Von Ada soweit die Füße tragen

Spittelmarkt

„Geht Ihr mit, ein Süppchen essen?“ fragte Detlef Prinz, und so begleiteten wir ihn zu Ada. Sie betreibt in der Mauerstraße das Lokal Friedrich’s. (Ein Süppchen bestellten wir nicht. Sondern Lauchkuchen mit Kräuterquark: eine Spezialität. Müssen Sie auch probieren, wenn Sie demnächst hingehen.) Hernach gingen Detlef und die schöne Charlotte in die Redaktion zurück; ich bedanke mich beim Geschick, weil es mir erlaubt, durch die Stadt zu spazieren und das als Arbeit aufzufassen.

Die Stadtwelt im Rücken der Leipziger Straße ist ganz anders als vor ihren Augen. Es geht durch Hinterhöfe (der Geschichte und des Zeitgeists). Sprayer gab es in der DDR nicht. Auch keine Spraydosen, aus denen Kids Kunst produzieren können und Protest oder auch einfach nur Dreck. Ich will mich nicht entscheiden, welche Qualifikation das chemische Bunt auf den Plattenbaracken der Charles-Darwin-Schule verdient. Das Ensemble wirkt dreckig und ungepflegt: eine Bildungsstätte für das Volk inmitten der Mitte des Landes der Dichter und Denker. Vor dem Haupteingang der Schule ist ein Stückchen Wildnis und Verfall erhalten; solche Eindrücke waren es, die Berlin in Mauerzeiten so eigenartig machten, ganz dicht unter Kultur und Zivilisation liegt die Steppe, das, was nicht gepflegt sein will: Stoppschilder für den Menschen inmitten seiner Massenhaftigkeit. „Neu und leicht von Mensch zu Mensch!“ Das wäre gegen die dunklen Gedanken eine aufmunternde Parole, aber es ist eine Zigaretten-Reklame neben dem Landesdenkmalamt.

Das Landesdenkmalamt ist eine komische Behörde. Wenn es die schon immer gegeben hätte, dann gäbe es jetzt das nicht, was die Behörde beschützt. Jetzt werden die 50er Jahre unter Denkmalschutz gestellt. Die Stadt ist noch nicht ganz in ihrer Gegenwart angekommen, da wollen die, die man diese Gegenwart bauen lässt, sich an der Geschichte oder einem gewissen Stückchen davon, schadlos halten, als ob es die wichtigste Funktion einer Stadt sei, das baugeschichtliche Museum ihrer Vergangenheit zu sein.
Auf dem wilden Parkplatz an der Axel-Springer-Straße parkt der VW-Lieferwagen der Fa. Jürgen Witt. Laut Aufschrift liefert sie „Mauerabdeckungen“, da steht sie hier richtig. Der Name Axel Springer ist für dieses Straßenstück neu. Auch eine Art Mauerabdeckung. Wenn man die Axel-Springer-Straße zu Ende geht, hat man das Gefühl, sich verlaufen zu haben. Sie verwandelt sich in die Beuthstraße: eine einzige Baustelle. Passend zum Namensgeber. Berlin kehrt teilweise in den Sand zurück, aus dem es gemacht ist.

Das ist am Spittelmarkt. Die Inschrift „Alt-Berliner Biersalon“ am Plattenbau wirkt geradeso ironisch wie die Inschrift an der Raulf-Baustelle, die wieder einmal den berühmten Nachweis antritt, welche Veränderung in den Sätzen eine unerwartete Großschreibung hervorbringt: „Eltern haften für Ihre Kinder“, wird mir freundlich versichert. Die Kita Mauz und Hoppel hat noch Plätze frei für Kinder von 0 bis 7 Jahren. Ich habe auch eine Kita für Kinder von 0, in ihr sind unzählige Plätze frei. Jetzt bin ich also am Spindlershof. Der restaurierte Teil ist nur ein kleines Stückchen der einstigen größten Hofanlage in Berlin. Färberei und Wäscherei. Jetzt – wie man in der militärischen Sprache von gestern sagen könnte – ein Versicherungs-Stützpunkt. Allerdings auch eine Boutique, „le chic“, hoffentlich gehen die Geschäfte gut, Läden, in denen man etwas kaufen kann, kann der Spittelmarkt gebrauchen.

Jetzt in die Neue Grünstraße. Das lohnt sich. Die Straße ist ein Ensemble der Verschiedenartigkeiten. Im Plattenbau (den man gewiss auch bald unter Denkmalschutz stellen wird) amtiert der evangelische Bischof. Ich habe zu dem Mann ein freundliches Verhältnis; fast ist mir, als kennte ich ihn; bei seinem Vater, der ein nazistischer Staatsrechtlehrer gewesen war, hörte ich in den 50er Jahren in Freiburg Verfassungs-Geschichte, wir wunderten uns gar nicht über die Nahtlosigkeit. Da freut es mich, dass der Sohn die Werte verteidigt. Liebe und Einsicht schließen sich nicht aus. Neben dem schmucklosen Bischofssitz das Gemeindehaus der St. Petri-Gemeinde. Die Fassade verfällt, hinter den Säulen öffnet sich nichts mehr. Der Briefkasten ist verrostet, die Kirche sieht nach Armut aus. Sympathisch. Im Aushangskasten: ein Text von Buber, ein anderer von Augustin; die Pastoren Boß und Reichsmayr scheinen Ökumeniker zu sein. Das wirkt angenehm weltstädtisch neben der aufwändig renovierten Nr. 18, die sich „Kleines Regierungs-Viertel“ nennt: Bau- und Bauverwaltungs-Firmen. Aber auch der S. Fischer-Verlag und ein durch seinen Namen für unsereinen sympathisches „Büro für gesundes Sitzen“. Von der anderen Seite heißt dieser Hofkomplex Alte Jakobstraße 85/86. Kann mir da nicht einer eine schöne Wohnung vermieten?

Ich gehe durch die Sebastianstraße. Wäsche hängt auf der Leine. Viel Grün. Kinder spielen laut. Das Quartier liegt immer noch ein bisschen im Schutze der Mauer. Mitten in der Stadt hat Berlin etwas Kleingartenhaftes.
Ich bin müde. Die Füße tun mir weh. Schnell die Stallschreiberstraße abwärts. Aus Mitte nach Kreuzberg. Am Oranienplatz in den 129er. Der Busfahrer hat schlechte Laune. Ein Farbiger blickt mich lächelnd an, als wollte er sagen: Der Mann hat Liebeskummer und weiß nicht, dass er nicht der erste ist. Wir können ihm die Ungelegenheiten verzeihen, die er uns für unser Geld bereitet. Ich lächle zustimmend.

Aus: Spaziergänge in Berlin (1990er Jahre)

Foto: Marek Śliwecki, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

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