Besuch aus der Provinz

„Geil, das ja wie in New York!“ Das hörte ich, als ich gerade an der roten Ampel am Potsdamer Platz stand, mittlere Spur. Die das so lautstark durch den milden Winterabend schrie, war eine etwa 30 Jahre alte Lady, die mit ihrer Freundin am Straßenrand stand. 5 Sekunden vorher hatte sie zu mir geschaut und gewunken und ich hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie einsteigen können.
Völlig beglückt setzten sie sich ins Auto und strahlten mich an: „Ich habe ja nicht geglaubt, dass das wirklich funktioniert. Sich einfach an der Straße ein Taxi winken. Waaahnsinn!“

Da es gerade Grün wurde, ich immer noch mitten auf der Straße stand und nicht wusste, in welche Richtung es nun gehen sollte, fragte ich erstmal nach dem Fahrtziel.
„Ins Hotel, bitte.“
„In welches der beiden Berliner Hotels denn?“, wollte ich wissen. Natürlich fing es hinter mir bereits mit dem Gehupe an. Das allein macht mich längst nicht mehr nervös, allerdings hatte ich auch nicht vor, hier noch längere Zeit zu stehen.
Meine beiden Fahrgästinnen schauten erst fragend, dann meinte die Dame neben mir: „Na, Sie sind mir ja einer. Es gibt doch bestimmt mehr als zwei Hotels in Berlin.“
„Vermutlich, aber Sie müssen mir schon sagen, in welches Sie möchten.“
„Moment, ich suche mal schnell die Karte raus.“

Ich verdrehte innerlich die Augen, aber Kindern und Touristen muss man ja leider einiges durchgehen lassen. Als sie mir endlich die Visitenkarte des Hotels nach vorn reichte, war die Ampel wieder rot. Und auch das Gesicht des Kollegen hinter mir. Ich konnte ihn gut verstehen.

Auf dem kurzen Weg zu ihrem Hotel in Kreuzberg schwärmte mir die eine Dame wieder vor, wie toll Berlin doch sei. Dass man sich hier einfach auf der Straße ein Taxi winken könnte, wie in New York, wirklich wie in New York. Da ist es auch so. In New York.
Auf meinen Einwand, dass man sich wohl überall nur auf der Straße ein Taxi winken könne, weil z.B. in der U-Bahn ja keine fahren, antwortete sie ernst: „Aber nein! Bei uns in Pforzheim zum Beispiel, da geht es nicht. Üüüberhaupt nicht.“
„Wir haben ja auch keine U-Bahn“, entgegnete nun die andere Frau.
„Wieso denn U-Bahn? Wir reden doch von den Taxis.“
Es hatte schon etwas Loriot-haftes und ich konnte mittlerweile nicht mehr nur heimlich in mich rein lachen.

„Jedenfalls ist das so interessant, dass das hier geht. Wie in New York!“
Sie erklärte mir dann, ich wäre ein toller Taxifahrer, weil ich so großstädtisch wäre und sie „mitten in der Nacht“ (es war ca. 21 Uhr) noch zum Hotel fahren würde.
Bis zum Ende der Fahrt war sie aufgeregt wie ein kleines Kind. Und morgen würde sie sich nochmal ein Taxi winken.
Wie in New York!

print

3 Kommentare

  1. Moin,moin,
    auch hier bei uns ist es eher selten, dass man ein Taxi an der Straße auf Handzeichen anhalten kann. 90% läuft über telefonische Bestellung oder als Einsteiger am Stand. Samstagnacht an der „Küste“ kommen sicher auch immer leere Taxis vorbei.
    Das ist in Berlin und anderen Großstädten ja deutlich anders, da kommt gerade an den zentralen Stellen ja jede Minute ein Dutzend freier Taxen vorbei.
    Eigentlich ja ein Zeichen für Überangebot, oder?
    Gruß Frank

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*