Mein Besetzersommer 1980

Am 10. Oktober 1980 lag schon in der Luft, dass bald etwas passieren würde. Schon seit einem Jahr wurden hier in Kreuzberg immer wieder mal leerstehende Wohnhäuser besetzt. Die ehemalige Feuerwache in der Reichenberger Straße war für uns wohnungslose Jugendliche ein neues Obdach – bis wir geräumt wurden.
Anfang Juni machte ich dann meine erste richtige Besetzung mit: Montagmorgen, Adalbertstr. 6, am Kottbusser Tor neben dem riesigen „Neuen Kreuzberger Zentrum“. Im Schutze der Nacht brachen wir von hinten ein Fenster auf, es wurde Material und Werkzeug reingebracht, dann versuchten wir die Zugänge im Erdgeschoss so gut es geht zu verbarrikadieren. Am Morgen dann das „Coming Out“, Transparente wurden herausgehängt: „Instandbesetzt“. Bald waren mehrere Polizeiwagen zu Stelle, die Beamten wollten wissen, wann wir denn in das Haus gegangen sind. Aus der Erfahrung wussten wir, dass Neubesetzungen sofort wieder geräumt werden. Deshalb behaupteten wir, dass wir schon das ganze Wochenende hier wären. Sie nahmen es zur Kenntnis, machten ein paar Fotos und zogen wieder ab.

Bisher hatten wir erst drei Wohnungen geöffnet, und als wir uns dran machen, in der zweiten Etage eine Tür aufzubrechen, wurde sie von innen geöffnet! Unser Schreck war groß, schließlich waren wir davon ausgegangen, dass das Haus leer wäre. Stattdessen aber stand uns ein altes Ehepaar gegenüber. Im Gegensatz zu uns waren sie nicht überrascht, hatten sie schließlich schon die ganze Nacht den Krach im Haus gehört. Nach ein paar Tagen hatten wir uns dann aneinander gewöhnt. Und bald hörten dann auch sie auf, Miete zu zahlen…

Das KuKuCK in der Anhalter Straße ist heute ein Hotel.

In den nächsten Monaten folgten noch zwei Häuser in der Oranienstraße, erst in der 45, dann Nr. 44. Die „O. 45“ war von irgendeiner Fachschaft der Freien Universität aufgemacht und besetzt worden. Ich bin zufällig dazugekommen, hatte aber mit den Leuten nichts zu tun. Auf dem täglichen Plenum wurde jeder Pups diskutiert, wer wo wann was wie machen soll, ob sich alle auch 150%ig an die Absprachen gehalten haben usw. Die Angst der bisher behüteten Bürgerkindchen vor dem Chaos lag lähmend über dem Haus. Außer mir war noch ein weiterer obdachloser Straßenjunge eingezogen, wir beide mussten ständig darüber lachen, wie sich die Studenten benahmen. Und wie sie sprachen, denn einige von ihnen hatten einen schwäbischen Dialekt vom Feinsten. Selbst wenn man wollte – man konnte es nicht ernst nehmen.
So waren wir beide auch schnell im Zentrum der Kritik und Anfeindungen. Obwohl wir nicht weniger am Haus arbeiteten als die anderen, wurde uns ständig vorgeworfen, faul zu sein und nicht mitzuhelfen. Es war wie früher beim Vater, Individualität, eigene Bedürfnisse und Vorstellungen wurden unterdrückt.

Als dann ein paar Hippies und Kleinkriminelle die Nummer 44 besetzten, sind wir einfach ein Haus weiter gezogen und haben dort im Vorderhaus die 4. Etage übernommen. Hier konnten wir einigermaßen so leben, wie wir es wollten. Erstmal gaben wir uns den Namen „Geronimo-Haus“, nach dem bekannten Indianerhäuptling, der im 19. Jahrhundert zehn Jahre lang Widerstand gegen die Besatzer geleistet hatte. Schließlich wollen wir ja auch frei sein.
Wir rissen die vermoderten Dielen aus dem Boden, nahmen den Schotter raus und dichteten den Boden mit Plastikplanen ab. Aus den Büschen rund um den Oranienplatz klauten wir zentnerweise Erde und dann wurden wir zu Kleingärtnern: Im ehemaligen Wohnzimmer einer Familie wuchsen jetzt Kartoffeln und Hanfpflanzen…

Währenddessen entwickelte sich eine Hausbesetzerszene. Die Vielfältigkeit, also auch Unterschiedlichkeit, der Gruppen machte eine Zusammenarbeit schwierig. Es gab die politischen Häuser, die Flippies, die Studies. Manche Häuser wurden heimlich besetzt, man wollte nicht auffallen – andere hängten Transparente raus und malten die Fassade an, damit es jeder sehen kann.
Es war klar, dass man irgendwann mit Räumungen rechnen musste. Mittlerweile waren etwa 15 Häuser besetzt und manchmal war auch schon eine Besetzung verhindert worden. Also rafften sich die Leute aus den Häusern zusammen und gründeten einen „Besetzerrat“. Er wollte die Außenvertretung der Besetzerszene sein, was sich aber in der Zukunft als fast unmöglich erwies, weil die Ansprüche der Leute zu unterschiedlich waren: Während die einen vor allem kostenlosen Wohnraum wollten und ansonsten ihre Ruhe, sahen andere die Besetzungen als politisches Mittel gegen den Staat, sie prägten den Begriff „Häuserkampf“. Die größte Gruppe aber sollten dann die „Instandbesetzer“ werden, denen es vor allem darum ging, den Abriss der Gründerzeithäuser zu verhindern. In dieser Zeit gab es in Berlin trotz zigtausend Wohnungssuchender Hunderte von leerstehenden Häusern, meist aus der Zeit um 1870 bis 1910. Nach dem Willen der Eigentümer sollten die Häuser verrotten, damit sie dann eine Abrissgenehmigung bekommen und teure Neubauten errichten könnten. Wenn man bedenkt, dass im Frühjahr 1981 in Berlin 200 Häuser besetzt waren, bekommt man einen Eindruck vom Ausmaß des damaligen Leerstands.

Der Besetzerrat beschloss im Spätsommer 1980 eine Offensive. Man wollte sich nicht mehr verstecken und heimlich besetzen, sondern eine Bewegung schaffen, offensiv auftreten und aus der Illegalität herauskommen. Es entstand die Parole „Lieber instandbesetzen als kaputtbesitzen“, damit war man moralisch auf der richtigen Seite. Und tatsächlich solidarisierten sich viele Berliner Bürger mit den Besetzern, zumindest solange diese nicht allzu militant auftraten. Jedem Mieter in Berlin war ja die Situation auf dem Wohnungsmarkt bekannt, wer eine neue Bleibe suchte, brauchte sehr viel Glück und meist auch Bestechungsgeld. Dadurch hatten wir eine gute politische Ausgangssituation.

Als Teil der Offensive wurde für den 10. Oktober 1980 eine Demo durch Kreuzberg angemeldet. Sie wurde gleich „Großdemonstration“ genannt, wir wollten möglichst ein paar tausend Leute zusammen kriegen. Die Demo durch den Kreuzberger Kiez endete am Heinrichplatz auf der Oranienstraße. Schon ein paar Tage vorher hatte mich eine Besetzerin gefragt, ob ich mich einer Gruppe anschießen möchte, die ein Zentrum der Besetzerszene errichten wollte. Wir kannten uns schon einige Monate und sie wusste, dass ich zwar kein Politmacker war, aber durchaus Lust hatte, auch nach außen zu arbeiten. Nach einigen Planungen öffneten wir in der Nacht zum 10. Oktober 1980 das Haus Oranienstraße 198, ein großes Gebäude, das innen durch eine Wendeltreppe erschlossen war. Es stand direkt am Heinrichplatz, im Erdgeschoss befand sich noch einige Monate vorher eine große Alkohol-Abfüllstation namens „Heinrich-Eck“.

Die Demonstration war größer als erhofft, etwa 5000 Sympathisanten waren durch die Straßen gezogen und standen nun auf dem Heinrichplatz, um die Abschlusskundgebung zu hören. Das war unser Moment. Wir öffneten die Fenster, auf der ganzen breiten Front des großen Hauses wurden Transparente aufgehängt, plötzlich erhob sich das Gebäude wie aus einem Schlaf. Der Jubel auf der Straße war unglaublich, zum ersten Mal erlebte ich sowas wie eine Bewegung. Wir waren plötzlich nicht mehr nur ein paar Leute, sondern Tausende. Die vielen Menschen unten wurden sofort von der Polizei angegriffen, die unser Haus stürmen wollte. Doch wir wurden verteidigt und verteidigten uns auch von oben. Schließlich zog sich die Polizei zurück, erstmals wurde eine Neubesetzung nicht mehr verhindert, wir hatten unsere Besetzung erfolgreich verteidigt.

Statt einer Party gab es dann aber viel Arbeit. Ein so großes Haus abzusichern und überhaupt wieder bewohnbar zu machen, ist schwer. Zumal wir nicht nur die Polizei gegen uns hatten: Als ein direkt angrenzendes Haus abgerissen wurde, schlugen die Arbeiter mit der Abrissbirne auch ein paarmal in unseren Seitenflügel und zerstörten die Außenwand sowie eine halbe Etage. Erst als wir Alarm gaben und mit zig Leuten auf die Baustelle stürmten, beendeten sie die Aktion.
Ein paar Wochen später nahmen wir die Kneipe wieder in Betrieb, jetzt unter dem Namen „BesetzA-Eck“ und sie entwickelte sich bis hinein in die aufblühende Besetzerbewegung 1981 zu einem Zentrum.

Am 12.12.1980 wurde im Fraenkelufer eine Häuserräumung militant verhindert, eine stundenlange Straßenschlacht am Kottbusser Tor folgte, am Tag danach eine Scherbennacht am Kudamm. Danach verhängte der Senat erstmal einen Räumungsstopp. In den kommenden Monaten gab es fast täglich neue Besetzungen. An eine vier Meter hohe Wand des Besetzer-Ecks wurden die Adressen der besetzen Wohnhäuser und Gewerbebetriebe geschrieben. Im März 1981 wurde die 200. Besetzung eingetragen. Erst später wurde uns klar, dass dies der Höhepunkt der Bewegung war.

ANDI 80

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5 Kommentare

  1. Hallo Andi,
    Kannst du dich an den Klaus erinnern, Klaus Bayerl? Ich habe im Jahr 1983 im Besetz-A-Eck gewohnt und dort im Juli 83 eine Kunstausstellung gehabt, die dann mitsammt des Hauses geraeumt worden ist. Ich war zur Zeit der Raeumung nicht da, was mir oft vorgeworfen wurde, weil ich versuchte vom Bayerischen Staat ein Stipendium zu bekommen. Mir fehlten 0.something %. Es ist mir aber dann doch nicht gelungen. Ich schrieb einen Aufsatz auf Franzoesisch ueber Randgruppen in der Gesellschaft und es gefiel ihnen wohl nicht was ich zu sagen hatte. Danach wohnte ich im Zeltlager als die Reporter kamen usw. Die Ausstellung wurde im Kulturzentrum Kreuzberg wiedereroeffnet, was grossen aber kurzzeitigen Erfolg hatte und wohl dazu beigetragen hat das die Leute wieder in ihr Haus einziehen konnten. Was ist inzwischen damit geschehen?

  2. Einige Namen und Gesichter von damals habe ich noch im Kopf, aber ein Klaus ist nicht dabei. Allerdings war ich auch nur bis ungefähr Sommer ’81 in dem Haus und bin dann weitergezogen in ein anderes.
    Das Haus ist aber meines Wissens gar nicht geräumt worden, sondern hat Verträge bekommen.

  3. Hy Patz.
    Klaus(Schmutzfuss)ist ca.1985 gestorben.
    Das BesetzAeck wurde 83 geräumt,die Bewohner haben dann 3 Monate im Zeltlager am Mariannenplatz auf dem Kirchengelände gewohnt.In der Zeit wurde Stattbau gegründet und soweit ich weiss ist das BesetzAeck das einzige Haus dass nach der Räumung an die Besetzer vermietet wurde.
    Alles Gute.Gulli

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