Ein Kreuzberger 1986 in Lichtenberg

An manchen Tagen kann ich diese Unifor­men einfach nicht mehr sehen. Schon beim Heraus­tre­ten aus dem Block in der Lenin­al­lee [heute Lands­ber­ger Allee] in Lich­ten­berg stehen sie vor der Tür, mich befällt das typi­sche mulmige Gefühl im Magen, das ich immer nur hier habe. Als ich noch in Kreuz­berg wohnte, waren Poli­zis­ten für mich immer “Bullen”. Hier gibt es für diese Bezeich­nung gleich ein Jahr Knast wegen “Diskri­mi­nie­rung staat­li­cher Organe”.

Auf die Bevöl­ke­rung umge­rech­net gibt es in Ost-Berlin doppelt so viele Poli­zis­ten wie im West­teil. Viel­leicht sind sie deshalb immer in Zwei­er­grup­pen. “Warum treten die Volks­po­li­zis­ten so häufig als Paar auf? Weil sie nur zu zweit ihre zehn Schul­jahre zusam­men­krie­gen”, spot­tet der sozia­lis­ti­sche Volks­mund. Und wenn man mit diesen preu­ßi­schen Kame­ra­den zu tun hat, hat man den Eindruck, dass etwas Wahres dran ist. Es sind meist nicht die hells­ten Köpfe, die am 150%igsten sind. Die ihr Unwis­sen mit Diszi­plin und Härte über­spie­len.
Dabei ist eine Einschüch­te­rung meist gar nicht nötig, die gibt es schon vom Anfang der sozia­lis­ti­schen Erzie­hung an. Nicht dass im Westen die anti­au­to­ri­täre Erzie­hung gesiegt hätte, aber Ja-Sager und Buck­ler habe ich dort nie in solchen Mengen getrof­fen, wie hier täglich in Ost-Berlin. Es tut weh.

Und es zieht sich durch die gesamte Gesell­schaft, das Anpas­sen, das Mitma­chen, das Nicht-aus-der-Reihe-tanzen. So wie die Mili­ta­ri­sie­rung. “Wer noch­mal eine Waffe anfässt, dem soll die Hand abfal­len!” Diese Losung war schnell verges­sen. Schon im Vorschul­al­ter lernen die Kinder Befehle zu befol­gen, marschie­ren, später fahren sie in klei­nen Panzern. In der “Gesell­schaft für Sport und Tech­nik” sowie in den Betriebs­kampf­grup­pen werden Zivi­lis­ten mili­tä­risch gedrillt. Glaubt die Staats­füh­rung wirk­lich, dass die Menschen diesen Staat gegen “Impe­ria­lis­ten” oder “Staats­feinde” vertei­di­gen würden? Meine Freunde hier haben die “Fahne” noch vor sich, den Dienst in der Natio­na­len Volks­ar­mee. Einer hat sich heulend die Arme aufge­schnit­ten, aus Verzweif­lung. Dieje­ni­gen, die schon dort waren, erzäh­len nur verbit­tert von davon. Manche sagen, dass sie dort ihren Staat hassen gelernt haben. Als West-Berli­ner bin ich doppelt privi­le­giert: Hier im Osten sowieso, weil ich ja jeder­zeit wieder auf die andere Seite kann. Und in der Bundes­re­pu­blik eben­falls, weil West-Berli­ner auch nicht zur Bundes­wehr müssen. Ich habe schon immer ein großes Miss­trauen gegen alles Mili­tä­ri­sche, das ich in West-Berlin nur von den jähr­li­chen Mili­tär­pa­ra­den auf der Straße des 17. Juni kenne. Aber hier in der DDR ist es über­all präsent, auch die Propa­ganda vom “bewaff­ne­ten Frie­den”. Es gibt wohl nur wenige, die das glau­ben: Der Aufstand am 17. Juni 1953 ist nicht verges­sen, genauso wenig wie der Einmarsch 1968 in die Tsche­cho­slo­wa­kei. Niemand traut der NVA zu, länger als einen Tag auszu­hal­ten, wenn es wirk­lich mal einen mili­tä­ri­schen Angriff geben sollte. Was also soll die Propa­ganda errei­chen, wenn nicht die Einschüch­te­rung der eige­nen Bevöl­ke­rung?

Wenn ich am Bahn­hof Fried­rich­straße oder der Ober­baum­brü­cke stehe, dann freue ich mich auf “meine” Stadt, die doch ziem­lich weit weg ist, wenn auch nur ein paar hundert Meter. Die Monate in der DDR haben mir gezeigt, dass meine Unzu­frie­den­heit in West-Berlin anders ist, als ich sie vorher wahr­ge­nom­men habe. In Kreuz­berg habe ich doch viele Frei­hei­ten und Möglich­kei­ten, kann mein Leben in rela­tiv großem Rahmen selbst bestim­men. Erst in der DDR habe ich wirk­li­che staat­li­che Bevor­mun­dung gelernt, seit­dem kommt mir die Büro­kra­tie im Westen sehr klein vor.

Und doch habe ich etwas gefun­den, das die vielen nega­ti­ven Erfah­run­gen wieder ausgleicht. Ich habe erfah­ren, dass mir zuge­hört wird. Das, was ich sage, wird tatsäch­lich wahr­ge­nom­men, plötz­lich muss ich statt dahin gewor­fe­ner Sprü­che eine rich­tige Aussage tref­fen. Unter all der Härte des öffent­li­chen Alltags habe ich eine große Sensi­bi­li­tät erfah­ren. Viele, wenn nicht die meis­ten, wollen z.B. gar nicht in den Westen gehen, wovon ich vorher immer über­zeugt war. Sie sehen dort eine gesell­schaft­li­che Kälte, und das nicht nur, weil es im Neuen Deutsch­land steht. Und sie haben recht. Ich habe immer wieder den mitleids­vol­len Blick ertra­gen müssen, wenn ich mich mal wieder zu ober­fläch­lich gege­ben habe, wieder mal einen leeren Spruch ange­bracht habe, nur um irgend­was zu sagen oder um mich selbst inter­es­sant zu machen. Dabei wäre das nicht nötig gewe­sen: Im Priva­ten ist mir immer wieder wirk­li­ches Inter­esse an meiner Person, an meinem Leben, meinen Erfah­run­gen und Gedan­ken begeg­net. Ich konnte die Fragen irgend­wann nicht mehr locker abbü­geln, musste plötz­lich mehr über mich nach­den­ken.

Im Westen muss man seine Fassade aufrecht erhal­ten, hier auch. Aber hier im Osten ist es vor allem eine Fassade nach außen, die die Öffent­lich­keit bzw. den Staat vom eige­nen Kreis der Freunde und Fami­lie abgrenzt. Dage­gen laufen in West-Berlin viele mit ihrer Mauer um sich selber rum. Wie tausende Menschen, die sich ein Fass über­ge­stülpt haben, jeder für sich.
Berlin ist eine geteilte Stadt, nicht nur geogra­fisch. Aus meinem vertrau­ten Kreuz­dorf bin ich in die fremde Haupt­stadt gekom­men und diese Erfah­rung hat zwei Bilder verän­dert: Das über die DDR und das über den Westen. Ich versu­che zu verste­hen, was diese Unter­schiede sind, und wie es weiter­geht.

ANDI 80

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2 Kommentare

  1. Hallo Aro,
    wie ich Deinem Blog entnehme, fährst du Taxi. Das habe ich in den 1980er/90er Jahren auch gemacht. Einmal, es war Anfang der 90er Jahre, hatte ich als Fahr­gäste ein junges Ehepaar. Sie woll­ten am Sonn­tag­vor­mit­tag in ein klei­nes Dorf west­lich von Span­dau, bis 1990 in der DDR.
    Die Frau erzählte mir, dass sie im Jahr 1987 einen Ausrei­se­an­trag gestellt hatten. Schlag­ar­tig wurden sie darauf­hin vom ganzen Dorf mit allem den Leuten zur Verfü­gung stehen­den Hass verfolgt. Niemand grüsste sie mehr, niemand sprach mehr mit ihnen, sie wurden in den Geschäf­ten nicht mehr bedient. So ging das bis zu ihrer Ausreise. 1991 kehr­ten sie dann ins Dorf zurück. Auf einmal über­schlu­gen sich alle, die sie gestern noch hass­ten, vor Freund­lich­keit und rutsch­ten auf ihren eige­nen Schleim­spu­ren aus. Sie aber lebten inzwi­schen im frühe­ren West-Berlin und woll­ten nie wieder in die DDR zurück.
    Nachts bei der Arbeit habe ich oft die Call-In-Sendung von Fritz gehört, mit der Mode­ra­to­rin Irina Grabow­ski: https://www.inforadio.de/team/mitarbeiter_innen/grabowski__irina.html. Die war aus der DDR und bekannte sich auch zu dem Guten, was sie von dort mitbe­kom­men hatte. Wenn aber ein/e Anrufer/in ihr erzäh­len wollte, wie schön die DDR doch war, weil die Menschen alle viiieel, viiieel wärmer waren usw., dann fuhr sie ihm/ihr rigo­ros dazwi­schen: Diese Art von Ostal­gie könne sie über­haupt nicht ausste­hen; und ob man warm oder kalt mit seinen Mitmen­schen kommu­ni­ziere, hänge doch haupt­säch­lich davon ab, mit welchen Mitmen­schen man zusam­men sei. Zwischen­mensch­li­che Wärme und Kälte gebe es schliess­lich über­all.
    Damit hat Frau Grabow­ski natür­lich recht. Und ich kann mir nicht helfen, aber ich finde diese Art der Gespens­ter­be­schwö­rung „die Leute in der DDR waren arm und unter­drückt, aber soli­da­risch und fürein­an­der da und deshalb glück­lich“ kitschig.
    LG

  2. Frank hat mit seinem letz­ten Satz sicher Recht. Die Reali­tät bzw. Vergan­gen­heit ist zu komplex um sie in einem Satz darzu­stel­len. Aller­dings kommt der ausführ­li­che Text von Aro dem “Phäno­men DDR” m.E. schon ziem­lich nahe.
    Der Jour­na­list und erste Leiter der “Stän­di­gen Vertre­tung der BRD in der DDR”, Günter Gauß, prägte in seinem 1983 erschie­nen Buch “Wo Deutsch­land liegt” den Begriff der “Nischen­ge­sell­schaft” und schrieb vom “Staats­volk der klei­nen Leute”. Und in diesen “Nischen” gab es eben tatsäch­lich diese zwischen­mensch­li­che Nähe und Soli­da­ri­tät, die sich anders darstellte als im Westen im Verein oder auch im Freun­des­kreis, weil eben die äuße­ren Bedin­gun­gen andere waren.
    Wer sich als “Spät­ge­bo­re­ner” oder West­deut­scher ohne DDR-Erfah­rung über die DDR infor­mie­ren möchte, kann noch heute das Buch mit Gewinn lesen.

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