Hauptstadtpilot in der Rikscha

Früher kannte man sie nur aus asiatischen Großstädten, Jakarta, Peking, Bombay. Doch mittlerweile sind die Fahrradrikscha auch aus der Berliner Innenstadt längst nicht mehr wegzudenken. Einer, der schon seit über zehn Jahren damit sein Geld verdient, ist Michael Hellebrand, der Hauptstadtpilot. Im alten West-Berlin war er Taxifahrer, aber längst hat er sein Tempo verringert. Frei nach dem Motto von Mahatma Gandhi, das auch auf seiner Website steht: „Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen“

Wie bist du eigentlich zum Rikschafahren gekommen?

Ich bin dazu gekommen, weil ich arbeitslos war. Das war 2007. Ich war trocken geworden und habe eine Maßnahme begonnen, also einen 1,50-Euro-Job. Laub fegen in Reinickendorf. Und das ist natürlich ein wunderbares Publikum, das da arbeitet: Ich als frischer Trockener umzingelt von nassen Alkoholikern, die mittags schon besoffen aus’m Bauwagen fielen. Da hab ich mich ja richtig wohl gefühlt.
Aber ich bin auch nicht lange geblieben, denn da erzählte einer, dass gestern jemand in der Abendschau 200 Menschen auf mögliche Jobs angesprochen hätte vor’m Arbeitsamt Neukölln und keiner wollte sie haben. Und der war Velotaxi-Chef. Er hatte gesagt, Sie können sofort morgen bei mir anfangen zu arbeiten, aber er hat keinen gefunden, der da arbeiten wollte.
Er hatte kaum fertig erzählt, da war ich auch schon am Telefon. Telefonzelle damals noch, Telefonbuch, und zwei Tage später war zufälligerweise dort eine Aufnahmerunde. Da war ich da, habe erfahren, ich brauche einen Gewerbeschein, so und so, und dann könnte ich eine Mentorfahrt machen, ob ich denn geeignet wäre.

Was ist eine Mentorfahrt?

Das heißt, ein anderer Fahrer würde mich auf seinem Fahrzeug fahren lassen, um dann zu beurteilen, ob ich denn geeignet wäre. Und dann war ich zwei Wochen später Velotaxi-Fahrer. Ich habe auch sofort gemerkt, dass ich mal fünf Jahre vorher darauf hätte kommen sollen. Reden kann ich ohnehin, Bewegung, eigentlich wie gemacht für mich. Bis heute.
Dann kam ich also in die Firma und sagte: Jungs, Ihr mögt zwar Velofahrer sein, aber ich bin Taxifahrer. Ich werde Euch mal erklären, die das hier geht. Hochmut vor dem Herrn.
Es war zufällig Pfingsten und es lief wie geschmiert, ich hatte richtig fette Kassen. Ich dachte schon, ha ha, wenn das so weitergeht, bin ich finanziell bald saniert. Aber das war natürlich nur das pure Anfängerglück. Und dann merkte ich, dass Velofahren und Stadtführung eben doch was anderes ist als Taxifahren von A nach B. Dass vor allem die Wege ganz andere sind und dass ich vieles lernen muss. Es ist völlig was anderes. Dann bin ich zu den anderen hin, das war so ne eingeschworene Gemeinschaft, und hab zu einem Kollegen gesagt: Entschuldige bitte, ich nehme alles zurück, ich erkläre Euch nicht mehr, wie’s geht, erklärt Ihr mir bitte, wie’s geht. Und dann reichte mir Thommy die Hand und sagte: Willkommen im Verein.

Thommy war Dein Chef?

Nein, es war ein Kollege. Das ist so ne Firma, die vermietet die Dinger für’n Zehner am Tag, damals für nen Fünfer und alles was Du einfährst, kannste behalten. Es geht darum, dass die Dinger mit der Reklame auf der Straße sind. Daran haben die verdient. Die paar Euro Miete waren im Prinzip nur für die Werkstatt und die Wartungskosten. Und Verdienst waren die Events, die sie gefahren haben, wo man verpflichtet ist, mitzumachen

Das musstest Du machen? Eigentlich bist Du doch nicht verpflichtet, sie sind ja nicht weisungsbefugt.

Wenn Du an dem Tag fährst, dann musste das auch mitmachen. Das ist eine Bedingung in dem Vertrag, den Du da unterschreibst. Es ist auch immer hart an der Grenze zur Scheinselbstständigkeit. Wenn man’s genau nimmt, ist es sogar eine Scheinselbstständigkeit. Heute noch.
Ich habe dann zwei Jahre erstmal gelernt. Gut, ich kannte natürlich die Hotels, die Straßen, ich kenne die Stadt wie meine Westentasche, aber Stadtführung ist eben was anderes. Wann haste mit dem Taxi schon mal ne Stadtführung gehabt. Und ich lerne bis heute noch, auch dank Dir, Deiner Website. Was Du da immer so berichtest auf deinen Seiten. Ich sauge schon, wo ich kriegen kann.

Ist das nur bei Dir so, oder auch bei den anderen Fahrern?

Das ist bei vielen anderen auch so. Wir haben alte Fahrer, versierte Fahrer. Da sind Geschichtsstudenten, die erzählen Dir zwei Stunden was über den Reichstag. Anselm zum Beispiel, dass ist ein alter, grauhaariger Zottelhippie, der kann Dir ne Woche lang was erzählen. Wir haben von den alten Fahrern wirklich viele freundliche, gute, belesene, studierte Stadtführer und viele von denen, die lange fahren, die sind auch mit Herzblut dabei. Und so hab ich das Wissen von anderen Fahrern, von eigenen Recherchen, aus Büchern, aus dem Fernsehen.

Sind Deine Fahrgäste hauptsächlich Touristen?

Ja, allerdings ab August merken die Berliner so langsam, das sind ja immer Spätzünder, dann merken sie, dass sie auch fahren dürfen. Und dann fahren sie auch mit. Das ist jedes Jahr dasselbe. In der ersten Hälfte der Saison fahren sie kaum, in der zweiten dann umso mehr. Das ist wie beim Baden: Wird’s warm, ist das Schwimmbad erst am dritten Tag voll, vorher trauen sie sich noch nicht so richtig. Ist tatsächlich so, frag mich nicht, warum. Wenn die Saison langsam ausklingt haben sie so lange zugeguckt, dass sie dann auch mal mitfahren wollen. Sie sind aber oft auch sehr dankbar, denn natürlich wissen die Berliner am Wenigsten von Berlin und der Geschichte.
War ja bei mir genauso. Außer bei meinem Taxilehrer, das war der Einzige, der wirklich Ahnung hatte von der Geschichte. Das war 1986, der hatte zu jeder Straße in Berlin einen Bezug hergestellt, warum die so heißt. Der konnte Dir zu jeder Straße was erklären, aber das hat mich einen Scheiß interessiert. Ich wollte wissen, wo die anfängt und aufhört und nicht, wieso die so heißt. Dann war ich froh, als ich endlich meine 650 Straßen zusammen hatte, damals war das ja nur West-Berlin. 1986 hab ich angefangen und 2000 hab‘ ich aufgehört.

Braucht man für die Rikscha einen Personenbeförderungsschein wie beim Taxi?

Nein, da kann jeder Depp fahren. Man braucht nur einen Gewerbeschein. Und wenn man keinen Autoführerschein hat, muss man einen Fahrradführerschein machen. In der Verkehrsschule, zwischen den Grundschülern. Hihi. Dann macht man zwei Stunden den Führerschein und kriegt dann seinen Zettel.
Wenn man nicht angestellt ist, muss man auch eine extra Versicherung haben, Berufshaftpflicht und den TÜV für das Fahrzeug.

Einen TÜV für’s Fahrrad?

Ja, dann muss man zur Dekra, 130 Euro zahlen und die kontrollieren, ob alles dran ist, Beleuchtung, zweite Bremse. Der ist nicht mal damit gefahren, wie will er da was prüfen, aber das ist eben so.
Und man braucht die Ausnahmegenehmigung der Behörde, und da kämpfen wir gerade drum. Jahrelang konnten wir ohne Genehmigung fahren, seit kurzem wollen die Behörden, dass man als selbstständiger Fahrer eine beantragt. Und die ist echt zum Schießen. Da steht zum Beispiel drin, dass die Fahrgäste nur beim Stillstand ein- und aussteigen dürfen. Das steht sogar zweimal drin, damit’s auch wirklich jeder weiß.
Bisher durften auch immer kleine Kinder auf dem Schoß der Eltern mitfahren. Jetzt hat die Fahrradstaffel der Polizei aber tatsächlich einen Kollegen angehalten und die Frau musste aussteigen, weil sie ihr Einjähriges auf dem Schoß hatte.
Nun frage ich mich: Wenn ich mit der Rikscha mit 8 oder 10 km/h fahre, ist das wirklich so unsicher? Jedes Kind auf dem eigenen Fahrrad ist viel gefährdeter als bei uns hinten in der Rikscha auf dem Schoß der Eltern. Mir ist auch nicht bekannt, dass in den letzten 15 Jahren nur ein einziger Rikscha-Unfall mit Personenschaden stattgefunden hätte.
Was vielleicht dahinter steckt ist, dass sie auch einige erwischen wollen, die zum Beispiel keine Genehmigung haben. Aber die Fahrradstaffel macht zum 19 Uhr Feierabend und dann kommen die Schwarzfahrer raus aus ihren Löchern, und fahren eben erst ab 19 Uhr.

Musstest Du ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen?

Nein, gar nichts. Wir haben sogar seit ein paar Jahren einige Fahrer die es in Ordnung finden körperliche Gewalt auszuüben und sich damit sogar brüsten. Das Niveau in der Branche ist schon deutlich gesunken. Wie überall.

Wie viel Rikschas sind denn in Berlin unterwegs?

150 mindestens, schätze ich. Aber: Gerade weil es so einfach ist, das zu machen, sind da auch immer Fahrer dabei, die wirklich keine Ahnung haben. Die sind zwar keine wirkliche Konkurrenz, aber auch nicht gerade eine Zierde.
Aber ich bin ja Verfechter der Chaos-Theorie und glaube, dass sich das alles findet. Wer nur einfach vom Alex zum Brandenburger Tor will, kriegt einen Fahrer, der stumm die Strecke abfährt. Und Leute, die etwas wissen wollen und auch ne menschliche Komponente schätzen, die finden dann auch den richtigen Fahrer, irgendwie gelenkt, von wem auch immer. Und so kostet je Fahrt genau das, was sie auch wert war.

Was gibt es denn für Rikschas? Ich kenne diese leuchtenden Plastikdinger und dann solche, die Du fährst, die wohl direkt aus Asien kommen und wohl nicht ganz so windschnittig sind.

Aber dafür die Bequemsten! Dann gibt’s noch das sogenannte Berlinmodell, wo hinten eine abgerundete Kabine ist, nur an den Seiten offen und wo der Fahrer davor sitzt. Dazwischen ist eine Scheibe, man kann so mit den Leuten eigentlich nicht kommunizieren. Das sind sozusagen reine Transporter.
Und dann haben wir natürlich noch einige Experimentalfahrzeuge, zum Beispiel Frontlader, Fronties. Da sitzen die Fahrgäste vorn und der Fahrer hinter ihnen. Das mögen aber viele Gäste nicht, gerade weil sie so weit vorn sitzen. Für die Fahrer ist das angenehmer, weil man dann nicht so zu brüllen braucht. Wenn ich im Verkehr nach hinten brülle, komme ich oft heiser nach Hause und schreie meine Freundin an. Die muss mich dann immer bremsen im WortLAUT.

Wie ist das mit den Firmen organisiert und mit den Selbstständigen?

Viele sind eigentlich privat, bis auf Berlin-Rikscha-Tours, das ist der zweitälteste Betrieb. Velotaxi hatte angefangen, damals als Linienbetrieb auf dem Kurfürstendamm. Dafür gab’s auch nur die Genehmigung. Und nur auf ausdrücklichen Wunsch des Fahrgastes, durfte man in eine Seitenstraße. Man durfte auch nur an den Haltestellen laden. Da gibt’s auch heute noch eine Haltestelle am Adenauerplatz. Das ist aber alles aufgeweicht worden, relativ schnell.
Rikscha-Tours kamen dann 2003, 2004 dazu, mit etwa 15 China-Rikschas.
Die allerersten Rikschas sind von den Hippies gefahren, 1995 über’n Kudamm. Das waren noch wirklich Einzelkämpfer, eine Hand voll. Anselm war einer davon, der fährt heute noch. Das ist der, der wirklich alles weiß.
Etwa die Hälfte der Fahrer sind bei Firmen und die anderen Hälfte, so wie ich, waren mal bei ner Firma und wollten dann ihr eigener Chef sein.

Wie funktioniert das mit dem Fahrgäste finden? Ich kenne natürlich die Plätze, wo viele von denen stehen, an der Siegessäule oder am Brandenburger Tor. Aber kann man sie z.B. wie ein Taxi einfach winken?

Das mache ich neuerdings so, weil so viele rumstehen an den üblichen Orten. Und wenns dann auch noch irgendwelche Flaschen sind, die da drin sitzen und in der Nase popeln, na ja. Es gibt leider auch immer mehr Kollegen, die die Reihenfolge nicht mehr akzeptieren und denken so mehr zu verdienen. Das geht dann aber auf Kosten des Spaßes. Am Alex zum Beispiel gibt’s tatsächlich keine Reihenfolge mehr, da kannste laden wie Du willst. Aber ansonsten gibt’s zumindest unter den alten Kollegen noch sowas wie ne Reihenfolge. Das war auch ein Grund, warum ich den Job so geliebt habe. Denn wenn fünf Leute am Stern standen, man konnte quatschen und musste an der ersten Position nicht immer aufpassen. Das war natürlich ein viel schöneres Arbeiten, weil man zwischenzeitlich menscheln konnte und nicht wie ein Geier aufpassen musste und zu KÄMPFEN.
Aber ich habe auch keine Lust mehr, mich hinter drei Schnarchnasen anzustellen und deshalb fahre ich unheimlich viel herum. Letztes Jahr habe ich über 50 Prozent durch Greifen gehabt. Einfach weil, ich bin so lange dabei: Ich schaue mir 1.000 Leute an und sehe genau die, die fahren wollen. Die spreche ich dann an und die fahren auch. Ich weiß dann auch schon, wo sie hinwollen. Das sind mir auch die liebsten Fahrgäste, die gar nicht genau wissen, wohin. Denen mache ich dann einen Vorschlag und meistens passt das.

Und wie wird abgerechnet?

Es geht nach Strecke und es geht nach Zeit. Da gibt es die Vereinbarung, dass der erste Kilometer acht Euro kostet und jeder folgende sechs. Aber das ist kein Gesetz, jeder darf fahren wie er will. Oder eben die Zeitabrechnung. Bei mir sind das für eine halbe Stunde 25 Euro, andere fahren für 23, es gibt auch Kollegen, die fahren für 28. Und eine ganze Stunde für 42 bis 45 Euro. Im Prinzip ist es auch fast identisch, ob man eine Strecke per Kilometer oder Zeit abrechnet.
Manche sagen einfach, sie wollen zum Alex. Dann kann ich den anbieten, dass wir etwas mehr draus machen, weil ich ja eben auch Stadtführer bin. Dann biete ich denen eine Führung an, weil es ja auch für sie ein ganz anderes Erlebnis ist, wenn sie nicht nur wortlos dahinzuzischen mit mir. Oder ob ich denen zum Beispiel im Tiergarten zeige, was es da alles zu sehen gibt. Und ich habe noch nie erlebt, dass Fahrgäste danach gesagt haben, das war jetzt doof oder so. Im Gegenteil, ich bin davon überzeugt, bei guten Rikschafahrern ist das eines der schönsten Erlebnisse, die haften bleiben.
In der oft ungewohnten Hektik unserer Stadt ist eine Rikschafahrt oft ein wunderbarer Ruhemoment in angenehmer Atmosphäre. Aber jetzt sage ich auch manchmal, dass ich in Wirklichkeit Psychotherapeut bin und hier eine Sozialstudie betreibe.
Heute wurde ich von einem Fahrgast, einer Dame angesprochen, ob ich denn Arzt wäre. Ich würde so einen Eindruck machen. Man erlebt natürlich so einiges, so wie bei Dir im Taxi wahrscheinlich. Das Schöne ist natürlich, dass ich im Gegensatz zum Taxi Zeit habe, bei mir läuft nicht das Taxameter. Und wenn es fünf Minuten länger dauert, ist mir das scheißegal. Manchmal ergibt sich aus dem Kleinkram was ganz Tolles, es spielt jeden Tag das Leben anders mit mir. Und mir kommt auch mein Alter zugute. Dadurch weiß ich einfach die meisten Menschen zu nehmen. Dann kann ich denen eben ein Event bieten, das dann nicht nur eine Rikschafahrt ist, sondern ein einzigartiges Erlebnis. So dass sie sagen: Nächstes Mal rufen wir den wieder an, das war dufte.

Kann man eigentlich von dem Verdienst leben? Und wie lange muss man dafür arbeiten?

Früher bin ich tatsächlich 10 Stunden am Tag gefahren, aber heute sehe ich zu, dass ich nicht mehr als fünf Stunden fahre. Nach einem Herzinfarkt vor 4 Jahren sagt mein Arzt auch, ich soll fahren, für mich ist das auch noch eine Herz-Therapie. Unterdessen fahre ich nur noch auf Bestellung. Es gibt wohl nur zwei Hände voll Fahrer, die davon leben, die sind aber fünf, sechs Tage, jeweils 12 Stunden draußen. Wie auch bei den Taxifahrern. Die meisten fahren wohl so jeden zweiten Tag.
Man kann ein Stundenmittel kaum sagen, viel mehr als Mindestlohn ist es wohl am Ende gar nicht. Doch es ist insgesamt einfach eine angenehme Arbeit. Aber wie auch bei Euch im Taxi braucht man eben immer die Nase, das Glück und natürlich das Wissen.

Den Hauptstadtpiloten kann man auch direkt buchen. Telefonisch unter
0171 – 471 28 71 oder über seine Website www.hauptstadtpilot.de

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