Es muss nicht gleich Bullerbü sein

Einer meiner Brüder lebt in Schweden. Manchmal besuche ich ihn, bin danach auch noch ein, zwei Tage in Kopenhagen, alles wunderschön. Was mir jedes Mal auffällt, ist der große Unterschied zu Berlin: Ob auf dem Dorf, in der Stadt oder auf den Straßen: Es geht überall viel relaxter zu, als hier bei uns in Berlin. Ich erlebe immer viel weniger Aggressivität.

Das fängt schon auf der Hinfahrt an: Auf der Autobahn gibt es kaum Drängeleien. Da es überall feste Höchstgeschwindigkeiten gibt, kommt man auch mit Lichthupe nicht schneller voran. Und auch sonst auf den Straßen wird einem öfters Vorfahrt gewährt, vor allem, wenn man als jemand erkannt wird, der sich dort nicht auskennt.
In den Geschäften sind die VerkäuferInnen immer freundlich, die Passanten auf der Straße rennen sich nicht gegenseitig um. Die ganze Atmosphäre ist viel entspannter.

Auch in Kopenhagen, das ja eine Großstadt ist, wird man in der Regel nicht angehupt oder zur Seite gedrängt, wenn man als Ausheimischer einen Fehler macht. Etwa die Hälfte der rollenden Menschen in der Stadt sind auf Fahrrädern unterwegs, Konflikte zwischen diesen und Fußgängern oder Autofahrern habe ich kaum beobachtet.
Natürlich: Das Ganze ist auch kein Bullerbü, weder dort noch auf der schwedischen Autobahn oder den Landstraßen. Aber man merkt schnell, dass es eben nicht nur darum geht, schneller als alle anderen zu sein, jede Schwäche auszunutzen. „Don’t worry, be happy“, scheint für viele das Motto zu sein. Es ist wirklich angenehm, selbst in der übervollen Fußgängerzone rund um den Amagertorv oder der überfüllten U-Bahn.

Dagegen der Kontrast, kaum wenn man die Fähre in Rostock verlassen hat: Auf der Autobahn wird gedrängelt und genötigt, wenn man nicht ebenfalls mit 200 km/h unterwegs ist. In Berlin muss man auf dem Bürgersteig durch die Leute Slalom laufen, und wenn jemand im Laden nicht sofort die richtigen Euro-Stücke zur Hand hat, wird die Stimme erhoben, als wenn er schwerhörig wäre.

Wenn man, wie ich, fast immer in Berlin ist, fällt einem das normalerweise nicht auf. Man härtet ab und – das ist das Erschreckende – wird Teil davon. Doch nur eine Woche in einem friedlicheren Land macht es einem deutlich, wie sehr die Lebensqualität unter dieser Härte leidet. Dabei hätten doch alle etwas davon, wenn nicht die Aggressivität das Bestimmende wäre, sondern die Rücksichtnahme und eine gewisse Coolness.

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2 Kommentare

  1. Coolness ist der falsche Begriff. Respekt, Mitgefühl oder Liebe würden schon besser passen. Aber davon sind die Menschen in unserer beschissnen Stadt seit weit entfernt. Genau deswegen habe ich meine Arbeit auf der Straße dauerhaft beendet. Nicht mehr zu ertragen. Berlin ist wirklich zur Hölle mutiert.

    Hat denn dein Bruder kein Zimmer für Dich in Schweden? Ich nehme es gerne.

  2. Ich lebe seit 60 Jahren in Australien, besser gesagt ,auf der Insel Tasmanien, doch meine Heimatstadt ist und beleibt Berlin. Vor 5 jahren war ich das letzte Mal in Berlin und ich muss leider gestehen, dass es doch etwas an Toleranz fehlt. Wir sind es nicht gewohnt, dass jeder jeden anrempelt ohne sich jemals zu entschuldigen und Höflichkeit ist ein Fremdwort. Bei uns ist man auf jeden Fall freundlicher, besonders wenn es sich um Besucher handelt. Wenn ich ehrlich sein soll, war ich von meinen Landsleuten in meiner alten Heimat doch etwas enttäuscht, aber trotzdem war ich sehr gern in Berlin und diese Stadt könnte ich niemals vergessen> Wie wäre es denn mit etwas mehr Höflichkeit? Bye bye und liebe Grüsse aus Hobart.

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