Der kämpfende Schwule

Vor ein paar Tagen musste ich zurück­den­ken an die Zeit, als ich noch ein schwu­ler Junge war. Ich hatte vergan­gene Woche einen Funk­auf­trag erhal­ten und drei Minu­ten später stand ich mit dem Taxi vor dem „Vaga­bund“. Das ist ein Char­lot­ten­bur­ger „Herren-Club“, so nannte man das wohl 1968, als das Lokal öffnete. Heute sind vermut­lich noch die glei­chen Gäste dort, nur Zarah Lean­der und Marlene Diet­rich kommen nicht mehr.
Die meis­ten Gäste, die ich hier in den frühen Morgen­stun­den abhole, haben es nicht weit. Wohnen in der Nähe, wollen viel­leicht auch in die „Kleine Phil­har­mo­nie“, die ist noch 10 Jahre älter als der Vaga­bund.

Mein Fahr­gast aber hatte einen weite­ren Weg und so kamen wir ins Gespräch. Ich erzählte von einem nicht so guten Erleb­nis, das ich dort als junger Mann vor vielen Jahren hatte. „Ja, es war nicht immer alles ganz korrekt. Früher, als wir noch jeden Abend auf der Suche waren.“ Er erzählte, dass er tatsäch­lich schon seit 50 Jahren dort verkehrt, die gesamte Geschichte erlebt hat, viele Männer kommen sah – und auch ster­ben. In den 1980/90ern an Aids, heute am Alter. Er beschrieb die Kund­schaft sehr liebe­voll, wie man sich eben nach Jahr­zehn­ten kennt, auch in seinen Begier­den, seinen Bezie­hun­gen und Streits.

Mit eini­gen von ihnen ist er früher auch auf die Straße gegan­gen, erzählte er. In den Anfangs­jah­ren war es ja noch ein Skan­dal, dass sich Männer küssend oder Hand in Hand auf der Straße gezeigt haben. „Wir haben viele Schläge einge­steckt und noch viel mehr Belei­di­gun­gen. Als meine Bezie­hun­gen zu Walter raus­ge­kom­men ist, hat mich mein Vermie­ter gekün­digt. So etwas war damals noch normal.“ Er selber hat die AHA mitge­grün­det, Mitte der 70er Jahre, die erste Schwu­len­ver­ei­ni­gung West-Berlins, damals sehr poli­tisch.

„Ich habe mich nie versteckt, habe immer gekämpft. Schließ­lich bin ich nicht aus meinem pfäl­zi­schen Dorf nach Berlin gekom­men, um hier genauso weiter­zu­ma­chen wie dort“, lachte er. Seine Eltern hätten ihm das zeit­le­bens nicht verzie­hen, aber was soll man machen. Anpas­sen und verste­cken wollte er sich nicht und wie hätte das auch gehen sollen? Er sprach davon, dass sie damals sehr ernst und kontro­vers disku­tiert hätten. Die einen woll­ten eine „schwule Revo­lu­tion“, was auch immer das sein sollte. Andere kämpf­ten für glei­che Rechte, nur nicht für die Homo-Ehe, das war ihnen zu spie­ßig. Ande­ren reichte es, wenn es eine möglichst breite Subkul­tur gab, in der sie sich ausle­ben konn­ten.

Mein Fahr­gast sagte, dass er sich unbe­liebt gemacht hätte, weil er den Kampf für Gleich­be­rech­ti­gung zusam­men mit lesbi­schen Frauen führen wollte. Das war bei den orga­ni­sier­ten Schwu­len aber noch nicht denk­bar, viele hätten sogar einen regel­rech­ten Frau­en­hass gehabt.

Der Traum der Szene war damals, dass sich so etwas entwi­ckelt, wie 1969 die Kämpfe im Stone­wall Inn in der New Yorker Chris­to­pher Street, wo sich bis zu 1.000 Schwule und Lesben fünf Tage lang mit der Poli­zei prügel­ten. Dies gilt welt­weit als Grün­dungs­er­eig­nis der offen­siv auftre­ten­den Bewe­gung für Homo­se­xu­el­len­rechte.

Ich konnte im Auto förm­lich seine Augen leuch­ten sehen, bzw. hören, weil er ja hinten saß. Tatsäch­lich haben sie dann auch in Berlin eine schwule Kampf­gruppe gegrün­det, die eigene Veran­stal­tun­gen und Treff­punkte schützte.

Am Ende der Fahrt sagte er noch, dass er sich große Sorgen mache, wie es weiter­geht. In Schö­ne­ber­ger Schwu­len Drei­eck gibt es in den letz­ten Jahren immer wieder Angriffe auf Schwule, vor allem durch arabisch­stäm­mige Jugend­li­che. Und auf poli­ti­scher Ebene versucht die AFD, das Land wieder um Jahr­zehnte zurück­zu­dre­hen. „Es wäre mal wieder Zeit, dass sich die Szene poli­ti­siert und orga­ni­siert. Und nicht nur ans Feiern denkt.“ Da hat er recht!

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