Der Stein des Anstoßes und andere Widrigkeiten

Noch immer war in der vergangenen Woche das Thema Flüchtlinge aktuell, aber dazu später.
Der traurige Fall der ermordeten Kinder Elias und Mohamed zog auch in der vergangenen Woche noch einige Kreise. Vor allem aber hat das Bundesjustizministerium, trotz des eindeutig sexuellen Hintergrunds der Taten, eine Entscheidung getroffen, die völlig unverständlich ist. Ab Ende des kommenden Jahres soll das Programm „Kein Täter werden“ an der Charité nicht weiter finanziert werden. Dieses Angebot richtet sich an Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und sich dieses Problems bewusst sind. 1.800 Männer haben in neun Jahren dort gelernt, mit ihrer Veranlagung umzugehen, ohne ihren Neigungen nachzugeben. Sie bekommen dort eine Therapie, auf Wunsch auch Medikamente, weil sie eben gerade nicht Kinder sexuell missbrauchen wollen. Dass dieses Programm nicht weiter finanziert wird, ist ein Skandal.

Genau wie die Reaktion des Innensenators Frank Henkel, der ja seit der Trennung von Klaus Wowereit auf jeden liberalen Anstrich verzichtet. Zur Erinnerung: Henkel war schon lange vor seinem Eintritt in den SPD/CDU-Senat vor vier Jahren ein Hardliner, der unter Wowereit nur etwas Kreide gefressen hatte. Dabei ist er im Innern seinem frühen Vorgänger Heinrich Lummer wesentlich näher, als irgendeinem Sozialdemokraten.
Kurz nachdem der Tod des Flüchtlingsjungen Mohamed bekannt wurde, echauffierte sich Henkel erstmal über die Grünen, weil von denen dem Senat indirekt eine Mitschuld an der Tat gegeben wurde: Das monatelange Chaos am Lageso hätte sie begünstigt. Henkel jedoch protestierte lautstark, man dürfte den Tod des Kindes nicht instrumentalisieren.
Doch genau das tat er am nächsten Tag selbst, indem er – ganz in alter Manier – eine Ausweitung der Überwachung der Öffentlichkeit mit Kameras forderte, und zwar ausdrücklich mit Hinweis darauf, dass der Mörder durch eine Kameraaufnahme identifiziert wurde. Henkel möchte beim Alexanderplatz beginnen, während seine Parteifreunde Robbin Juhnke und Florian Graf ihm zur Seite sprangen und sogar Kinder auf Spielplätzen per Kamera überwachen wollen. Dabei stört es sie nicht, dass Kameras in der Regel keine Straftaten verhindern, sondern höchstens im Nachhinein bei der Aufklärung helfen können. Trotz Videoüberwachung gibt es zum Beispiel alle paar Tage Angriffe in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Selbst die normalerweise nicht zimperliche Gewerkschaft der Polizei lehnt eine Ausweitung der Überwachung durch Kameras im öffentlichen Raum ab, fordert dafür aber mehr Polizei auf den Straßen.

Diese war dagegen in den vergangenen Tagen ausreichend vorhanden, um Rechtsextremisten zu schützen. Neben dem üblichen Montagsschaulauf der Bärgida-Hetzer lud die NPD am selben Tag zum Bahnhof Schöneweide. Dort wollte sie ihre rassistische Hetze direkt zu einem Flüchtlingsheim tragen, was aber mehrere hundert Gegendemonstranten verhindern konnten: Sie blockierten die einzige Zufahrtstraße. Die über 800 Polizisten hielten sich mit Prügel zurück, weil einige Presse anwesend war.
Wenige Tage später war sie dann nicht mehr so zimperlich. Am Samstag zerschlugen die Beamten eine Sitzblockade von Antifaschisten. Diese hatten in Mitte die bundesweite Demonstration der AfD aufhalten wollen, woraufhin die Polizei den Rechtsextremisten mit Knüppeln und Gas den Weg freimachte. Als jedoch rund 25 militante Neonazis am Rande aber Gegendemonstranten angriffen, verzogen sich die anwesenden Polizisten.

Die AfD hetzte vor dem Hauptbahnhof gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik, wobei Begriffe wie „Volksverräter“ in Richtung Kanzleramt den wahren Geist dieser Leute offenbarten. Natürlich schossen die Parolen der Petry, Storch und anderen Redner gegen die Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz vor dem Krieg und Terror in Syrien oder Afghanistan suchen. Aber ein echter Deutscher liebt ja anscheinend den Krieg, schließlich hat unser Land mehrere davon angefangen und bis heute liefern wir fleißig Waffen in Kriegsgebiete. Deshalb sollen die Adressaten der deutschen Patronen und Granaten gefälligst in ihrem Land bleiben und sich dort abknallen lassen, sonst wäre das ja alles umsonst.

Wem das nicht gefällt, der soll nach Meinung der Union (nein, nicht nur von Seehofer!) in Lagern konzentriert werden, damit sie dann leichter registriert und wieder abgeschoben werden können. Sigmar Gabriel hat das geschluckt, trotz großmäuliger Ankündigungen, dies nicht zu tun. Und nur einen Tag später wurde der „Kompromiss“ vom Innenminister Thomas de Maizière schon wieder aufgekündigt, indem er ankündigte, dass selbst Syrern kein wirkliches Asylrecht zugestanden wird. Afghanen wurde es ja schon in der Woche zuvor aberkannt. Nur wer eine persönliche Verfolgung nachweisen kann, soll anerkannt werden. Das bedeutet in der Realität, dass man sich erstmal von Assads Schergen, dem IS oder der Taliben töten lassen muss, um in Deutschland Asyl zu erhalten.
Es ist erbärmlich, wie sich die Regierenden um die Tatsache herum winden, dass nun mal viele Menschen von Krieg, Terror und Hunger bedroht sind und unseren Schutz brauchen. Lieber heuchelt man öffentlich Mitgefühl, zieht dann aber schnell den Schwanz ein, aus Angst, hirnbefreite Bürger könnten statt den bürgerlichen Parteien das nächste Mal AfD oder NPD wählen. Aber vermutlich steckt das rassistische Gen längst in den Köpfen der Unionsmitglieder und ihrer Führung.

Und wer es immer noch nicht begriffen hat, dass die Flüchtlinge in Wirklichkeit getarnte Monster sind, den klärt der Philologenverband Sachsen-Anhalt in seiner neuen Mitgliederzeitung auf. Den Lehrern wird darin erklärt, dass die derzeitige „Immigranteninvasion“ dazu führen könnte, dass es vermehrt sexuelle Belästungen durch Asylbewerber geben könnte. Der Artikel warnt vor „jungen, kräftigen, meist muslimischen Männern“, die, „oft ungebildet“, ein Bedürfnis nach Sexualität hätten. Verantwortungsvolle Pädagogen müssten sich nun fragen, wie man Mädchen ab 12 Jahren vor Sex mit muslimischen Männern warnt.
Der Vorsitzende des Verbands verteidigt den Text. Nicht in dem Artikel steht, dass man muslimische Männer am besten an ihren Hakennasen erkennt. Ach nein, das waren ja die anderen. Kann man bei solchen Hetzartikeln ja schnell mal durcheinander bringen.

Das Wohl der lieben Kleinen hatte auch der Kreuzberger Lehrer im Sinn, der mit seiner Klasse trotz leerer Kassen unbedingt nach New York fliegen musste. Mehr als 30.000 Euro kostete den Steuerzahlern dieser Spaß, damit dem „latenten Anti-Amerikanismus unter einigen türkisch- und arabischstämmigen Schülern“ etwas entgegengesetzt werde. Ob diese die ja wirklich oft zweifelhafte Rolle der USA in der Welt nun rosiger sehen als nach einem Besuch in der Uckermark, darf bezweifelt werden.

Das in der Schulbehörde offenbar zu viel vorhandene Geld fehlt dafür dem Karneval der Kulturen. Ihm wurde angekündigt, bis zum Jahr 2017 den Zuschuss um zwei Drittel zu kürzen. Dem Senat ist es auch egal, dass die Organisatoren mittlerweile rund eine halbe Million Euro aus Standmieten, Lizenzgebühren und Sponsoring selbst auftreiben können. Mehr ist kaum zu erwarten.
Notfalls müssen die ihren Umzug eben auch in der Uckermark durchführen, das ist sicher billiger.

Die Kultur macht dem armen Senat derzeit sowieso Ärger. Wie bei der East Side Gallery: Seit 25 Jahren werden die Kunstwerke an der einstigen Grenze zwischen Friedrichshain und Kreuzberg immer wieder von Touristen dafür missbraucht, den nachfolgenden Besuchern zu signalisieren, dass man selber bereits da gewesen sei. Leider nutzen sie dazu Spraydosen und schlecht zu entfernende Stifte, so dass die Galerie alle paar Jahre saniert werden muss. Dem soll nun ein Riegel vorgeschoben werden, genauer gesagt: Ein Zaun. Oder ein Geländer. Vielleicht auch was anderes, sicher ist man sich da noch nicht. Seit dieser Woche jedenfalls behindert ein Baunzaun die freie Sicht auf die neu renovierten Teile der Mauer. Schöner als die Schmiereien der Touristen ist das auch nicht.

Seine eigene Anschauung über Kunst hat auch der neu gebackene Professor bei der Universität der Künste, der Chinese Ai Weiwei. Er plant, in Australien die Portraits einiger Menschenrechtler aus Lego-Steinen nachzubauen. Die dänische Firma weigerte sich aber, ihm zentnerweise Steine zur Verfügung zu stellen, weil sie keine politischen Projekte unterstützen möchte. Deshalb sammelt er nun überall in der Welt private Legostein-Spenden. So auch in Berlin, wo am Martin-Gropius-Bau ein Autos mit leicht heruntergekurbeltem Fenster steht: Hier kann man seine überflüssigen Legosteine einwerfen, wenn man das Projekt gerne unterstützen möchte.
Bleibt nur zu hoffen, dass sich niemand an dem Auto vergreift, um sich zuhause ein eigenes, riesiges Portrait zusammen zu stecken – vielleicht ja das von Ai Weiwei.

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