Von der Großen Koalition zum Schloss der Republik

12. Januar 1996
Vorstellung der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD. Der Berliner Haushalt (ca. 23 Milliarden DM Schulden) soll durch drastische Einsparungen beim Personal (Stellenabbau um 18.000) und Verkauf von Landesvermögen (u.a. Teilverkauf der BEWAG) saniert werden. Der Senat soll von 15 auf 10 Senatoren, die Anzahl der Bezirke von 23 auf 18 verringert werden. Auf Drängen der SPD soll für die Fusion Berlins mit dem Land Brandenburg bereits 1999 „geworben“ werden.

25. Januar 1996
Der neue Senat mit je fünf Senator(inn)en von CDU und SPD unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) ist im Amt.

29. Februar 1996
Eröffnung der „Galéries Lafayette“ in der Friedrichstraße Ecke Französische Straße. Das mit 8000 qm Verkaufsfläche auf vier Stockwerken errichtete Kaufhaus (Mode und Gastronomie) ist Teil des 1,4 Milliarden-Projekts „Friedrichstadt-Passagen“. Die mit insgesamt vier Milliarden DM Investitionsaufwand zum „Schaufenster des Ostens“ hochgepäppelte Friedrichstraße dürfte nach Einschätzung von Stadtplanern frühestens mit dem Eintreffen kaufkräftiger Kundschaft nach dem Regierungsumzug die erhoffte urbane Funktion bekommen. In ganz Berlin stehen eine Million qm Bürofläche leer, trotz erheblicher Mietnachlässe sind von den bereits fertigen Flächen im Bereich Friedrichstraße erst ca. 10 % vermietet.

1. März 1996
Der ehemalige Kaisersaal des 1908 gebauten Hotels „Esplanade“ wird transloziert. Der 18.000 Tonnen schwere und 18 mal 11 Meter große Rest des Nobelhotels, der 1990 unter Denkmalschutz gestellt wurde, wird zunächst um 2,50 Meter angehoben, etwas gedreht und dann um 75 Meter ostwärts in das am nordwestlichen Potsdamer Platz entstehende Sony-Center hydraulisch verschoben. Die aus Marmor, Stuck, Säulen und Spiegeln bestehende Inneneinrichtung des Saales, in dem Kaiser Wilhelm II. seine Herrenabende abhielt, wurde in 500 Einzelteile zerlegt und ausgebaut. Im futuristischen 9-stöckigen Forum des Sony-Centers soll der versetzte Saal zum Anziehungspunkt werden. Die Aktion (Kosten: 5 Mio) ist am 21. März 1996 beendet.

3. März 1996
Das Zentrum für Berlin-Studien der Zentral- und Landesbibliothek Berlin wird eröffnet. Darin werden u.a. die vereinten Berlin-Bestände der Amerika-Gedenkbibliothek (ehemals West) und der Berliner Stadtbibliothek (ehemals Ost) angeboten, das wohl weltweit größte Archiv gedruckter Quellen zum Thema Berlin.

5. März 1996
Die Senatskoalition aus CDU/SPD beschließt weitere drastische Sparmaßnahmen, um das Haushaltsloch von 5,3 Milliarden DM zu stopfen: bis 1999 sollen nun 22.000 Stellen im öffentlichen Dienst wegfallen, darunter 3.000 für Lehrer und Hochschullehrer sowie 2.000 Stellen bei der Polizei. Die befürchteten Theaterschließungen konnten abgewendet werden, dafür sollen die bezirksbezogenen Mittel für Sozialarbeit erheblich gekürzt werden. Berlin – einst das vom Bund subventionierte „Schaufenster“ des Westens – ist nun gezwungen, eine ganz normale Haushaltspolitik zu betreiben.

19. März 1996
Die Planungen für ein 2,7 ha großes Grundstück am Leipziger Platz werden vorgestellt. Mittelpunkt des Komplexes wird ein weithin sichtbarer Kuppelbau „Cirque du Soleil“ mit rund 150 Läden und Gaststätten in vier Etagen sein. An der Rückseite (entlang der Voßstraße) soll ein Unterhaltungsboulevard mit Musikkneipen entstehen. Dazu werden im weiteren Umfeld neben einem Hotel, einem Kaufhaus (40.000 qm) sowie diversen Bank- und Bürogebäuden ein markanter „Techno-Tower“ als Sammelpunkt für die kommerzialisierte Technoszene gebaut. Die Investoren (1,2 Milliarden DM) hoffen, zusammen mit den neuen, eher konventionellen Unterhaltungs-Einrichtungen am benachbarten Potsdamer Platz zum wichtigsten Berliner Entertainment-Zentrum zu werden.

5. Mai 1996
Berlin und Brandenburg bleiben getrennte Bundesländer. Die Volksabstimmung ergab: Berlin 53,4% Ja-Stimmen, Brandenburg 63% Ablehnung der Fusion. Brandenburgische Fusionsgegner befürchteten, in einem von Berlin dominierten Bundesland wieder zu kurz zu kommen, wie schon zu DDR-Zeiten zugunsten Ost-Berlins. Die Regierungschefs Diepgen und Stolpe erklärten enttäuscht, nunmehr ersatzweise eine verstärkte „kooperative Zusammenarbeit“ zu praktizieren; dazu sind rund 200 weitere Staatsverträge und Verwaltungsabkommen notwendig (siehe 20. November 1996)

10. Mai 1996
Teil-Inbetriebnahme der ersten nach 1945 in Berlin gebauten Zentrale einer demokratischen Partei. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) hat ihr einen Schiffsbug zitierendes Willy-Brandt-Haus (Architekt: Helge Bofinger) auf einem spitzwinkligen „Torten“-Grundstück an der südlichen Wilhelmstraße/Ecke Stresemannstraße im Bezirk Kreuzberg errichtet. Im überdachten Atrium wurde eine Willy Brandt darstellende Bronzeplastik aufgestellt, die mit 3,50 m Höhe das bisher höchste Monument eines deutschen Nachkriegspolitikers ist.

28. Mai 1996
Berlin-Schönefeld wird Großflughafen, Sperenberg ist aus dem Rennen. Die Entscheidung zugunsten Schönefelds bedeutet: Ausbau als internationales Luftkreuz Berlin-Brandenburg bis zum Jahre 2010, Planziel 20 Mio. Passagiere/Jahr, ausbaufähig auf 35 Mio. (z.Z. ca. 2 Mio.), Investitionskosten ca. 10 Milliarden DM (privat finanziert), schrittweise Aufgabe der Flughäfen Berlin-Tegel und Berlin-Tempelhof. Die durch die Konzentration auf einen Großflughafen freiwerdenden Areale bieten gute städtebauliche Entwicklungs-Möglichkeiten: große zusammenhängende Flächen in relativ zentraler Lage (besonders Tempelhof) mit guter Verkehrsanbindung.

Juni/September 1996
„Schaustelle Berlin“ heißt ein Programm, mit dem die Senatsbauverwaltung und viele private Bauherren im Bereich Mitte/Tiergarten die negativen Folgen der starken Bautätigkeit im Kern der Stadt abfangen wollen. Es gibt zahlreiche Ausstellungen, Vorträge und vor allem geführte Baustellen-Besichtigungen. Man hat erkannt, dass die unzugänglichen lästigen Baustellen – vorgestellt als öffentlich besuchbare Objekte – einen positiven Ereignischarakter haben.

13. Juli 1996
Loveparade ’96. Diesmal waren im Tiergarten ca. 750.000 Raver dabei!

2. August 1996
Schiffahrtsfreigabe der Spreeverlegung am Spreebogen. Auf einer Länge von 200 m wurde die Spree um 70 m nach Norden umgebettet, um im trockengelegten alten Bett einen 17 m tiefen Anfahrschacht als Teil des Tiergarten-Tunnels zu bauen. Das Gesamtprojekt ist mit 3,1 Milliarden DM veranschlagt, davon 700 Mio DM für die Bundesstraße 96, 350 Mio DM für den U-Bahn-Tunnel und rund 2 Milliarden DM für die Fernbahnröhre Nord-Süd. Diese Verlegung wird zwei Jahre dauern, bis Juli 1998.

8. November 1996
Die „Hackeschen Höfe“, ein Ensemble von acht Innenhöfen im Jugendstil im Bezirk Mitte (S-Bhf. Hackescher Markt), sind stilgerecht saniert. In den Geschäften, Restaurants, Theater- und Revuesälen kann sich trotz hoher Mieten ein szenegetragenes Leben halten, weil die Berliner den Bereich der Spandauer Vorstadt mit seinem interessanten Branchenmix insgesamt „ins Herze“ geschlossen haben.

15. November 1996
Grundsteinlegung für das Bundespräsidialamt im Bereich des Spreebogens. Der bereits „Präsidentenei“ getaufte Rundbau soll bereits im Juni 1998 bezugsfertig sein. Damit dokumentiert auch diesmal der Bundespräsident, dass er es mit der tatsächlichen Hauptstadtwerdung Berlins ernst meint.

20. November 1996
Die Länder Berlin und Brandenburg schließen eine Kooperationsvereinbarung ab. Es ist der „zweitbeste Weg zur Zusammenarbeit“, nachdem eine Fusion beider Länder in der Volksabstimmung am 5. Mai 1996 abgelehnt worden war.

24. Dezember 1996
Die neue „Max-Schmeling-Halle“, eine Mehrzweck-Sporthalle mit max. 10.000 Zuschauerplätzen im Bezirk Prenzlauer Berg, wird in Anwesenheit Max Schmelings offiziell eröffnet.

17. Dezember 1996
Auch außerhalb der Innenstadtbereiche geht man in die Höhe, am nordwestlichen Treptower Park, in einer ehemaligen Industriezone am Spreeufer, entsteht z.B. ein von einem 30-geschossigen Hochhaus dominiertes Bürozentrum („Treptowers“).

19. Dezember 1996
Die Privatinitiative „Arbeitsgemeinschaft Berliner Stadtschloss“ legt ein Konzept für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses vor. Die ca. 1 Milliarde teure Rekonstruktion soll allein von privaten Bauträgern finanziert werden. Voraussetzung hierfür wäre, dass Bund und Land Berlin das Grundstück kostenlos zur Verfügung stellen. Die ca. 80 Millionen DM teure Wiederherstellung der barocken Fassade (auf modernem Kern) soll in Raten von der „Stiftung Berliner Stadtschloss“ u.a. durch den Verkauf von Backsteinen aufgebracht werden. Der Entwurf (Architekt Ralf Schüler) sieht vor, drei Außenfassaden des alten Schlosses von Andreas Schlüter exakt nachzubauen; in die Ostfassade soll jedoch (als Kompromiss-Angebot an die Kritiker einer „Siegerarchitektur“) ein Teil des Palastes der Republik integriert werden. Das Konzept (Motto: „Berlin bekommt wieder seine Mitte!“) sieht neben repräsentativen Staatsveranstaltungen eine weitgehend gemischte öffentliche Nutzung vor: Konferenzzentrum, Bibliothek, Kunsthalle, Restaurants und Geschäfte.

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