Vom Dauerfrost zur S-Bahn-Klimaanlage

10. Januar 1997
Eine seit dem 23. Dezember 1996 anhaltende Dauerfrostperiode mit Temperaturen bis zu -24 °C gibt den Berlinern Gelegenheit, auch zugefrorene Gewässer in ihre Verkehrs- und Wintersportplanung aufzunehmen. Einzig noch eisfreie Gewässer sind die Baugruben am Potsdamer Platz und im Spreebogen; sie werden ständig mit ca. 8°C warmem Grundwasser nachgefüllt.

Januar 1997
Das Projekt Transrapid Berlin-Hamburg (siehe auch 2.3.1994) entschwebt den Realitäten. Nachdem Bundesverkehrsminister Wissmann vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages geäußert hatte, „einen Transrapid um jeden Preis“ werde es nicht geben (der Bund trägt die Kosten des Fahrwegs), signalisierte das Betriebskonsortium den möglichen Rückzug. Das Handelsblatt meldete: „Der Transrapid steht vor dem Aus“. Neue interne Berechnungen eines Mitglieds des Konsortiums (Thyssen, Siemens, Adtranz, Bahn AG, Bilfinger & Berger) zeigen, dass nur sehr hohe Fahrpreise den Transrapid rentabel machen würden. Dann kämen jedoch die notwendigen Fahrgastzahlen nicht zustande, um den Transrapid in die Gewinnzone zu bringen. Während die Bahn AG auf ihren konventionellen Strecken ca. 20 Pfennig/km verlangt, müsste der Transrapid um 50 Pfennig je Personen-Kilometer einfahren, um rentabel zu sein. Mit Geschäftsreisenden allein käme man nicht annähernd auf die 11,4 bis 15,2 Millionen Fahrgäste/Jahr.
Allen Beteiligten wird klar, was Kritiker („Miesmacher“) von vornherein einwendeten: mit der Strecke Berlin-Hamburg wurde eine untaugliche Referenzstrecke für den Transrapid ausgewählt. Das Vorhaben sollte offensichtlich nicht einem dringenden Verkehrsbedürfnis entsprechend realisiert werden, sondern in erster Linie dem weltweiten Nachweis deutscher High-Tech-Kompetenz dienen. Die später begonnene Entwicklung eines noch schnelleren Magnetbahnsystems in Japan (als Ersatz der wirtschaftlich erfolgreichen „Shinkansen“-Strecke im Ballungsraum Tokio-Osaka) ist inzwischen soweit gediehen, dass der Vorsprung des deutschen Transrapid-Systems in absehbarer Zeit (ca. 3-5 Jahre) eingeholt sein dürfte.
„Der Transrapid ist, bis er fährt, 30 Jahre alt und kommt gleich nach Mannheim ins Landesmuseum für Technik und Arbeit“ (Lothar Späth).

13. März 1997
Einweihung des Großprojekts „WISTA“ (Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Berlin-Adlershof). Für 550 Mio. DM wird von 1998-2010 auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes Johannisthal ein „High-Tech-Campus“ aus Instituten der Humboldt-Universität entstehen. Zuerst müssen die Chemiker und Physiker, später die Biologen, Geographen und Psychologen ihre zu eng gewordenen Institutsgebäude in der Innenstadt aufgeben. Transfereffekte verspricht man sich aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu weiteren außeruniversitären Forschungs-Einrichtungen, High-Tech-Firmen und geförderten Innovations- und Gründerzentren. Auf den insgesamt ca. 450 ha WISTA-Fläche werden eine Wohnzone und eine fast 70 ha große Park- und Freizeitanlage das Angebot abrunden.

20. März 1997
Offizieller Start des Umbaues des ehemaligen Preußischen Herrenhauses zum Bundesratssitz. Der Anfang dieses Jahrhunderts im neubarocken Stil errichtete Bau an der Leipziger Straße diente bis 1918 dem Adel als zweite Kammer des preußischen Parlaments. Insofern setzt sich der Bundesrat als Länderkammer des deutschen Parlaments in die Tradition des Hauses. Die Totalsanierung des riesigen Baues wird 200 Mio. DM kosten, seine Fertigstellung wird mit „Anfang 2000“ angegeben.

April 1997
Auftragsvergabe für das Schauhaus (Wechselausstellungsgebäude) des Deutschen Historischen Museums an den Architekten I.M. Pei. Der Neubau wird 3.000 qm Austellungsfläche enthalten und von 1999-2001 nördlich des Zeughauses errichtet.

24. April 1997
Einweihung der renovierten Deutschen Bank Unter den Linden 13-15, die damit Berlin als zweitwichtigsten Verwaltungssitz ausbaut. Das neo-renaissancehafte Gebäude aus den Jahren 1888-1889 wurde aus- und umgebaut und mit einigen modernen Elementen ergänzt. Im Erdgeschoss wird in Zusammenarbeit mit dem Guggenheim-Museum, New York, eine Ausstellungsfläche öffentlich zugänglich sein.

26. April 1997
Das neue Hotel Adlon wird mit der „Berliner Rede“ des Bundespräsidenten Roman Herzog am alten Standort Unter den Linden Ecke Wilhelmstraße inoffiziell eröffnet (Vorlaufbetrieb bis 22. August). Das frühere Adlon (1908-1945) war kurz nach der Besetzung Berlins ausgebrannt und das Haupthaus abgerissen worden. Die Neubaufassade nimmt weitgehend die alten Formen des Grandhotels (Neo-Historismus) mit einem zusätzlichen Geschoss wieder auf. Nach Ansicht seiner Erbauer (Kempinski-Gruppe) und Architekten (Patzschke, Klotz u. Partner) haben die Gäste eine „Fassade des positiven Denkens, der Lebensfreude und der Zuversicht“ bekommen. 450 Zimmer und Suiten – davon zwei „Präsidentensuiten“ – die Restaurants und Säle wurden mit einem Aufwand von ca. 450 Mio DM errichtet. Ein Kritiker: „Alles hier ist übertrieben, Stil-Havarie, protzig, outriert, von oben bis unten Operette“. Der Bau stehe für das „parvenühafte der Stadt Berlin nach 1989“. Trotzdem dürfte dieses einzige Berliner Haus der Internationalen Luxusklasse wieder ein voller Erfolg werden, weil es eine gewollte Distanz zu den anderen Großhotels schafft.

25. Juni 1997
Beschluss des SPD/CDU-Koalitionsauschusses zur Neugliederung der Berliner Bezirke: aus bisher 23 sollen 12 Bezirke werden. Der Modellentwurf der Innenverwaltung sieht nur die Erhaltung von Reinickendorf, Spandau und Neukölln vor; zu je einem Bindestrich-Bezirk sollen zusammengelegt werden: Tiergarten, Mitte und Kreuzberg; Pankow, Weißensee und Hohenschönhausen; Charlottenburg und Wilmersdorf; Zehlendorf und Steglitz; Schöneberg und Tempelhof; Treptow und Köpenick; Friedrichshain und Lichtenberg; Marzahn und Hellersdorf; Wedding und Prenzlauer Berg. Die Zustimmung des Abgeordnetenhauses (Zweidrittel-Mehrheit erforderlich) ist jedoch ungesichert, da dieser Plan, vorrangig aus aktuellem Sparzwang geboren, zu einer Ausdünnung bezirklicher Verwaltungsbehörden und damit zu geringerer Bürgernähe führen werde. Dieses Konzept wird später z.T. geändert (siehe 26. März 1998).

12. Juli 1997
Die Love Parade 1997 hat fast 1 Million Raver in und um den Tiergarten herum zusammengebracht. Berliner Grünverwalter hoffen nun auf Regenfälle, damit die urinöse Überdüngung der Pflanzen im Regenerationsbereich der sich erleichternden Massen nicht zu Dauerschäden führt.

8. Dezember 1997
Als neuer Direktor des Jüdischen Museums wird Michael Blumenthal vorgestellt. Der 1926 in Oranienburg als Sohn eines jüdischen Bankiers geborene Blumenthal lebt seit 1947 in den USA. Als Industrieller beriet er US-Präsidenten, bekleidete Botschafterposten und war von 1977 bis 1979 US-Finanzminister. Auf Bitten der Kulturverwaltung hat sich Blumenthal „nach reiflicher Überlegung“ bereit erklärt, den Aufbau des Museums bis 1999 zu leiten. Sein Vorgänger im Amt, Amnon Barzel, war mit seiner (nun zugesagten!) Forderung nach Autonomie für das Jüdische Museum, das der Generaldirektion des Berliner Stadtmuseums unterstellt ist, im Sommer gescheitert.

21. Dezember 1997
Letzte Fahrt der legendären mostrichfarben-stumpfroten alten S-Bahnwagen. Die noch einsatzfähigen acht Züge der von 1927-1931 gebauten und eingesetzten 1.250 Exemplare der Baureihe 475 werden in einem Abschiedskorso von Westkreuz nach Ostkreuz außer Dienst gestellt. Selbst auswärtige S-Bahnfreunde wurden gesichtet, der „Abschiedsschmerz“ in Versform verarbeitet:
Der 475er rollt nicht mehr. – Wir vermissen ihn jetzt sehr.
Das Heulen seiner vier Motoren klingt lange noch uns in den Ohren.
(Gert Gunkel, Offenbach)
Die neuen „Stadtbahner“ der Baureihe 481 haben Klimaanlage, zentralgesteuerte Türschließ-Einrichtungen und sind durchgehend mit gepolsterten Sitzen ausgestattet.

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