Nachts an der Charité

Passanten wundern sich vielleicht, wenn selbst mitten in der Nacht am Halteplatz an der Charité Taxis stehen. An manchen Abenden kann man hier 10 Wagen zählen. Der Grund ist natürlich, dass mehrere Funkgesellschaften die Halte ansprechen. Aber man hat hier auch in der Nacht Einsteiger und die haben manchmal heftige Geschichten!

Vor Kurzem stand ich morgens um 2 Uhr als Erster an der Charité, zwei alte Damen (um die 70 Jahre) kamen auf mich zu und stiegen ein. Sie wollten nach Reinickendorf und waren recht bedrückt. Dame 1 sagte zu Dame 2: „Nun hat er es endlich geschafft, jetzt muss ich mich nur noch um die Beerdigung kümmern.“
Ihr Mann war gestorben, aber sie schien ganz erleichtert darüber. Wie sich herausstellte, war er schon lange sehr krank, sie hat sich jahrelang um ihn gekümmert. In seinen letzten Stunden war sie bei ihm, ihre Freundin gab ihr Halt. Nun fiel plötzlich alles von ihr ab, sie weinte etwas und dann plötzlich scherzte sie: „Jetzt kann ich endlich mal verreisen, und Du kommst mit!“ Ihre Freundin lachte. Die Stimmung löste sich, es war nichts mehr von Trauer zu spüren.
Anders bei dem türkischen Fahrgast, der ein paar Tage später bei mir einstieg. Auf der Fahrt nach Lichtenberg erzählte er weinend, dass in der Charité sein totes Kind liegt. Er war noch 1 1/2 Tage bei ihm, in dieser Nacht ist es dann gestorben. Es ist schwierig, in dieser Situation Worte zu finden. Wirklich trösten kann man einen frisch verwaisten Vater nicht, trotzdem hat er sich danach für das Zuhören bedankt.

Die Halte Charité liegt schräg gegenüber der Notaufnahme, hier kommen die Krankenwagen mit Blaulicht an, hier kommen die Verletzten und Kranken nach ihrer Behandlung raus. Wie ein großes grünes Maul sieht die Einfahrt aus, Milchglas verdeckt den Blick ins Innere, ein stilisiertes Rotes Kreuz weist den Weg.
Hier kam auch die Dame heraus, die sich mir morgens um halb zwei gleich als „die Elsbeth“ vorstellte. Sie war hier, weil sie gestürzt ist und sich dabei leicht verletzt hat. Den Grund für ihren Sturz wollte sie mir auch gleich zeigen, das lehnte ich aber ab: Elsbeth hat ein „Holzbein“, zwar nicht wirklich aus Holz, aber eben künstlich. Sie mussten ihr ein Bein abnehmen und nun versucht sie, mit der Prothese durchs Leben zu gehen. Offenbar aber nicht sehr erfolgreich…

Es sind jedoch nicht nur traurige Geschichten, die man hier erlebt. Manche, die nachts aus der Ersten Hilfe kommen, sind auch fröhlich. Wie die drei Jungs, alle um die 18 Jahre alt. Einer von ihnen war beim „Koma-Saufen“ tatsächlich umgekippt, plötzlich hörte er auch auf zu atmen. Der Erzählung nach muss ein ziemliches Chaos geherrscht haben (was sie in meinem Taxi ebenfalls veranstalteten): Erst wurde der Krankenwagen zur falschen Adresse bestellt, und nachdem er die Freunde des Betrunkenen nicht mitnehmen wollte, sind die auf anderem Weg hingekommen. Dummerweise sind sie aber im falschen Krankenhaus gelandet und als sie endlich in der Charité ankamen, war ihr Freund schon wieder fit. Ihm war der Magen ausgepumpt worden und nun ging es wieder zurück in die Wohnung: „Zum Glück ist ja noch Bier da!“

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