Fünf Stunden Pause im Taxi

Laut Gesetz gilt seit Anfang 2015 für fast alle Arbeit­neh­mer ein Mindest­lohn von 8,50 EUR. Theo­re­tisch. Denn es gibt noch einige Ausnah­men und Über­gangs­fris­ten.
Wieso eigent­lich? Es war seit Jahren klar, dass der Mindest­lohn kommen wird, da hätte sich jede Bran­che drauf vorbe­rei­ten können. Natür­lich haben sie es auch getan, trotz­dem klag­ten dann z.B. das Agrar- oder Vertriebs­ge­werbe darüber, dass sie sich nicht “so schnell” darauf hätten einstel­len können. Arbeits­mi­nis­te­rin Andrea Nahles, angeb­lich Sozi­al­de­mo­kra­tin, hat das auch brav mitge­macht. Der SPD waren die Arbei­ter­recht aber schon immer vor allem dann wich­tig, wenn sie in der Oppo­si­tion war. Erst­mal an der Macht wird “Real­po­li­tik” gemacht, also unter­neh­mer­freund­li­che Maßnah­men, wie z.B. unter Gerhard Schrö­der die Senkung des Spit­zen­steu­er­sat­zes und dafür die Einfüh­rung der Hartz-4-Gesetze.

Auch im Taxi­ge­werbe gilt angeb­lich der Mindest­lohn. Ich kenne jedoch keinen einzi­gen Taxi­fah­rer, der den auch bekommt. Statt­des­sen haben sich die Taxi-Unter­neh­mer offen­bar geei­nigt, ihren Ange­stell­ten die volle Entloh­nung vorzu­ent­hal­ten. Anders ist es nicht zu erklä­ren, dass prak­tisch im gesam­ten Gewerbe eine neue Rege­lung einge­führt wurde: Seit Anfang des Jahres gilt nicht mehr etwa die tatsäch­li­che im Taxi verbrachte Schicht als Arbeits­zeit, sondern nur die, in der man auch Fahr­gäste hatte. Das macht immer­hin weni­ger als die Hälfte der Zeit aus. Dazu wurden in vielen Betrie­ben sogar neue Taxa­me­ter in die Wagen einge­baut, die sich auto­ma­tisch auf “Pause” schal­ten, wenn das Auto mehr als zwei oder drei Minu­ten still steht. Die Warte­zeit an der Taxi­halte gilt dann nicht als Arbeits­zeit, sondern als Pause. Ebenso die Zeit, die man beim Kunden vor einer Vorbe­stel­lung wartet.
Das ist natür­lich grotesk, weil man laut Taxi-Ordnung beim Stehen am Taxi­stand jeder­zeit einsatz­be­reit sein muss. Eine Pause dage­gen ist freie Zeit, in der man herum laufen kann, sich in ein Café setzen oder Einkäufe erle­di­gen. Die Warte­zeit an der Halte ist auch keine Ruhe­zeit. Die Fahrer müssen vorrü­cken und jeder­zeit bereit sein, einen Funk­auf­trag anzu­neh­men.
Die Einfüh­rung dieser Rege­lung ist also ille­gal und außer­dem Betrug am ange­stell­ten Fahrer, da geleis­tete Arbeits­zeit nicht bezahlt wird. Nach einer 9‑Stun­den-Schicht werden so etwa fünf Stun­den als Pause abge­zo­gen, für die der Mindest­lohn nicht gezahlt wird.

Derzeit sieht es nicht so aus, als wenn diese Rege­lung vom Arbeits­mi­nis­te­rium kriti­siert oder gar unter­bun­den werden soll. Damit macht es sich selbst unglaub­wür­dig und die angeb­li­che Rechte der Ange­stell­ten sind nichts als ein leeres Verspre­chen, eine Lüge.

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Zufallstreffer

2 Kommentare

  1. Da gibt es doch noch viel mehr Tricks…
    — Bezah­lung nach Stück­lohn, die 8,50 Euro sind jedoch nur mit olym­pia­rei­fen Leis­tun­gen zu erzie­len, aber in der Theo­rie mach­bar (Zeitungs­zu­stel­ler…)
    — Ersatz von z. B. Wochen­blatt-Zustel­lern durch unter 18-jährige, auch hier greift der Mindest­lohn nicht…
    — Paar Arbeit­ge­ber schlie­ßen sich zusam­men und teilen sich einen Arbeit­neh­mer als Selb­stän­di­gen. Schein­selb­stän­dig­keit ist dann wenn die Verträge geschickt gemacht sind, auch nicht mehr gege­ben und der Mindest­lohn läuft ins Leere
    — Unbe­zahlte Mehr­ar­beit, der Stun­den­lohn steht nur auf dem Papier und die Mehr­stun­den werden nicht notiert. Bei Kontrol­len stim­men immer­hin die Bücher.
    — Arbeits­lose alle 6 Monate raus­wer­fen und durch neue erset­zen
    — Nutzung von Über­gangs­be­stim­mun­gen, z. B. für Zeitungs­zu­stel­ler gilt der volle Mindest­lohn eh noch nicht…
    — Bei Ernte­hel­fern wird die Unter­kunft verrech­net und ist leider etwas teurer. Oder es gibt plötz­lich zu zahlen­des “Werk­zeugeld” usw.
    — Tarif­ver­trag nutzen, der noch bis 2017 Bezah­lung unter­halb des Mindest­loh­nes erlaubt.
    — Frei­wil­li­ges Prak­tika, das nicht länger als 3 Monate dauert.
    — in der Behin­der­ten­werk­statt oder im Gefäng­nis produ­zie­ren lassen…

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