Sind Russen die „neuen Juden“?

Es ist Krieg in Europa und wie in jedem Krieg, stirbt als Erstes die Wahrheit. Schon die Kreuzritter sprachen bei ihren Massakern von Befreiung, 800 Jahre später behauptete Adolf Hitler, ab 5.45 Uhr würde „zurückgeschossen“.
Kriege werden in der Regel aus drei Gründen geführt: Religion, Rassismus oder Nationalismus. Was das Letztere betrifft, könnte man unterscheiden zwischen dem offensiven und dem defensiven Nationalismus. Staaten oder deren Machthaber fühlen sich oft anderen Ländern überlegen. Sei es, weil sie sich besonders stark fühlen oder auch sind. Oder weil sie ihr „Recht“ auf irgendein Gebiet außerhalb der eigenen Landesgrenzen ableiten, weil diese irgendwann mal zum eigenen Staat gehörten. Oder dem Vorgängerstaat, oder dem Vorvorgängerstaat. Oder einfach so.

Offensiver Nationalismus ist oft aggressiv. Kleinere und vermeintliche schwächere Länder werden bedroht oder sogar überfallen und sollen dem eigenen Staatsgebiet einverleibt werden. Oder zu einer Kolonie gemacht werden, also beherrscht werden. Beispiele dafür gibt es in den letzten Jahrhunderten zuhauf.
Dagegen steht der Nationalismus der unterdrückten Staaten oder Völker. Viele besetzte Länder oder die Menschen darin wehren sich gegen diejenigen, von denen sie unterdrückt werden. Da sind beispielsweise die KurdInnen zu nennen, die nicht mal einen eigenen Staat haben, sondern auf mehrere Länder verteilt sind. Trotzdem gibt es einen kurdischen Nationalismus. Die Länder, in denen die Kurden leben, akzeptieren jedoch nicht deren Wunsch nach einem eigenen Staat. So gibt es oft über Jahrzehnte Konflikte, Gewalt und Todesopfer.
Ein anderes Beispiel ist der sogenannte Nahost-Konflikt. Sowohl Israelis als auch Palästinenser beanspruchen das gleiche Gebiet für sich. Beide berufen sich darauf, dass sie ältere Rechte haben, weil sie in der Vergangenheit schon mal das Gebiet besiedelten. Hier spielt auch die religiöse Komponente mit rein, obwohl sie zu Zeiten der Staatsgründung des heutigen Israels noch keine so große Rolle spielte.

Nationalismus war verantwortlich für den Ersten Weltkrieg. Viele Staaten haben sich schließlich dran beteiligt, weil sie für sich die Chance sahen, das eigene Staatsgebiet zu vergrößern oder Kolonien zu ergattern. Und weil sie sich für die Besseren, Stärkeren hielten. Am Ende waren sogar Jahrhunderte alte Gebilde wie das Osmanische Reich oder die k.u.k.-Monarchie Österreich-Ungarn Geschichte.
Nationalismus führt zum Krieg, wenn auch nicht immer zum bewaffneten. Aber er trennt die Menschen, Völker, Staaten. In Berlin leben hunderttausende Menschen, die ihre Wurzeln in anderen Gegenden der Welt haben. Manche der Herkunftsländer existieren gar nicht mehr, sie sind aufgeteilt wie z.B. die Sowjetunion oder Jugoslawien. Viele dieser Menschen leiden unter der Ablehnung von Teilen der deutschen Bevölkerung. Der Nationalismus so mancher Deutscher, gepaart mit Rassismus, ist eine Geißel der Menschheit. Er teilt ein in vermeindlich bessere und schlechtere Menschen, billigt ihnen mehr oder eben weniger Rechte zu. Sehr oft ist dieser Nationalismus auch von der Regierung gewollt oder befeuert. „Der Russe“ war z.B. in Deutschland viele Jahre ein Schreckgespenst. Natürlich in der Nazizeit, dann auch im Kalten Krieg. Heute leben Tausende aus der Sowjetunion und später Russland ausgereiste Menschen in Berlin. Manche sind aus religiösen Gründen emigriert, z.B. weil sie dort als Juden diskriminiert wurden. Andere wollten der gesellschaftlichen Enge entkommen, viele Schwule und Lesben vor allem, KünstlerInnen, Unangepasste. Andere sahen in Deutschland ihre Chance, viel Geld zu machen. Zu meiner Zeit als Taxifahrer hatte ich oft russisch-stämmige Fahrgäste, meistens die Reichen, selten die Künstler.

Heute, im Frühjahr 2022, tobt wieder ein Krieg in Europa. Russland hat die Ukraine überfallen und wütet dort, wie einst die deutsche Wehrmacht an gleicher Stelle. Dabei stellt es der russische Präsident Wladimir Putin so dar, als ob er die ukrainische Bevölkerung von einer Naziregierung befreien wolle. Tatsächlich aber ist es wieder der Nationalismus, der ihn antreibt. Obwohl Russland auch nach dem Zerfall der Sowjetunion in den 1990er Jahren noch immer das größte Land der Welt ist, reicht es ihm nicht. Er sieht die Ukraine als historischen Teil Russlands an, dabei ist sie viel älter und außerdem ein souveräner Staat. Völlig unterschätzt hat Putin dabei den Nationalismus der UkrainerInnen, die ihr Land seit Februar so stark verteidigen, dass die russische Armee sich immer wieder zurückziehen muss. Es ist der defensive Nationalismus von Menschen, die sich nicht einer anderen Macht ergeben wollen, die ihren Staat verteidigen. Und zwar zu Zigtausenden mit dem eigenen Leben. Und je mehr Gräueltaten von russischen Soldaten an UkrainerInnen bekannt werden, umso mehr wächst der Wille, sich zu verteidigen.

Währenddessen regen sich auch Russinnen und Russen, die hier in Deutschland leben. Manche demonstrieren zusammen mit UkrainerInnen und Deutschen gegen den Angriffskrieg. Andere dagegen verteidigen die Aggression des russischen Staats gegen die Ukraine. Am vorletzten Wochenende fuhren etwa 400 Autos in einem Korso quer durch die Stadt. Angeblich protestierten sie dagegen, die „neuen Juden“ zu sein, die jetzt in Deutschland unterdrückt würden. Russische Medien behaupten sogar, dass RussInnen demnächst mit einem speziellen Aufnäher gekennzeichnet werden sollen. Der Veranstalter sagte, in den deutschen Schulen würden russisch-stämmige Kinder diskriminiert.
Der Autokorso wurde äußerst aggressiv durchgeführt. Teilweise wurde mit aufheulendem Motor auf Gegendemonstranten und Menschen mit Ukraine-Fahnen zugefahren. An fast jedem Fahrzeug wehten russische Fahnen, an manchen auch die Flagge der Sowjetunion mit Hammer und Sichel.
Dies waren keine Menschen, die gegen ihre Diskriminierung protestierten. Es war eindeutig eine kleine Machtdemonstration, eine Stimme des russischen Nationalismus, die zeigen sollte: Wir unterstützen den Angriff unserer Armee gegen die Ukraine. Dass der Autokorso auch am Hauptbahnhof vorbeiführte, an dem täglich Tausende von Ukraine-Flüchtlingen ankommen, war sicher kein Zufall. Es diente wohl eher der Einschüchterung.
Ich selber kenne mehrere Menschen, die aus Russland ausgewandert sind und nun in Berlin leben. Niemand von denen ist Putin-Fan, keiner glaubt der nationalistischen Propaganda der dortigen staatlichen Medien. Es gibt viele RussInnen in Deutschland, die froh sind, nicht mehr in dem Staat zu leben, der sich immer mehr zu einer Diktatur entwickelt. Einige von ihnen sind vielleicht auch nationalistisch, halten ihr Russland für ein tolles Land. Aber zurück wollen sie trotzdem nicht mehr, jedenfalls nicht, um dort nochmal zu leben.

Nationalismus ist die Ursache vieler Übel, von Krieg, Vertreibung, Ermordung. Würde es keine Staaten mehr geben, würden die Leute sich nicht mehr über ihre Nationalität definieren, wäre die Menschheit einen großen Schritt weiter. Sie könnte global zusammenarbeiten gegen die wirklichen Probleme. Sie könnte gemeinsam Naturkatastrophen und Hungersnöte bekämpfen. Aber diejenigen, die vom Teile-und-Herrsche des Nationalismus‘ profitieren, haben kein Interesse an einer gemeinsamen Welt.
Es wird Zeit, dann man diese Leute entmachtet.

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3 Kommentare

  1. Wenn du schon keine Antwort gibst, lass dir eine geben: Sind sie nicht. Und zwar ganz unabhängig davon, was man sonst so für Überzeugungen hat.

  2. da der autor staaten entfernen möchte, sollte er putin dankbar dafür sein dass er gerade die ukraine entfernt.

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