Von Transrapid-Träumen zum Autobahnbau

2. März 1994
Entscheidung der Bundesregierung für den Bau einer Transrapid-Strecke Berlin – Hamburg. Die geplante 292 km lange Betontrasse soll 161 km ebenerdig und 131 km auf Stelzen verlaufen. Kritiker halten die vom künftigen Betreiber genannten Benutzungs- und Rentabilitätsansätze für unseriös überhöht. Vor allem wird auf den Unsinn einer mit dem vorhandenen Schienennetz nicht kompatiblen Fahrwegstechnologie verwiesen, zumal diese auf ganzer Strecke fast parallel zur bestehenden Schienentrasse errichtet werden soll. Der von der Deutschen Bahn AG geplante Ausbau der konventionellen Strecke Berlin-Hamburg für Hochgeschwindigkeitszüge (Fahrzeitdifferenz zum Transrapid: ca. 20 Minuten) wird damit hinfällig. Vorsichtig geschätzte Investitionskosten: 15 Milliarden DM.

10. März 1994
Verabschiedung des Umzugsgesetzes Berlin-Bonn durch den Deutschen Bundestag.

August/September 1994
Getrennte Abschieds-Veranstaltungen und Paraden der westalliierten und der russischen Streitkräfte; für Berlin endet der Sonderstatus alliierter Vorbehaltsrechte (seit 1945).

Oktober 1994
Beginn der Wieder-Bebauung des nach Krieg und Mauerbau verödeten Bereichs Potsdamer/Leipziger Platz, dem eine große städtebauliche Bedeutung zukommt. Die frühere Rolle als hektisch belebtes westliches Tor der Berliner Mitte kann die Platzkombination nicht wieder erlangen, da der alte Potsdamer Fernbahnhof fehlt; der unterirdisch in der Strecke des Fernbahntunnels auszubauende Regionalbahnhof Potsdamer Platz wird nur die Zubringerfunktion zum Fernverkehr (zum Norden: Lehrter Bahnhof, zum Süden: Bhf. Papestraße) übernehmen. Berlins Fernbahn-Umbau vom alten Zielort mit Kopfbahnhöfen zum neuen Knotenort mit Durchgangsbahnhöfen soll den Schienenfernverkehr wieder leistungsfähig und attraktiv machen.

Frühjahr 1995
Wettbewerb zur Errichtung eines Denkmals für die ermordeten Juden Europas („Holocaust-Denkmal“) entschieden. Die umstrittene monumentale Gedenkstätte soll auf einer Freifläche ca. 200 m südlich des Pariser Platzes am ehemaligen Mauerstreifen entstehen. Bauplanungen werden jedoch noch nicht in Gang gesetzt, weil sich die zerstrittenen Gruppen der Errichter trotz der Wettbewerbsentscheidung über die endgültige Ausgestaltung des Projekts noch nicht verständigen können. Nachtrag Anfang September 1998: Die Entscheidung wird auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben.

27. April 1995
Staatsvertrag über die Vereinigung der Bundesländer Berlin und Brandenburg unterzeichnet. Die Bevölkerung soll im Mai 1996 abstimmen, ob (25% Zustimmung erforderlich) und falls ja, wann (1999 oder 2002) das neue Land Berlin-Brandenburg mit der Hauptstadt Potsdam gebildet werden soll. In Berlin ist man verärgert, dass in Potsdam bereits im Herbst 1994 das Wettbewerbsverfahren für ein neues Landtagsgebäude ohne eine(n) Berliner Vertreter(in) in der Jury begonnen wurde.

7. Mai 1995
Wiedereröffnung eines Teils der 1943 zerbombten Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße als neues geistiges „Centrum Judaicum“. Das im maurischen Stil errichtete, 1866 als Berliner Hauptsynagoge geweihte Haus bot einmal Platz für 3.200 Gläubige. Es lag inmitten des ehemaligen jüdischen Zentrums in Berlin-Mitte und nahe am „Scheunenviertel“, dem größten Wohngebiet der Ostjuden in Berlin. Mit ca. 10.000 Mitgliedern (vorwiegend nach 1990 zugezogene „unorthodoxe“ Juden aus der ehemaligen UdSSR) ist die heutige jüdische Gemeinde Berlins wieder die größte Deutschlands.

10. Mai 1995
Eröffnung des „Museum Berlin-Karlshorst“, das 1967 als Heldenschrein für die Rotarmisten eingerichtet worden war. Das neue Konzept bietet eine Darstellung der deutsch-sowjetischen Beziehungen von 1917-1990 mit Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg: Menschen mit Gesichtern und Namen als Soldaten auf beiden Seiten der Front, jüdische und nichtjüdische Bevölkerung in den besetzten Gebieten, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Auch die Leiden der deutschen Zivilbevölkerung am Kriegsende werden nicht ausgespart.

15. Mai 1995
„die tageszeitung“, Berlins linksalternatives Blatt, erscheint als erste deutsche Tageszeitung in voller Version im Internet.

24. Juni bis 7. Juli 1995
Der von Christo und Jeanne-Claude verhüllte Reichstag hat über 5 Millionen Zuschauer angezogen. Die Aktion ist eine weltweit beachtete Werbung für ein „lockeres und modernes“ Berlin.

8. Juli 1995
Eine „Techno-Party Love-Parade“ auf dem Ku’damm versetzt 250.000-300.000 meist junge Raver in bis zu 150 Schwingungen/Min. Das Happening ist auch ein wenig die Vorwegnahme eines künftigen „Berliner Ambiente“, das charakterisiert sein könnte durch ein liberales europäisches Denken und eine gelebte (multi)kulturelle Offenheit.

15. September 1995
Eröffnung der ersten nach dem Holocaust neugebauten jüdischen Schule. Die nach dem langjährigen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland benannte „Heinz-Galinski-Schule“ in Charlottenburg setzt die Tradition der 1788 gegründeten „Jüdischen Freyschule“ fort; die 218 Schüler stammen aus jüdischen und nichtjüdischen Familien. In den dreißiger Jahren gab es in Berlin 22 jüdische allgemeinbildende und 49 Religionsschulen.

13. Oktober 1995
Baubeginn des „Tiergarten-Tunnels“ vom Lehrter Bahnhof unter Spreebogen und Tiergarten zum Potsdamer Platz. Ein 3,5 km langer viergleisiger Bahntunnel und ein westlich davon separat geführter Straßentunnel (2,7 km) werden bis zur Fertigstellung (ca. 2002) Baukosten von mindestens 4,5 Milliarden DM verschlingen. Die „Anti-Tunnel-GmbH“ protestierte gegen den Spatenstich, und die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz will das Projekt mit einer Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht stoppen. Die umstrittene Verlängerung der U5 vom Alexanderplatz über „Unter den Linden“ und Reichstag zum neuen Lehrter Fernbahnhof („Kanzlerlinie“) wird aus Kostengründen (vorerst?) nicht weitergeplant.

14. Oktober 1995
Verkehrsübergabe des vom Schlesischen Tor in Kreuzberg über die restaurierte Oberbaumbrücke wiederhergestellten 0,8 km langen U1-Streckenabschnitts zur Warschauer Straße im Bezirk Friedrichshain. Auch von Prenzlauer Berg nach Wedding fahren wieder Tramlinien (23 und 24). Damit kehrt das 1967 in West-Berlin eingestellte umweltfreundliche Verkehrsmittel wieder zurück in die westlichen Bezirke.

16. Oktober 1995
Ein an der „größten Baustelle Europas“ am Potsdamer Platz aufgestellter mehrstöckiger Großcontainer („Infobox“) bietet mit Planunterlagen, Abbildungen, Modellen und animierten Multivisionsdarstellungen einen Blick in das Jahr 2000 und danach.

22. Oktober 1995
Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus. Ergebnis (in Klammern von 1990):
CDU — 37,4% (40,4)
SPD — 23,6% (30,4)
PDS — 14,6% (9,2)
FDP — 2,5% (7,1)
B90/Grüne — 13,2% (9,4)
Die Kommunalwahlergebnisse: in neun der elf Ost-Berliner Bezirksverordneten-Versammlungen wurde die PDS stärkste Fraktion, die SPD liegt nur in den Ost-Berliner Bezirken Weißensee und Köpenick vorn, die CDU wurde in 11 West-Berliner BVV stärkste Fraktion, in Kreuzberg das Bündnis 90/Grüne.

Oktober 1995
Baubeginn im 14. Abschnitt der Stadtautobahn (BAB 100) südlich des Flughafens Tempelhof. Das Teilstück schafft die Verbindung zu einer projektierten Autobahn (BAB A113, neu) von Neukölln (4 km entlang des Teltow-Kanals) durch Treptow zum BAB-Zubringer Dresden und auf den Abzweig zum Flughafen Berlin-Schönefeld. Die hierzu notwendigen Eingriffe in Landschaft und vorhandene Bebauung sollen durch längere, mit öffentlichen Grünanlagen bedeckte Tunnelabschnitte abgemildert werden. Erstmals wurde der Berliner Stadtautobahn(weiter)bau „von Anfang an“ unter Beteiligung eines Architektenteams geplant.

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