Retter in der Not

Man sagt ja, dass Taxi­fah­rer auto­ma­tisch auch Psycho­lo­gen sind. Tatsäch­lich gibt es immer wieder Fahr­gäste, die einem Dinge erzäh­len, die oft nicht mal die eige­nen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen oder Freunde erfah­ren. Sicher, gerade in Berlin ist die Hemm­schwelle gerin­ger, weil man bei 8.000 Taxis nicht davon ausge­hen muss, dass man sich mal wieder­sieht.
Es kommt natür­lich auf den Taxi­fah­rer an. Wenn der Fahr­gast nach seinem Seuf­zer “Was war das heute für ein schlim­mer Tag” von vorn nur zu hören bekommt: “Tja, Pech gehabt”, dann wird sich kein Gespräch entwi­ckeln. Manche Kolle­gen und ich freuen sich aber, wenn man sich mit den Fahr­gäs­ten auch unter­hält. Ich dränge ihnen kein Gespräch auf, doch man merkt norma­ler­weise inner­halb von Sekun­den, ob er Lust darauf hat oder nicht.
Viele Fahr­gäste haben mir schon ihr Herz ausge­schüt­tet, was manch­mal auch unan­ge­nehm sein kann. Trotz­dem höre ich erst­mal zu und gebe wenn möglich meinen Senf dazu. Das können Alltags­sor­gen sein, Bezie­hungs­pro­bleme, aber auch rich­tige Kata­stro­phen. Ein paar­mal fuhr ich in den Näch­ten Leute, die gerade einen gelieb­ten Menschen verlo­ren hatten. Der Vater des klei­nen Mädchens, das eine Stunde zuvor im Kran­ken­haus gestor­ben war, die Frau, dessen Vater gerade dem Krebs erle­gen ist, die Rent­ne­rin, die bis zum Schluss noch am Kran­ken­bett ihres Mannes saß.
In solchen Fällen kann man nicht viel sagen, aber zuhö­ren. Über das Leid zu reden ist der erste Schritt, um darüber hinweg zu kommen. Da ist es schon gut, nicht einfach nur desin­ter­es­siert das Radio lauter zu stel­len, wie manche Kolle­gen das machen.

Ein paar­mal hatte ich Mütter im Taxi, die über die Entwick­lung ihrer puber­tie­ren­den Kinder geklagt haben. Einer hatte sich mit einem Erwach­se­nen einge­las­sen, ein ande­rer kiffte und schwänzte die Schule. Ich antworte in solchen Momen­ten, dass sich das Verhält­nis zwischen Eltern und Nicht-mehr-Kindern natür­lich ändern müsse, weil Jugend­li­che ihren eige­nen Weg suchen und von den Eltern Vertrauen und Unter­stüt­zung bekom­men soll­ten. Sicher habe ich als Nicht­va­ter gut reden, bin ja nicht selber in der Verant­wor­tung, aber ein biss­chen kenne ich mich da schon aus. Und ich habe diese Zeit bei mir nie verges­sen.

Natür­lich sind die meis­ten Taxi­fah­rer keine Psycho­lo­gen und die Meinun­gen sind nicht wissen­schaft­lich fundiert. Es gab schon Situa­tio­nen, in denen ich darauf extra hinge­wie­sen habe, wenn sich jemand zu sehr auf meine Meinung verlas­sen hatte. Da ging es um den Umgang mit Selbst­mord­ab­sich­ten. Für solche Moment habe ich aber immer eine Tele­fon­num­mer und eine Webadresse im Auto, die ich notfalls weiter­ge­ben kann. Auch die Nummer eines Frau­en­hau­ses gehört dazu. Den Weg zum Psycho­lo­gen, zur Opfer­be­ra­tung oder ins Frau­en­haus scheuen viele Menschen. Deshalb habe ich mich in einem Fall sogar ange­bo­ten, die Dame in ein Frau­en­haus zu fahren (obwohl ich als Mann die Adres­sen eigent­lich nicht wissen darf). Ich wurde dort zwar abge­wie­sen, aber die Frau wurde herz­lich aufge­nom­men, und nur darum geht es ja.

Es kann bei Taxi­fahr­ten zu einer gefühls­mä­ßi­gen Nähe kommen, die es möglich macht, ein gewis­ses Vertrauen zu bekom­men und dann viel­leicht zu helfen. Wer ansons­ten immer nur mit den glei­chen Menschen zu tun hat, von denen er keine Hilfe erwar­tet, öffnet sich manch­mal Frem­den in solch einer Situa­tion. Die schönste Reak­tion die ich mal nach einem Gespräch mit einem Fahr­gast hatte, war: “Sie waren wirk­lich mein Retter in der Not”.

Berli­ner Krisen­dienst: www.berliner-krisendienst.de (nach Bezir­ken sortiert)
Frau­en­haus­ko­or­di­nie­rung: 08000 116 016

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