumes, durch feste Wände begrenzt.

Der Verkehr versiegt an dieser Kreuzung zweier wichtiger Verbindungsstraßen auch in der Nacht nicht. Dort, wo ein weißer Neubau plump seine Fassade, dem Bauch einer Hochschwangeren gleich, herausstreckt, sieht man die wie zu einer Perlenkette aufgereihten, gelb leuchtenden Schilder – und ein Kommen und Gehen, besser: Fahren. Taxis, die nicht mehr auf den Halteplatz passen, versammeln sich schon in der zweiten Spur. Bis die gegnerische Mannschaft im grün-weißen Wagen kommt und sich demonstrativ dazu stellt, um die Falschhalter zu verscheuchen. Nach einem kurzen Spurt um den Block, oder auch nur um die Kreuzung, sind sie alle wieder versammelt, in der zweiten Spur.

Während sich die menschlichen Überreste irgendeiner Party aus einem beliebigen Club vom Oranienburger-Kiez her auf dem Rosenthaler verteilen, macht der Inhaber vom »Imbiss International« die ganze Nacht hindurch sein Geschäft. Frühaufsteher und Späteinschläfer neben Punks und Hippies, neben Bürgerlichen und Nicht-Bürgern, versorgen sich dort mit Bier oder Minipizza oder Schokoriegeln.
Anders als der große Bruder »Burger King«, wo bis vor kurzen zwar die bunte Außenwerbung die Blicke auf sich zog, der dann aber auch den perfekten Kontrast bot. Zwei Etagen große, leere, schwarze Fenster weisen jeden Hungrigen schon von weitem ab. Davor, an der Straßenbahnhaltestelle, begrenzen zwei hell leuchtende, vielleicht drei Meter hohe Stelen, torgleich den Weg in die Torstraße gen Osten. Sie stellen die dunklen, traurig daliegenden Eingänge zur U-Bahn in den Schatten.

Wie der Bug eines Schiffes, das am Kai festgezurrt ist, ragte das kastrierte Eckhaus zwischen der Brunnenstraße und dem Weinbergsweg in Richtung Platz. Doch es erreichte ihn nicht, denn das Schiff war längst abgewrackt: Zugenagelte Schaufenster, von unbekannter Hand mit Plakaten versiegelt; darüber leere, schmutzige Scheiben, durch die schon lange kein Kapitän und kein Kunde mehr schaute. Der oberen Stockwerke beraubt, sah dieses Haus-Schiff aus wie viele derjenigen, die hier in der Gegend wohnen: Obwohl noch nicht zerstört, war die Zeit doch schon abgelaufen. Man rostet vor sich hin und wartet, dass jemand kommt, der einen an die Hand nimmt, der einem aufhilft, weil man allein nicht mehr hoch kommt. 1999 ging das Haus den Weg der Titanic – es versank, wurde zerstört und machte den Weg frei für eine Betonplatte, auf der nun einige Einkaufsbuden stehen.

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