Musik ist eine Waffe

Wenn man heute den Band­na­men „Ton Steine Scher­ben“ hört, fallen einem Jahr­zehnte alte, kämp­fe­ri­sche Lieder ein, wie „Macht kaputt was euch kaputt macht“ oder „Keine Macht für niemand“. Ande­ren viel­leicht die späte­ren Songs wie „Land in Sicht“. Dann kommt Rio Reiser ins Bewusst­sein, als Sänger der Band, später als Solist. Mit seinem frühen Tod im August 1996 war die Geschichte der „Scher­ben“ endgül­tig vorbei, dachte man damals, als die Band zu der Zeit schon gar nicht mehr gab.

Aber so klar ist das nicht: TSS, wir wie „Insi­der“ in den 1980er Jahren cool die Band nann­ten, hatten sich zwar aufge­löst, aber ihre Geschichte und ihre Lieder sind bis heute präsent. Derzeit wurde gerade ein acht­tei­li­ger Podcast vom RBB / Radio­eins veröf­fent­licht, in dem die Geschichte dieser Band noch­mal erzählt wird. Dabei kommen viele zu Wort, die eben diese Geschichte miter­lebt oder sogar mitge­schrie­ben haben: Eins­tige Mitglie­der der Band, Leute aus dem Umfeld, Rios Bruder, andere Musi­ke­rIn­nen. Nur ich nicht, obwohl ich auch was dazu zu sagen hätte. Vor seinem Umzug nach Fresen­ha­gen wohnte Rio in meiner direk­ten Nach­bar­schaft und hatte was mit einem Typen, in den ich damals schwer verliebt war. Deshalb mochte ich ihn damals nicht gerade.

Der Podcast „Musik ist eine Waffe“ lässt auch Rio Reiser selbst zu Wort kommen. Kurz vor seinem Tod hatte er für seine Auto­bio­gra­fie viele Stun­den Gesprä­che mit dem Autor Hannes Eyber geführt und aufge­nom­men, aus denen Ausschnitte gespielt werden. Der Podcast wurde von Philip Mein­hold gemacht, der vor zwei Jahren bereits Mein Freund Floh heraus­brachte – über einen West-Berli­ner Jungen, mit dem ich eben­falls einige, wenige Berüh­rungs­punkte hatte.

„Musik ist eine Waffe“ taucht ein in die 1970er und 80er Jahre, als die Scher­ben bekannt wurden und sich als deutsch­spra­chige Rock­band ihren Platz vor allem in der linken Szene erober­ten. Sie waren eine Band, auch eine Wohn­ge­mein­schaft, danach eine Kommune. Sie versuch­ten, ihre Werte nicht nur musi­ka­lisch zu verbrei­ten, sondern auch zu leben. Dass dies oft nicht klappte, lag sicher nicht an diesen Werten, sondern daran, dass wir Menschen eben nicht so einfach program­mier­bar waren, selbst wenn wir uns selber program­mie­ren wollen. Das Leben damals war oft Kampf, Stra­ßen­kampf, Haus­be­set­zun­gen, gerade in Kreuz­berg, wo Ton Steine Scher­ben lebten. Längst verges­sen sind heute die Schü­ler- und Jung­ar­bei­ter­kämpfe der frühen 70er Jahre, die Haus­be­set­zun­gen von Trebern, also ausge­ris­se­nen Kindern und Jugend­li­chen. Heute gibt es Sozi­al­ar­beit statt Klas­sen­be­wusst­sein und wer von einer mensch­li­che­ren Welt träumt, wird verspot­tet.

Es ist die Leis­tung dieses Podcasts, dass er ein wenig auch die Stim­mung aus dieser Zeit rüber­bringt, die Gefühle gegen­über der Poli­tik und der Reali­tät, die langen Diskus­sio­nen, die Hoff­nun­gen und manch­mal die Hoff­nungs­lo­sig­keit. Ich dachte, dass ich die Geschichte von Ton Steine Scher­ben ganz gut kenne, aber ich habe im Podcast noch so eini­ges erfah­ren, vor allem über die Band und über Rio Reiser selbst.

Ton Steine Scher­ben waren nicht nur einfach irgend­eine Polit­band. Im Nach­hin­ein werden ihre Leis­tun­gen deut­lich: Deut­sche Rock­mu­sik mit anspruchs­vol­len Texten gab es 1970 sonst prak­tisch nicht. Sie haben poli­ti­sche Inhalte, aber auch zwischen­mensch­li­che Themen durch die Musik und Texte rüber­ge­bracht, immer glaub­wür­dig und authen­tisch. Die vielen Liebes­lie­der sind in Rios Liedern niemals pein­lich, nichts ist weiter von Schla­gern entfernt, als sie. Es gibt mehr als 1.000 Cover von Liedern der Band oder von Rios Solo­stü­cken – mehr als von jedem ande­ren deutsch­spra­chi­gen Künst­ler. Ihre Songs beein­flus­sen bis heute auch bekannte Musi­ke­rIn­nen. Die Lieder von TSS und Rio Reiser sind bis heute aktu­ell – die poli­ti­schen sowieso, aber auch die, in denen es um Gefühle, Bezie­hun­gen, Gedan­ken und Wünsche geht.

Podcast „Musik ist eine Waffe“

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