Der Meistersaal in Kreuzberg

Unauffällig gliedert sich das 100 Jahre alte Gebäude mit der durch Säulen verzierten Fassade in die Häuserfront der Köthener Straße, nicht weit entfernt vom Potsdamer Platz. Und doch ist dieser Ort voll mit Geschichte, Musikgeschichte vor allem. Als ich das Gebäude zum ersten Mal wahrnahm, war ich noch ein kleiner Junge. Es stand allein und halb zerstört in der Straße, auf der anderen Straßenseite war die Mauer. Durch einen Gebietsaustausch zwischen Ost- und West-Berlin wurde sie im Jahr 1972 abgerissen, das dahinterliegende Gelände zwischen Stresemannstraße und Landwehrkanal wurde vom Bezirk Mitte (Ost) dem Bezirk Tiergarten (West) zugeschlagen. Das Haus Köthener Str. 38 stand aber noch auf der Kreuzberger Seite.

Begonnen hat seine Geschichte vor etwas mehr als hundert Jahren. Die Innung des Bauhandwerks errichtete es 1913 als Verbandshaus. Es diente als Bürohaus, sein Herzstück jedoch war der 265 Quadratmeter große Saal. Hier fanden Veranstaltungen statt, hier wurden den Handwerksgesellen nach bestandener Prüfung die Meisterbriefe überreicht.

Anfang der 1920er Jahre zogen mehrere künstlerische Einrichtungen in das Gebäude ein, Verlage, eine Galerie. Im Meistersaal fanden Lesungen statt, Theater- und Musikaufführungen. Während der Nazizeit wurde es verstärkt für Konzerte genutzt, die Reichsmusikkammer übernahm die Kontrolle über den Saal. Ein Luftangriff im November 1943 zerstörte den gesamten hinteren Teil des Gebäudes, abgesehen von den kaputten Scheiben blieb der Meistersaal jedoch intakt. Die oberen Stockwerke waren jedoch ebenfalls ausgebombt und blieben die folgenden 30 Jahre zugemauert und ungenutzt.

Auch nach dem Krieg diente der Saal vor allem zur Aufführung von Konzerten und Theaterstücken. Zwischen 1948 und 1961 wurde der Meistersaal als Ballhaus City bzw. Ballhaus Sisi genutzt. Doch mit dem Mauerbau brach das Publikum weg, statt mitten in der Stadt befand sich das Gebäude plötzlich ganz am Rande.

Noch im Jahr 1961 griff die Schallplattenfirma Ariola zu und baute den Meistersaal zu einem Aufnahmestudio um. Opern- und Operettensänger (René Kollo, Rudolf Schock, Ivan Rebroff), aber auch Schlagerstars wie Zarah Leander oder Peter Alexander nahmen hier Schallplatten auf.

15 Jahre später begann eine komplette Renovierung des Gebäudes. Der Meisel Musikverlag aus Wilmersdorf hatte 1976 den gesamten Komplex gekauft und auch die oberen Stockwerke wieder hergerichtet. Überall entstanden Tonstudios, die kurz zuvor gegründete Marke Hansa war eben auf dem Weg, für ihre qualitativ hochwertigen Aufnahmen international bekannt zu werden. Das auch deshalb, weil die Studios immer auf dem neusten technischen Stand gehalten wurden. Schon früh arbeitete man hier z.B. mit Computern.

Viele bekannte Künstler wie David Bowie, Depeche Mode, U2, Richard Clayderman oder Jon Bon Jovi reisten an, um im Meistersaal ihre Schallplatten einzuspielen. Und auch ein Großteil der westdeutschen Musikszene nutzte die Hansa-Studios, Rock, Pop, Schlager, Liedermacher, viele große Namen waren vertreten, wie Lindenberg, Jürgens, Nena, Tote Hosen, Rosenberg, Maffay und, und, und…

David Bowie hatte drei seiner wichtigsten Alben größtenteils im Meistersaal produziert. Und wie so einige andere schummelte er ein bisschen. Zu seinem Song „Heroes“ wurde er angeblich durch die Mauer auf der gegenüber liegende Straßenseite inspiriert. Tatsächlich aber war diese bereits vier Jahre zuvor abgerissen worden. Aber egal, die Geschichte ist trotzdem schön.

Ab dem Frühjahr 1989 entstand auf dem Brachgelände an der Köthener Straße der sogenannte Polenmarkt, das Tempodrom baute seine Zelte auf und mit dem Mauerfall kamen die vielen Autos. Der einst ruhige Meistersaal war nun nicht mehr als Aufnahmestudio zu gebrauchen. Stattdessen sollte er wieder zu einem Veranstaltungsort umgebaut werden.

1994 war dieser Umbau fast beendet, als alte Fotografien des Saals auftauchten. Daraufhin begann der Umbau erneut. Doch dem Saal war nicht viel Glück beschieden. Mehrmals wechselten die Eigentümer und auch die Konzepte. Derzeit wird der Meistersaal als Veranstaltungsort für verschiedene Events genutzt. Und auch hin und wieder für Musikaufnahmen.

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