Falscher Hase

Es gibt wohl kaum ein Gewerbe, in dem so viel Wert darauf gelegt wird, dass man schon lange dabei ist. Kaum eine Zusammenkunft von Taxifahrern kommt ohne den Hinweis von irgend jemandem aus, dass er ja schon „ewig“ fährt, 10, 15 Jahre sind normal, auch mal 30 Jahre sind drin, ein Kollege sagte mir mal, er wäre sogar schon fast 50 Jahre im Taxi unterwegs. Wieso ist das so? Warum meinen so viele Kollegen, darauf hinweisen zu müssen? Sind Taxifahrer wie Wein – je älter, umso besser? Oder denken sie, dass sie sich besser auskennen in der Stadt, nur weil sie schon zu Napoleons Zeiten Kutscher gewesen sind?
Ich bin zwar ebenfalls kein Küken mehr, trotzdem ich sehe auch keine Leistung darin, schon einige Jahre zu fahren. Im Gegenteil: Taxifahren kann und darf fast jeder, solange man nicht betrügt oder seine Fahrgäste beklaut. Und die Jahre gehen von ganz allein ins Land. Wir brauchen uns nicht ständig weiterbilden wie in anderen Berufen, und sich ab und zu mal ein neues Hotel zu merken, schafft man schon noch.
Es ist ja schon gut, dass in Zeiten des Jugendwahns auch mal ein anderer Wert wichtig ist, aber warum gleich so extrem? Vor allem, wenn es dann noch gelogen ist.
Vor einiger Zeit kam ich an der Halte am Zeltinger Platz mit einem Kollegen ins Gespräch, 50 bis 60 Jahre alt, er bezeichnete sich selbst als „alter Hase“. Als ich im Gespräch „Ackermann“ und den „Eierfunk“ erwähnte (bis vor ein paar Jahren Bezeichnung für zwei Taxi-Funkgesellschaften), wusste er nicht, was gemeint war. Er würde sich eben mehr in Reinickendorf auskennen. Das hatte überhaupt nichts damit zu tun, ich hatte schon Fragezeichen über’m Kopf, aber okee.
Dann bekam er einen Funkauftrag, das Buddhistische Haus im Edelhofdamm. Er holte seinen Stadtplan heraus und begann zu suchen, allerdings nicht in Frohnau, sondern im Märkischen Viertel. Dabei beginnt die Straße dort am Zeltinger Platz, das Buddhistische Zentrum ist nur wenige hundert Meter entfernt.
Langsam dämmerte es mir: Dieser Kollege war kein alter, sondern ein falscher Hase.

print

4 Kommentare

  1. als ich vor etwa 3 jahren wieder anfing zu fahren, war es hilfreich für mich zu betonen, das ich im grunde schon lange dabei bin, viele für mich neue kollegen, und den newbes wird so gerne allerlei unterstellt.

    aber es ist vieleicht auch mehr. die sehnsucht nach den alten zeiten, nicht vom umsatz aber als noch mehr kolligialität da war, zumindest bei uns.

    ein gewisser komischer stolz, so lange das gewerbe zu kennen, wenn man es im grunde seines herzens mag.

    vieleicht aber auch, das man sich wacker gehalten hat ohne wegzulaufen.

    die vielen vielen geschichten die man erlebt hat. und es kommt immer neues dazu. gutes schönes berührendes tragisches hartes komisches. eine summe, die sich auch in solchen zahlen ausdrückt.

    und, man möchte vieleicht demonstrieren, das man dazu gehört, nicht einer ist, der nur mal da ist und eh wieder geht.

    verbundenheit ist etwas, was eben mal, so habe ich es erlebt, wichtig war fürs gewerbe, verbundenheit mit dem job, aber auch mit den kollegen diei ja auch den kopf hinhalten.

    so mal als ideen zu deiner frage.
    vieleicht eine sentimentale, oder weibliche sicht.

  2. Da kann schon was dran sein, ich glaube auch, dass uns dieser Job mehr prägt als andere Berufe das tun, weil wir sehr, sehr nah am Leben dran sind und sehr viel mitkriegen.
    Aber oft habe ich das Gefühl, dass ja jemand nur angeben will, und das find ich einfach nur flach. Ach, keine Ahnung, es musste mal raus.

  3. Und ich mache es gegenüber Fahrgästen manchmal genau anders rum. Ich behaupte einfach, dass ich erst seit 2 -3 Monaten Taxifahren würde. „Aber dafür kennen Sie sich ja sehr gut aus.“
    Muss auch mal sein.

  4. dieser job prägt nicht nur, es ist ja fast so, als verbringe man sein ganzes leben darin, wenn man nicht achtgibt für ausgleich zu sorgen.
    Und gilt das nicht auch für angestellte fahrer, wie andernorts eher selbstständige sich so reinhängen in ihren beruf?

    Aber Angeber sind schon lustig, ich kannte mal einen, ein echt süßer junge, alle mädels schauten dem sonstwohin, der unterhielt die ganze kneipe mit seinen erzählungen von einem konzert wo er grade war.
    problem: das benannte konzert mit den benannten bands fand erst zwei tage drauf statt.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*