Suicid Smart

Wenn man mit dem Taxi pro Tag hundert oder mehr Kilometer unterwegs ist, kommt man natürlich oft in brenzlige Situationen, in denen sofort reagiert werden muss. Es bleibt dann keine Zeit zum Überlegen, eine Sekunde, manchmal zwei, dann ist schon alles vorbei.
Gleich die erste Tour gestern Abend war so eine Situation. Die Busspur auf dem Kudamm ist ja eine feine Sache, vor allem, wenn am späten Nachmittag alles im Schritttempo fährt. Theoretisch könnte ich mit 50 km/h daran vorbeirasen, aber laut Straßenverkehrsordnung bin ich gehalten, „angemessen“ zu fahren. Ein angemessenes Tempo ist dann eher 30 als 50 Stundenkilometer, denn oft rennen Fußgänger über die Straße, denen nicht klar ist, dass trotz Stau auf der Busspur noch Autos fahren. Mehrmals schon sind mir Leute fast in den Wagen gelaufen, Hupe und Bremse haben es bisher immer verhindert.
Als ich gestern nun meinen Fahrgast über den Kudamm nach Grunewald fuhr, genoss ich auch die freie Fahrt auf der Previligiertenspur. Angemessenes Tempo war klar, siehe oben. Aber dann passierte es doch: Während die linke Fahrspur stillstand und ich daran vorbei fuhr, sah ich an der Einmündung der Hektorstraße einen Smart langsam heran rollen. Er stoppte dann rechtzeitig, so dass er mir nicht in die Spur kam. Dort stand er mehrere Sekunden, bis ich auf etwa 5 Meter ran war. Plötzlich aber fuhr er los, als wenn ich völlig unsichtbar wäre. Zum Bremsen war es zu spät. Ohne zu überlegen ging meine rechte Hand an die Hupe, ein kurzer Blick erfasste mehrere Fakten gleichzeitig: Der Smart rollte langsam weiter, etwa schon einen Meter auf meiner Spur, die Autos links waren gerade angefahren, so dass eine Lücke entstanden war. Mit viel Glück reichte der Platz zwischen Smart und hart. Die linke Hand zog also das Lenkrad nach links, um am Hindernis vorbeizukommen, sofort danach wieder nach rechts, um nicht in die Autos auf der linken Spur zu brettern. Dann eine Sekunde warten, ob es nicht doch noch kracht, aber alles blieb ruhig. Nur neben mir hörte ich ein „Oh mein Gott, wie haben Sie das denn geschafft?“ Tatsächlich waren es nur Zentimeter, das ist klar.
So knapp war es selten. Aber es war nicht das erste Mal, dass mir ein Smart-Fahrer, offenbar völlig ohne aufzupassen, fast ins Auto fährt. Schon oft wechselte unmittelbar vor mir einer die Spur und zwang mich zur Vollbremsung. Sie kommen aus Parklücken oder Seitenstraßen und halten es nicht für notwendig, zu schauen, ob die Straße frei ist. Smart-Fahrer sind wie auch manche Radler potenzielle Selbstmörder oder extrem gottesgläubig. Anders kann ich mir dieses Verhalten nicht erklären. Vielleicht ist es ja ein Ausdruck diffuser Todessehnsucht, basierend auf der Erkenntnis, kein wirkliches Auto zu fahren. Oder aber genau das Gegenteil, das „Frech-kommt-weiter“-Verhalten eines Menschen, der aus seinem Minderwertigkeitskomplex eine Waffe macht – wohlwissend, dass ihm die anderen aus Angst ums eigene Blech den Vorrang gewähren.
Was auch immer Smart-Fahrer zu ihrem destruktiven Verhalten treibt, klar ist, dass sie im entscheidenden Moment keine Chance haben. Und das ist dann doch wieder beruhigend. Für mich.

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