Sorgenkind Wikipedia

Wer regelmäßig das Internet nutzt, zudem zur Recherche von Informationen, kommt an Wikipedia nicht vorbei. Dieses Projekt ist eine Online-Enzyklopädie, die frei verfügbar ist und an der jeder mitarbeiten kann. Durch diese Offenheit wurde sie groß und berühmt, im deutschsprachigen Wiki wurden seit 2001 bereits rund eine Million Artikel eingestellt, etwa 7000 Autoren arbeiten regelmäßig mit. Derzeit werden es jedoch weniger, denn es tobt ein Streit innerhalb des Projekts, der künftig auch Auswirkungen für alle Nutzer haben wird.
Hintergrund der Auseinandersetzungen ist ein Prinzip, das für einen eingestellten Text eine gewisse Relevanz fordert, da er ansonsten gelöscht wird. Naturgemäß gehen die Ansichten darüber weit auseinander, zumal jeder etwas anderes relevant findet. Von Zensur war die Rede, die Gegenseite verteidigt ihren Standpunkt der „Entmüllung“ der Inhalte. Dabei geht es gar nicht um die Löschung falscher oder nicht ernst gemeinter Beiträge, sondern um richtige Artikel, die mancher eben nicht wichtig genug findet. Da die Autoren auch Texte anderer Leute bearbeiten und sogar löschen können, ging es irgendwann los, den Relevanzmaßstab anzulegen und zu löschen. Natürlich nicht die eigenen Artekel, sondern die anderer Autoren. Zwar ist vor der Löschung eine Diskussion nötig – aber über die Wichtigkeit eines Textes gibt es eben unterschiedliche Meinungen. Und so floss das böse Blut schnell in Strömen und fließt noch immer. „Zensor! Blockwart“ rufen die Opfer, „Chaot! Rüpel!“ schreien die anderen zurück. Nach mehreren Wochen Streit sind nicht nur etliche Texte verschwunden (niemand kennt die genaue Zahl), sondern nun springen auch immer mehr Autoren ab, weil sie es leid sind zu streiten oder für die Müllkippe zu schreiben. In den vergangenen Monaten war es für neue Leute schon schwer, überhaupt als Autor einzusteigen, weil die ersten eigenen Texte oft gleich zerrissen wurden. Mit dem Schwingen der Relevanzkeule jedoch schreckt man Neue erst recht ab.
In einer Radiodiskussion zu diesem Thema wurde Ende Oktober der Vorschlag eingebracht, Wikipedia um einen Bereich zu ergänzen, in dem nur die „relevanten“ Artikel erscheinen. Möglicherweise läuft es tatsächlich darauf hinaus. Dann hätte die peinliche Selbstzerfleischung ein Ende, was dem Projekt mit Sicherheit gut tun würde. Und der Nutzer müsste sich dann entscheiden.

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4 Kommentare

  1. Also ich für meinen Teil halte bei Wikipedia Relevanz für kein gutes Kriterium. In einer Enzyklopädie werden einem unwichtige Artikel ja nicht aufgedrückt. Entweder man liest sie, oder eben nicht.
    Selbst innerhalb eines Textes: So lange es eine – meinetwegen nach strengen Kriterien – gefilterte Kurzbeschreibung gibt, kann ich doch im umfangreichen Teil alles Wissen ansammeln, das existiert.
    Mir selbst mag vielleicht egal sein, was der Ortsvorsteher des Karnevalsclubs Osterburken Ost am 20. Februar 1985 gesagt hat – aber warum soll es da nicht stehen?
    Ich bin ein ausgesprochener Vielleser bei Wikipedia, und je umfangreicher ein Artikel ist, desto interessanter ist er in der Regel auch für mich.

  2. Richtig. Zum Vergleich: Die englisch-sprachige Wikipedia hat 3 Mio. Artikel, also das Draifache der deutschen. Und das sind sicher auch nicht alles Texte über den Carnevalsclub Easterburken East.

  3. Ich stimme euch zu. Ich habe die Diskussion auch verfolgt (von außen). Ich verstehe das Problem nicht. Nicht relevante Artikel werden doch wohl auch nicht oder nur sehr selten aufgerufen – aber wen stört es, dass es sie gibt?

  4. …und ich habe bisher auch noch nicht gehört, dass sich jemand daran stört, dass bei Wikipedia jedes Kuhkaff mit allen Stadtteilen verzeichnet ist. Das ist doch das großartige an Wikipedia: Dort passt auch das Wissen hin, das nicht zwischen zwei Buchdeckel passt.

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