Die Bauernfänger von Berlin

Ein Transport verhafteter Bauernfänger in Berlin, nach einer Skizze von G. Guthknecht

Unsere Illustration stellt den Transport einer Anzahl von Berliner Bauernfängern durch Polizeimannschaften dar. Diese Schwindlergattung ist schon ziemlich allgemein bekannt und erfreut sich eines gewissen Rufs in der Welt. Kein vorsichtiger Vater in der Provinz, der nicht seinem Sohn bei der Abreise nach der preußischen Hauptstadt die Warnung mitgäbe: „Nimm dich vor den Bauernfängern in Berlin in acht!“ Der Mann hat gut reden: aber käme er, wie sein Sohn, als unerfahrener Kleinstädter nach Berlin, so wäre es fraglich, ob er auch nach seinen Worten zu tun vermöchte. Einem Bauernfänger geht man schwer aus dem Wege, wenn man ihm gut für ein Opfer erscheint, und das Taschenzuhalten nutzt nicht viel. Besser schon, dass man es macht wie jener Witzbold, der einer bauernfängerischen Freundlichkeit gleich damit ein Ende machte, dass er sich in vertraulicher Art selbst als einen von dieser Sorte bezeichnete.

Was ist denn auch natürlicher, als dass der Fremde, der aus seinem Dorf oder Städtchen zum ersten Mal nach Berlin Gekommene Unter den Linden langsam spazieren geht, alles neugierig in dieser Prachtstraße anschaut, vor dem Denkmal Friedrichs stehenbleibt und schüchtern dann auf die Freitreppe zum Museum aufsteigt? Wie er da in Sinnen und Betrachten versunken steht, kommt ein freundlicher Mensch an ihn heran, ganz seinesgleichen und Standes, wie es scheint, spielt selbst den Fremden oder macht sich durch Auskunft und harmlose Gefälligkeit liebenswürdig. Der Fremde sieht nicht ein, weshalb er diesem freundlichen Mann misstrauen soll. Er findet auch nichts Böses darin, dass er schließlich, nachdem sie beide sich Berlin besehen, mit diesem Begleiter ein Glas Bier trinken geht. Wenn man da lustige Gesellschaft findet, die gerade ein Spielchen macht, so ist dies immer noch nicht gefährlich, und wenn der biedere Fremde sich endlich daran beteiligt, so ist es seine Sache. Geht er nach einer Stunde freilich ausgebeutelt von dannen, so weiß er recht gut, dass er mit Bauernfängern zusammen gewesen, die ihn im Kümmelblättchen-Spiel, so eine Art Hokus-Pokus mit Kartenerraten, gründlich übers Ohr gehauen haben. Oder das fremde Dienstmädchen kommt auf dem Bahnhof an und trifft da zufällig mit einer freundlichen Frau zusammen, die das lebhafteste Interesse daran nimmt, ihr einen Dienst zu verschaffen, die ihr Unterkommen besorgt und so gefällig gegen sie ist, dass das arme Ding aus so viel Menschenfreundlichkeit erst klug wird, wenn sie, enttäuscht in allem und verlassen, um ihre abgeschwindelte Barschaft weint.

Bauernfänger sind besondere Spitzbubentypen Berlins, gefährliche Menschenfreunde, welche sich das Vertrauen Unerfahrener erwerben und es missbrauchen. Sie leben von der Gutmütigkeit der Menschen nach dem Sprichwort, dass die Dummen nicht alle werden. Gaunerei solcher Art wächst auf dem Sumpfboden jeder großen Stadt; aber der Berliner Charakter, schlau und dreist, hat sie in ein ganz bestimmtes gemütliches System gebracht, wie es anderwärts nicht in solchem Maße der Fall ist. Es ist eine Art Krieg gegen die Einfalt, ein Fallenstellen für Leichtgläubige, als halte sich der Bauernfänger für berufen, seinen Witz auf anderer Kosten zu üben und durch diese Schlauheit den Unerfahrenen schnell mit dem Geist der Zivilisation und den Gefahren der Großstadt bekannt zu machen. Es hat etwas Komisches, von Bauernfängern ausgebeutelt worden zu sein. Aber die Polizei lässt diesen Spaß nicht gelten, und kann sie ein solches Nest aufheben, wo die provinzielle Unschuld ihr Lehrgeld an die Verderbtheit der Großstadt bezahlen muss, so freut sie sich nicht wenig. Es kommt leider selten genug vor, denn der Gerupfte schämt sich nachher, seine Leichtsinnigkeit einzugestehen und die liebe Gesellschaft des Kümmelblättchens zu denunzieren, und diese selbst wechselt ihren Gastwirt, ihren Schankkeller so oft, als sie sich ein Opfer geholt hat. Es war ein unglücklicher Sonntag für jene Bauernfängergesellschaft, welche unser Zeichner auf ihrem Transport nach dem Arrest abgenommen hat. Bei der Razzia, welche an diesem Tage, am lichten Mittag, die wohlunterrichtete Kriminalpolizei in einem auch als Diebesherberge längst bekannten Keller abhielt, fielen zehn Männer und zwei Frauen in ihre Hände, deren Abführung natürlich den Zusammenlauf einer großen Volksmenge zur Folge hatte. Solch ein ganzes Sortiment von Bauernfängern sieht man nicht alle Tage, und alle Welt freut sich, wenn auf eine Zeitlang ein paar weniger arbeiten. Aber sie werden darum ebenso wenig „alle“ wie ihre Opfer.

Diese Industrie ist, wie gesagt, erklärlich in einer großen Stadt wie Berlin. Sie bildet nur einen der Auswüchse, welche die unvermeidliche Demoralisation der massenhaft zusammengedrängten Gesellschaft hier hervorgebracht hat. Berlin hat in der letzten Zeit nicht nur dadurch Anlass zu sehr stark in die Öffentlichkeit gedrungenen Klagen gegeben. Seine überhandnehmende Prostitution, mit welcher die Bauernfängerei und die Zuhälter- oder sogenannte Louiswirtschaft in engster Verbindung stehen, ist in den elegantesten Stadtvierteln ein Ärgernis geworden, dem die Polizei nicht hinreichend Abhilfe zu gewähren vermag. Die nächtliche Sicherheit lässt außerordentlich viel zu wünschen übrig, und wenn eine Zunft Londoner Garotters sich noch nicht gebildet hat, so hätte sie sich doch bei dem Mangel an Überwachung der Straßen bei Nacht recht gut schon konstituieren können. Von Zeit zu Zeit macht zwar die Polizei einen Feldzug gegen das verdächtige Gesindel, welches in den berüchtigten Kellern haust, und jetzt ist nun auch die Sicherheitsmannschaft vermehrt und besser zum Nachtdienst organisiert worden; aber dies alles kann die Gebrechen nicht zur Genüge beseitigen. Liegt es teilweise daran, dass es dem militärischen Schutzmann und Nachtwächter mehr auf den kleinlichen Diensteifer ankommt und der einzelne sich plagt, ohne dem Allgemeinen zu nützen, so ist doch die Hauptquelle dieser Verderbnis in dem Zudrang aller faulen Elemente zu suchen, die sich in Berlin wie in einem großen Reservoir sammeln, und denen die unselige Berliner Häusereinrichtung mit den Kellern, Hintergebäuden, vier und fünf Stockwerken, Gelegenheit gibt, sich auch in den feinsten Vierteln und in vielen der elegantesten Häuser einzunisten, wodurch selbstverständlich eine Überwachung derselben ohne die schreiendsten Missgriffe der Behörden und anstößigste Behelligung friedlicher Bürger nicht möglich ist.

Es ist in neuster Zeit eifrig darauf Bedacht genommen worden, diesem mit dem Wachstum der Einwohnerzahl sich immer mehr ausbreitenden Unwesen Einhalt zu tun. Wie weit es gelingen wird, den Augiasstall der Metropole von dem sozialen Schmutz zu säubern und das überbandnehmende Proletariat einzuschränken, bleibt abzuwarten.

Eine Reportage der „Illustrirten Zeitung“, Leipzig, vom 16. März 1872

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  1. „so ist doch die Hauptquelle dieser Verderbnis in dem Zudrang aller faulen Elemente zu suchen, die sich in Berlin wie in einem großen Reservoir sammeln, und denen die unselige Berliner Häusereinrichtung mit den Kellern, Hintergebäuden, vier und fünf Stockwerken, Gelegenheit gibt, sich auch in den feinsten Vierteln und in vielen der elegantesten Häuser einzunisten, wodurch selbstverständlich eine Überwachung derselben ohne die schreiendsten Missgriffe der Behörden und anstößigste Behelligung friedlicher Bürger nicht möglich ist“, KLASSE!

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