Ich sah ihn das erste Mal, im Sommer, im T‑Shirt, wunderschön.
Sein markantes Gesicht, gezeichnet von einem Tumor.
Doch sein Lachen ließ die Sonne scheinen, alles kein Problem.
Hier half er fremden Menschen, die vom Krieg geflohn.
Mütter und Väter weinten, doch er lachte mit den Kids.
Half, dass sie das Leid vergaßen, sie mochten ihn sehr.
Und er fragte mich, ob er bei mir pennen kann.
“Nur ein paar Tage” sagte er, fünf Jahren wurdens dann.
Wir besorgten die Matratze, unterm Fenster schlief er nun.
In meiner kleinen Wohnung, aber es ging irgendwie schon.
Wie eine bunte Blume öffnete er sich dann.
Begann nen Job zu suchen, sein Leben aufzubaun.
Mal hier, mal dort, mal kurz, mal lang, probierte er sich aus.
Wurde langsam erwachsen, und blieb doch, wie er war.
Rettungsflieger wurden Freunde, Feuerwehrmänner und ‑frauen.
Kannte bald viele Namen, und traf sie, wenn was war.
Kam nachts ein Helikopter: “Bitte fahr mich hin!“
Und ab ging es zum Virchow, heimlich von hinten ran.
“Give five, hallo Micha!”, richtig stolz war er dann.
Er hörte Hiphop, sang Helene Fischer — nur zum Spaß.
Und alte Schlager, wenn er unter der Dusche stand.
Actionsfilme, Videospiele, was ein junger Mann so macht.
Manchmal auch Paintball, voll verdreckt,
kam er danach glücklich wieder an.
Gespräche zu wenig, Unternehmungen auch.
Der Alltag verschlang die Zeit, im Rückblick ein Raub.
Man merkt das erst, wenn es zu spät ist.
Doch dann der Rettungsdienst, er blühte richtig auf,
Ausbildung, Erste Hilfe, sein Weg führte steil nach vorn.
Der Job im Laden gab ihm Halt, alle dort mochten ihn.
Die Chefs waren begeistert, er hatte viel Ideen.
Und wenn er abends vor der Glotze, die PS4 im Arm
vor seinem Ballerspiel einschlief, war das Glück
Was ich damals aber noch nicht begriff.
Dann kam die Nachricht, wie ein Faustschlag ins Gesicht.
Der Tumor wurde böse, die Zeit verkürzt, das Licht.
Doch er verlor nicht den Mut, tröstete sogar mich,
“Sag meiner Mama nichts”, bat er, obwohl man es längst sah.
Der Tumor nahm sich seinen Kopf. Was jetzt wohl kommen mag.
Im Krankenhaus, paar Monate, auch dort liebten sie ihn.
Spielte mit kranken Kindern, die nicht mehr älter wurden.
War spaßig, aber mittendrin, ein Halt für manche dort.
Sagte: “Ich hab ok gelebt, weinen hat keinen Sinn”.
Tabletten, Schläuche, Pfleger um ihn rum, aber er gab nicht auf.
Sein dünner Körper nahm nichts mehr an.
Doch er bat: Komm ins Krankenhaus, mit Schoko-Weihnachtsmann!
Gleich 20 brachte ich ihm hin, für Kinder, Schwestern, Pfleger.
Er dachte noch an sie.
Dann noch ein letzter Wunsch: Ein paar Tage an die See.
Wo er als Kind mal glücklich war, das noch einmal sehen.
Bei seiner Mama lag er nun, in seinem alten Bett.
Erst dünn, dann abgemagert, das Lachen verschwunden.
Am Ende des Frühlings verließ ihn sein Geist,
paar Tage später ging der Leib.
Ich sah ihn noch da liegen, kaum hab ich ihn erkannt.
Und war doch froh, dass er’s geschafft.
Ein kurzes, volles Leben, nur 26 Jahre.
Nein, die Welt ist ungerecht, ich werde es nie begreifen.
Zwei Jahre sind vergangen, das Loch bleibt groß.
Die Welt so ungerecht, ein unerklärliches Los.
Manchmal denke ich, vielleicht ist er noch da.
Ich spüre ihn, nur selten, und hoffe, es geht ihm gut.
Weit weg von hier.
Vielleicht werde ich die Reise an die Nordsee tun.
In Erinnerung an den Freund, so jung, so fein.
Micha Runow, geboren am 25. Oktober 1995, ist am 10. Juni 2022 gestorben.
Er fehlt.
Ein wunderbarer Bericht. Natürlich ist er noch da nur eben woanders. Es ist schön, dass Du ihn kennenlernen durftest.