Lieblos und ungepflegt

Heute berichte ich von einem der für mich schlimms­ten Wege in Berlin. Einst als schö­ner Spazier­weg gedacht, ist er heute ein dras­ti­sches Abbild unse­rer Stadt, der Berli­ner Poli­tik, viel­leicht sogar der ganzen Gesell­schaft. Begin­nen wir am nörd­li­chen Harden­berg­platz. Dort ist schon seit länge­rem der Zoolo­gi­sche Garten wegen des dort akuten Vogel­grippe-Virus geschlos­sen. Gleich­zei­tig wird drin­nen auch vieles neu gebaut. Und so muss sich der geneigte Fußgän­ger seit Jahren an einem Bauzaun und durch zig abge­stellte E‑Roller seinen Weg durch den Matsch der Baustel­len­zu­fahrt bahnen.

Unter der Bahn­brü­cke über die Hertz­al­lee sind wie immer die Notbe­hau­sun­gen der wohnungs­lo­sen Menschen zu sehen. Die haben es dort eiskalt, laut und zugig. Zugig. Ein sehr passen­der Begriff, gerade an diesem Ort. Nun biegen wir rechts ab, wollen entlang des Zoos laufen. Gleich links hat der Ehemann einer 2017 ermor­de­ten Frau eine kleine, private Gedenk­stätte errich­tet; errich­ten dürfen. Ein Wunder.

Aller­dings steht sie zwischen dem Müll und den ande­ren Hinter­las­sen­schaf­ten der dort ansäs­si­gen Wohnungs­lo­sen und der vielen Touris­ten, die den gesam­ten Weg offen­sicht­lich gerne auch als Müll­halde verste­hen. Diese wohnungs­lo­sen Menschen wurden zwar immer wieder mal von unse­rem abge­wähl­ten, grünen Bezirks­bür­ger­meis­ter Stephan von Dassel vertrie­ben, kommen aber wegen fehlen­der Alter­na­ti­ven wieder zurück an diesen Ort des Schre­ckens. Herr von Dassel hatte sich mehr­mals durch die herz­lose Verdrän­gung von Obdach­lo­sen im gesam­ten Bezirk hervor­ge­tan, ohne andere Orte, Hilfen oder gar Auswege anzu­bie­ten.

Weiter geht unser Weg entlang des Zauns. In der Mitte des Weges ziehen Kinder gerne mal ihre (Groß-)Eltern durch die nieder­ge­tre­te­nen und unge­pfleg­ten Büsche zum Zaun, um dort den Strei­chel­zoo anzu­schauen, der dort für umsonst anzu­schauen ist. Ausge­blen­det werden für diese kurze Freude der Müll, die über­quel­len­den Müll­ei­mer und der bestia­li­sche Urin­ge­stank.

Dann geht es weiter zum Schleu­sen­krug mit seiner massen­taug­li­chen Gastro­no­mie. Auf der nach­fol­gen­den unte­ren Frei­ar­chen­brü­cke beob­ach­ten wir erst den klei­nen, legen­dä­ren, künst­li­chen Wasser­fall. Dort kann man oft einen Ball oder ein Stück­chen Styro­por beob­ach­ten, die im Sog der Wellen tanzen und nicht davon loskom­men wollen. Ich auch nicht. Beim Ausblick in die andere Rich­tung träume ich von einem gemüt­li­chen Leben auf einem der dort liegen­den Haus­boote mit dem einma­li­gen Blick auf die alte Versuchs­an­stalt für Wasser­bau mit seinen dicken rosa­ro­ten Rohren.

Wieder unten ange­kom­men, kommt das High­light, jeden­falls früher. Das Berli­ner Gasla­ter­nen-Frei­licht­mu­seum. Einst erstrahlte es zu nächt­li­cher Stunde mit seinen zig Later­nen. Es war ein wirk­li­cher Hingu­cker. Auch zog es sich entlang des Land­wehr­ka­nals und bis rüber zum Garten des Berlin Pavil­lons gegen­über. Die verschie­de­nen Exem­plare zeig­ten die verschie­de­nen Epochen und Modelle aus 25 deut­schen und euro­päi­schen Städ­ten.

Zuletzt im Jahre 2006 grund­sa­niert, wurde damals vom Senat verkün­det, diese Anlage würde in das Tech­nik­mu­seum umzie­hen, um es vor der erneu­ten Zerstö­rung durch über­mü­tige Menschen zu schüt­zen und zu sichern. Gesche­hen ist leider bis heute natür­lich nichts. Der gesamte Weg ist dem Verfall preis­ge­ge­ben. Unter­des­sen ist die Anlage nun fast voll­kom­men zerstört, teil­weise sind die Lampen­häu­ser demon­tiert worden.

Nur die Hälfte der Later­nen ist noch komplett erhal­ten und nur noch drei davon beleuch­ten den Weg. Ein erbärm­li­ches Bild. Und so über­sieht man auch schnell die Sitz­bank mit dem kaum noch lesba­ren Zitat von Erich Mühsam: „Ich bin der Lampen­put­zer dieses guten Leuch­te­lichts. Bitte, bitte, tut ihm nichts! Wenn wir ihn’ das Licht ausdre­hen, kann kein Bürger nichts mehr sehen.“ Wie passend damals und wohl auch für kommende dunkle Zeiten.

Auf dem dane­ben befind­li­chen, kläg­li­chen Rest einer Wiese stehen im Sommer die längst fest einge­wan­der­ten Wild­gänse und lassen sich bereit­wil­lig foto­gra­fie­ren. Menschen­scheu ist ihnen längst fremd gewor­den. Zum Schluss kommen wir zur Straße des 17. Juni. Aber Achtung beim Über­que­ren der Straße! Radfah­rer nehmen keine Rück­sicht, halten nicht bei rotem Ampel­licht und fahren mit Höchst­ge­schwin­dig­keit an Ihnen vorbei.

Wenn Sie dann die andere Stra­ßen­seite unbe­scha­det erreicht haben, können Sie im besag­ten Berlin Pavil­lon einkeh­ren. Dieser wurde vor vielen, vielen Jahren von einem der beiden führen­den Fast-Food-Ketten zu einer Art Ameri­can Diner umge­stal­tet. Leider jedoch ohne den typi­schen ameri­ka­ni­schen Service anzu­bie­ten.

Am Eingang mühen sich die Gäste ewig und drei Tage mit der Menü­füh­rung auf einem der vier über­di­men­sio­na­len Tablets ab, um ihre Bestel­lung für die Küche aufzu­ge­ben und zu bezah­len. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Küche hygie­ni­scher ist als die stil­len Örtchen, welche auch der Öffent­lich­keit kosten­frei zur Verfü­gung stehen. So sehen sie dann aller­dings auch aus. Die Menschen nehmen auch dies klag­los hin. Man gewöhnt sich halt an alles. Fort­schritt olé.

[ Dieser Text erschien zuerst in der Berli­ner Zeitung und steht unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 ]

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4 Kommentare

  1. Mein Gott, was ist bloss aus meiner alten Heimat gewor­den? ich habe im Hansa­vier­tel gewohnt und kenne diese Gegend sehr gut. Ich lebe zwar seit vielen Jahr­zehn­ten in Tasma­nien, dem südlichs­ten Staat von Austra­lien. Trotz­dem ist Berlin noch immer meine alte Heimat, was ist nur aus dieser ehemals so schö­nen Stadt gewor­den? Es ist ganz einfach trau­rig.

    • Ich weiß ja nicht, wann Sie Berlin so viel schö­ner fanden. Armut und Elend sind ja nichts Neues hier. Dieses ewige “früher war alles besser” kann ich nicht nach­voll­zie­hen.

  2. ich habe Berlin im Dezem­ber 1954 verlas­sen und habe es 1977 wieder­ge­se­hen und zu dieser Zeit war es sehr schön genau wie Hamburg.

  3. Hahaha… 1977 war es bestimmt schö­ner als 1954! Da waren die meis­ten Ruinen vom Krieg endlich weg.… Aber Aro hat schon recht. Auch in dieser Zeit war es in Berlin eher arm, grau und dunkel. Auch wenn es im direk­ten Vergleich zu Ost-Berlin oder den spieß­egen Städ­ten in West-Deutsch­land immer als glän­zen­der Sieger hervor­ging. Ich erin­nere mich, dass meine Eltern schon Ende der 1990er Jahre über ihre Angst auf diesem Weg zum Zoo spra­chen und nachts dort nicht mehr spazie­ren gehen woll­ten. Aber natür­lich ist der Zustand dieses Weges ganz und gar und der Gesell­schaft in Teilen heute noch viel, viel schlim­mer gewor­den.

    Da ist es in Tasma­nien bestimmt viel schö­ner. So klare Luft und wunder­bare Natur wünsche ich mir auch für den Rest meines Lebens. Schafe hüten und Käse machen, atmen, foto­grfie­ren, lesen und die Weite gemie­ßen. Ohne Medien und ohne die vielen Probleme der Welt in meinem Leben.

    Grüße nach Hobart :-)

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