Ignatz Nacher gehörte zu den Wirtschaftsgrößen der Weimarer Republik. Er erfand unter anderem das Flaschenpfand. Warum gibt es in Berlin keinen würdigen Gedenkort für den schikanierten jüdischen Unternehmer?
Ignatz Nacher gehörte als Berliner Unternehmer zu den Wirtschaftsgrößen der Weimarer Republik und schuf als Generaldirektor der Engelhardt-Brauerei das gleichnamige Bier, welches auch heute noch in der Hauptstadt getrunken wird. Der Deutsche Wirtschaftsführer zählt 1929 in einem langen biografischen Eintrag weitere hohe Funktionen Nachers in der deutschen Brauereiwirtschaft auf: vor allem in den profitablen Engelhardt-Holdings, deren Aufsichtsratsvorsitzender er war, der Berliner Malzbierbrauerei Groterjan, der Hofbräu AG zu Bamberg oder der ebenfalls in Berlin gelegenen Borussia-Brauerei. Eine umfangreiche Verbandstätigkeit kam hinzu.
Überdies ist der Name Engelhardt auch heute noch im Berliner Stadtbild präsent, so in der ehemaligen Brauerei in der Charlottenburger Danckelmannstraße oder dem Stralauer Flaschenkellerturm, einem Bestandteil der Route der Industriekultur. An den Namen Ignatz Nacher erinnert indes nichts mehr in Berlin.
Wer war dieser Mann?
Nacher wurde am 25. Januar 1868 in Österreich-Schlesien in äußerst bescheidenen Verhältnissen geboren und betrieb zunächst ein florierendes Zigarrengeschäft. 1901 gelang es ihm, als Teilhaber und Geschäftsführer in die damals noch recht unbedeutende Engelhardt-Brauerei aufgenommen zu werden, deren Aufstieg damit beginnen sollte. Damals lag die Brauerei noch in der Chausseestraße 33 in Berlin-Mitte. 1903 wird die ehemalige Josty-Brauerei in der Bergstraße 22, ebenfalls in Mitte, als erste Brauerei übernommen. Das denkmalgeschützte Gebäude steht heute noch. 1905 wird schließlich eine deutlich größere Braustätte in der heutigen Thulestraße 48–64 in Pankow erworben, modernisiert und ausgebaut.
Der neue Chef machte sich in jenen Jahren bereits mit der Pasteurisierung (Haltbarmachung) von Bier, der Wiederverwendung von Glasflaschen und dem Marketing von alkoholfreiem Malzbier, das besonders gern von schwangeren Frauen getrunken wurde, einen Namen.
Nacher wandelte die Brauerei sodann 1907 in eine Aktiengesellschaft um und übernahm selbst die Mehrheit des Kapitals. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges kaufte er vier Berliner Brauereien hinzu, woran sich nach dem Krieg eine weitere Übernahmetätigkeit anschloss.
Mitte der 1920er residierte das nun zu einem Konzern angewachsene Unternehmen in einem repräsentativen Gebäude am Alexanderplatz, dem sogenannten Engelhardthaus und 1926 verfügte es, neben etlichen Dependancen u.a. in Rathenow, Halle an der Saale oder Breslau, über die drei Berliner Braustätten in Pankow als Hauptbrauort, Charlottenburg und Stralau. Engelhardt war nunmehr zum zweitgrößten deutschen Brauereikonzern aufgestiegen.
Im selben Jahr geschah zudem etwas Ungewöhnliches. Zum 25-jährigen Berufsjubiläum erschien, gewidmet von Vorstand und Aufsichtsrat der Engelhardt-Brauerei Aktiengesellschaft, eine Festschrift mit aufwendig gestaltetem farbigen Einband – zu Ehren Ignatz Nachers. Nun waren Ehrungen in Zeitungen oder Zeitschriften und Festschriften für Unternehmen durchaus nichts Neues, ein eigens herausgegebenes Buch für einen Firmenlenker hingegen schon. Nicht einmal der Branchenprimus Schultheiss oder große Banken und Versicherungen leisteten sich diesen Luxus. Nacher – und mit ihm Engelhardt – war spätestens jetzt unter den deutschen Wirtschaftsgrößen angekommen. Er gehörte zu den bedeutendsten deutschen Industriellen, wobei seine Erfindung des Flaschenpfandes sicher auch ihren Teil zu beitrug.
Weniger bekannt ist hingegen immer noch sein Schicksal nach 1933. Der Deutsche Reichsanzeiger vermeldete am 8. August 1933 lediglich nüchtern, dass Ignatz Nacher aus dem Vorstand der Engelhardt-Brauerei Aktiengesellschaft ausgeschieden sei. Dahinter verbarg sich eine Intrige, die auch in der NS-Zeit ihresgleichen sucht. Wie kam es dazu? 1929 sollten die Berliner U‑Bahn und der Alexanderplatz erweitert werden und das Engelhardthaus am Alex stand dabei im Weg. Für 9 Millionen Reichsmark stimmte Nacher einem Verkauf des Gebäudes an die landeseigene Grundstückgesellschaft Berolina zu. Zudem willigte er nach langem Überlegen noch in eine Zuwendung über 120.000 Mark von seinem Privatkonto an die Berolina ein, handelte es sich doch um ein gemeinnütziges Unternehmen. Nacher war bekannt für großzügige Spenden an Witwen und Waisen der Engelhardt-Brauerei durch seinen Ignatz-Nacher-Fonds. Er unterstützte auch arme Studenten eines Ledigenheims in Charlottenburg.
Diese Angelegenheit interessierte vier Jahre niemanden, erst 1933 mit der Machtübernahme des Nationalsozialisten tauchen Gerüchte auf. Hatte Nacher – womöglich, um einen hohen Preis für das Engelhardthaus zu bekommen – 120.000 Mark an Schmiergeld gezahlt? Ein Insider, der ehemalige Engelhardt-Finanzchef Richard Köster, mit dem Nacher sich überworfen hatte, brachte den Stein ins Rollen. Köster, der vier Jahre zuvor die Auszahlung von Nachers Konto vorzunehmen hatte, wandte sich im Frühjahr 1933 an den Berliner Staatskommissar und Goebbels-Vertrauten Julius Lippert. Der bestellte Nacher am 19. Mai zu sich. Eingeschüchtert willigte Nacher ein, die Leitung des Unternehmens in „arische Hände“ zu übergeben und 2,5 Millionen Reichsmark als „Entschädigung“ für den angeblich überhöhten Kaufpreis zu entrichten. Der sogenannte Judenboykott vom 1. April, samt dem Ausspruch „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“, hatte Nacher wohl verunsichert. Im Aufsichtsrat nahmen zügig Vertreter der Dresdner Bank Platz und Richard Köster rückte wieder in den Engelhardt-Vorstand in Berlin auf. Nacher hatte ihn zuvor von Berlin in die Provinz versetzt.
Da Nacher aber immer noch über bedeutende Aktienanteile verfügte, versuchte man ihn nun vollends zugrunde zu richten. Man verhaftete ihn kurzzeitig im November 1933 und dann nochmals im Sommer 1934. Nacher erlitt mehrere gesundheitliche Zusammenbrüche und sah sich nun gezwungen seine Aktien weit unter Wert an die Dresdner Bank zu veräußern. Im Endeffekt ging damit auch die Brauerei in den Besitz der Bank über.
Damit noch nicht genug, sicherte sich Friedrich Flick auch noch Nachers bayrisches Landgut Sauersberg, das dieser, nun finanziell in Not geraten, im Jahre 1937 verkaufen musste. Nachlesen kann man diese skandalösen Vorgänge im gut recherchierten und breit rezipierten Buch „Braunes Erbe“ von David de Jong aus dem Jahr 2022. Nachher konnte damit zumindest vorläufig den Weg in die völlige Mittellosigkeit verhindern, sein Lebenswerk aber war zerstört.
Wohnung durch Bomben zerstört
Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges entkam Nacher, gesundheitlich schwer angeschlagen, in die Schweiz. Er starb verarmt am 15. September 1939 mit 70 Jahren. Man hatte ihm, bevor er seine Ausreisepapiere erhielt, noch mehrere 100.000 Reichsmark „Judenvermögensabgabe“ abgepresst. Bis heute gibt es keinen würdigen Gedenkort für Ignatz Nacher. Seine große Wohnung in der Kurfürstenstraße 129 in Berlin-Mitte scheidet als Erinnerungsort wohl aus. Sie wurde durch den Bombenkrieg zerstört und durch einen Nachkriegsbau ersetzt. In der Charlottenburger Danckelmannstraße oder in Stralau stehen indes noch Gebäude, die mit seinem Wirken in Verbindung stehen und dafür fraglos geeignet wären.
Stephan Porwol
Stephan Porwol ist Lehrer für Geschichte und Englisch und publiziert zur Sport- und Berliner Stadtgeschichte.
[ Dieser Text erschien zuerst in der Berliner Zeitung und steht unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 ]
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