Finsterer Hansaplatz

Den Hansaplatz im Tier­garten einen finsteren Ort zu nennen, ist eigentlich falsch. Selbst jetzt, an einem Spätsommertag um 22 Uhr ist er recht hell. An der Bushaltestelle Altonaer Ecke Klopstockstraße wird man sogar geblendet, schaut man gen Norden auf den Ort, der gemeinhin mit dem Hansaplatz verwechselt wird. Die Scheinwerfer auf dem Restaurantdach, die lang gestreckte beleuchtete Fassade des Grips-Theaters, das Licht des U-Bahnhofs, das durch die Wand aus Glasbausteinen scheint, lassen den Platz heller erscheinen, als er eigentlich sein sollte.
Die Hochhäuser der Bauausstellung, die nun auch schon über 60 Jahre alt sind, heben sich kaum vom dunklen Himmel ab, aber die vielen beleuchteten Fenster zeugen vom Leben am Platz.

Das war nicht immer so. Am Ende des Tausendjährigen Reichs standen hier nur noch Ruinen. Im November 1943 sowie Anfang Februar 1945 wurde das gesamte Areal von alliierten Bombern ins Walhalla gejagt, später folgte ihm das restliche Reich. Das Hansaviertel, am Rande des Tiergartens gelegen, war keine schlechte Gegend. Aber es war eng. Hinterhäuser und kleine Höfe, nicht so schlimm wie im Wedding, aber doch: voll. Heute ist es schwer vorstellbar, wo es so viel Platz gibt zwischen den Bauten. Es ist, als wären die waagerechten Häuserzeilen in die Vertikale aufgestellt worden.

Wer sich die Mühe macht und in die Bartningallee geht, sollte ihrem Knick nach rechts nicht folgen, sondern einfach geradeaus weitergehen, dem alten Verlauf der Klopstockstraße folgend. Hier muss er über den Rasen, aber es ist, als befände er sich auf einer grün bedeckten Straße: Zwei Baumreihen markieren den einstigen Straßenverlauf und enden, bevor man die Durchfahrt unter der S-Bahn erreicht, in einem Gebüsch. Aber soweit wollen wir jetzt gar nicht. Hinter der Bahntrasse haben zwei Straßenzüge das Inferno überlebt, es lohnt sich, sie sich anzuschauen.

Wir stehen aber noch immer an dem Platz, der vor mehr als 70 Jahren in die Finsternis gebombt wurde. Oder soll man „gehüllt“ schreiben? Umschreiben. Weil diejenigen, die hier an diesen kalten Wintertagen verreckten, nicht zu 100 Prozent unschuldig waren an den Ursachen, die zum Krieg führten?

Als damals die Dunkelheit über den Hansaplatz kam, war er noch ein richtiger Platz, nicht nur eine Kreuzung. Er war das Zentrum des Hansaviertels, sechs Straßen führten auf ihn zu, in der Mitte ein Rondell. Dort wurden die Leichen gestapelt, die man aus den Ruinen herauspulte. Keine Ahnung mehr von der schönen Wohnung, in der Mathilde Jacob ihre Freundin Rosa Luxemburg empfing, Heinz Knobloch hat ihr mit seinem wunderschönen Buch „Meine liebste Mathilde“ ein Denkmal gesetzt, heute ist auch der Platz vor dem Rathaus Tiergarten nach ihr benannt. Die Straßen waren ruhig danach, durch die Ruinen sah man die Sterne. Schwer vorstellbar damals, dass hier nochmal Leben einziehen würde.

Heute Nacht aber nimmt der Fahrzeugverkehr nicht ab und tagsüber ist die kleine Fußgängerzone belebt. Ein paar Obdachlose sitzen auf dem Boden, sie werden hier vom Bürgerverein und dem zuständigen SPD-Abgeordneten diffamiert und bekämpft. Wer etwas hat, will das Elend wohl nicht sehen. Doch mit der Vertreibung der Ärmsten kann man nicht die Armut abschaffen.

Auf der nahen Bahntrasse wechseln sich ICE- und Regionalzüge mit den S-Bahnen ab, aber sie halten hier nicht. Ihr Bahnhof ist ein paar hundert Meter weiter. In der Erde lässt die U-Bahn den Boden leicht vibrieren. In dem in warmen Farben beleuchteten Restaurant sieht man noch zahlreiche Gäste an den Tischen, trotz der Kälte stehen zwei Taxifahrer neben der Rufsäule und unterhalten sich. Aus Richtung des Teehauses im Tiergarten strömen Leute zum U-Bahnhof, die gerade noch im Grünen gegessen haben.
Nein, der Hansaplatz ist nicht mehr finster, das Leben ist wieder hier.

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2 Kommentare

  1. Bis auf tief in der Nacht geht der Hansaplatz aus der Taxifahrer-sicht immer…sogar die Rufsäule wirft gute Aufträge ab…Danke Dir für diese kleine Hommage!

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