Das Krankenhaus Moabit

Das Areal an der Turm­straße 21 ist heute noch gut als Kran­ken­haus erkenn­bar, auch wenn es seit 2001 gar keines mehr ist. Immer­hin ist ihm das Schick­sal ande­rer Berli­ner Kran­ken­haus­ge­lände erspart geblie­ben, hier wurden keine hoch­prei­si­gen Luxus­woh­nun­gen in die eins­ti­gen Statio­nen einge­baut. Auch 20 Jahre nach der Schlie­ßung dienen die meis­ten Gebäude der körper­li­chen und psychi­schen Gesund­heit.

Begon­nen hatte es auf einem Acker. Weil in Berlin 1871 eine Pocken­epi­de­mie ausge­bro­chen war, brauchte der Magis­trat schnell einen Ort, um die bestehen­den Laza­rette zu entlas­ten. Als dafür das Feld in der Turm­straße ausge­sucht wurde, protes­tier­ten über 1.000 Anwoh­ne­rIn­nen dage­gen. Sie hatten Angst, sich an den Pocken, Typhus oder Cholera anzu­ste­cken. Doch es nützte nichts, auf dem Gelände wurden 16 Bara­cken mit jeweils 30 Betten errich­tet. Anfangs bezog man das Wasser aus einem Brun­nen auf dem Grund­stück, doch schnell wurde das Laza­rett an die öffent­li­che Wasser­ver­sor­gung ange­schlos­sen. Ein Verwal­tungs­ge­bäude, eine Koch- und Wasch­kü­che, ein Maschi­nen­haus, ein Portier­haus, zwei Schup­pen und ein Leichen­haus kamen dazu.

Nach Eröff­nung des Kran­ken­hau­ses Fried­richs­hain wurde die Moabi­ter Einrich­tung ab 1874 nicht mehr gebraucht und wieder geschlos­sen. Doch die schnell wach­sende Stadt machte auch in Moabit ein rich­ti­ges Kran­ken­haus nötig, so dass es schon im Folge­jahr wieder zur Eröff­nung kam.

Es began­nen Jahre der Erwei­te­rung und der eigent­li­che Aufstieg des Kran­ken­hau­ses zu einer ange­se­he­nen Insti­tu­tion. 730 Betten hatte das Kran­ken­haus 1886. Behan­delt wurden vornehm­lich Menschen, die durch die Armen­ver­wal­tung oder Kran­ken­kas­sen einge­wie­sen wurden. Solide Back­stein­bau­ten ersetz­ten bis 1896 die Holz­ba­ra­cken, ein Labo­ra­to­rium wurde einge­rich­tet. Der ange­se­hene Medi­zi­ner und Mikro­bio­loge Robert Koch expe­ri­men­tierte hier in den 1880er Jahren zur Desin­fek­tion und Steri­li­sa­tion. Um 1890 wurden ihm fünf Bara­cken mit 150 Betten zur Verfü­gung gestellt, in denen auch Paul Ehrlich Versu­che zur Tuber­ku­lo­se­be­hand­lung durch­führte. Im selben Jahr gab es die Eröff­nung einer chir­ur­gi­schen Abtei­lung, 1896 folgte ein massi­ves Opera­ti­ons­haus. Kurz zuvor wurde Lydia Rabi­no­witsch-Kemp­ner Kochs Assis­ten­tin.

2021 wurden auf dem Gelände mehrere Stelen zur Geschichte des Kran­ken­hau­ses aufge­stellt

Die Quali­tät der medi­zi­ni­schen Leis­tun­gen im Kran­ken­haus Moabit war so gut, dass es 1920 als einzi­ges städ­ti­sches Kran­ken­haus Berlins zum Univer­si­täts­kli­ni­kum erho­ben wurde. Seine Ärzte hatten mitt­ler­weile welt­weit einen guten Ruf: 1922 wurden Georg Klem­pe­rer und Moritz Borchardt nach Moskau geru­fen, um eine Kugel aus Lenins Hals zu entfer­nen, die bei einem Atten­tat auf ihn abge­feu­ert worden war. Bei dieser Gele­gen­heit ließen sich auch fast alle ande­ren führen­den sowje­ti­schen Poli­ti­ker von Klem­pe­rer unter­su­chen.
Auch Reichs­tags­prä­si­dent Paul Löbe ließ sich 1927 von Borchardt operie­ren.

Doch mit dem guten Ruf war es schlag­ar­tig vorbei, als die Natio­nal­so­zia­lis­ten an die Macht kamen. Am Morgen des 1. April 1933, dem Tag des reichs­wei­ten Boykotts gegen jüdi­sche Einrich­tun­gen und Geschäfte, fuhren Last­wa­gen der SA auch auf das Gelände der Klinik, um die jüdi­schen Ärzte abzu­ho­len und in das „wilde Konzen­tra­ti­ons­la­ger“ in der Gene­ral-Pape-Straße zu brin­gen. Dass sich einige mitten in Opera­tio­nen befan­den, war für sie kein Hinder­nis. Weil viele der Ärzte und Bediens­te­ten jüdi­schen Glau­bens oder poli­tisch eher links einge­stellt waren, gab es eine Entlas­sungs­welle, die das Kran­ken­haus enorm schä­digte. Zwei Drit­tel der Ärzte muss­ten gehen, so dass in der Folge z.B. die Gynä­ko­lo­gi­sche Abtei­lung für Monate geschlos­sen wurde. Statt­des­sen sind poli­tisch genehme Ärzte ange­stellt worden, die jedoch nicht die medi­zi­ni­sche Quali­tät aufwie­sen wie ihre Vorgän­ger. Die Sterb­lich­keits­rate im Kran­ken­haus stieg drama­tisch an, da half auch nicht die poli­tisch moti­vierte Umbe­nen­nung in Robert-Koch-Kran­ken­haus 1935.

Doch es gab auch Wider­stand. Nach Kriegs­be­ginn 1941 hatte sich eine Gruppe von Nazi­geg­nern gegrün­det, die Euro­päi­sche Union um die Ärzte Georg Gros­curth und Robert Have­mann. In einem ande­ren Gebäude trafen sich Nazi-Gegner, um sich frei auszu­tau­schen und Pläne zu schmie­den. Die Ziele waren zunächst das Verste­cken von “Ille­ga­len”, zumeist poli­tisch Verfolg­ten und Juden. Es wurden siche­rer Wohn­raum, Nahrungs­mit­tel, falsche Papiere und die Flucht ins Ausland orga­ni­siert.

Dabei war es hilf­reich, dass sich unter seinen Pati­en­ten zahl­rei­che Poli­ti­ker befan­den: Zum Beispiel der Hitler-Stell­ver­tre­ter Rudolf Hess, aber auch ein Staats­se­kre­tär im Außen­mi­nis­te­rium sowie ein SS-Ober­grup­pen­füh­rer. Auf diese Weise erfuhr Gros­curth ganz neben­bei von geplan­ten Kriegs­ak­tio­nen und Verbre­chen. Die Wider­ständ­ler wuss­ten das zu nutzen. Es wurden Kontakte zu fran­zö­si­schen und russi­schen Wider­stands­grup­pen unter Zwangs­ar­bei­tern aufge­baut. Solda­ten konn­ten kriegs­un­fä­hig geschrie­ben und Sende­ge­räte, Verbands­ma­te­rial und Medi­ka­mente geschmug­gelt werden. Doch diese Gruppe flog auf, im Septem­ber 1943 erfolg­ten Verhaf­tun­gen, Folter, Prozesse und Todes­ur­teile gegen Gros­curth und einige andere.

Ein großer Teil des Kran­ken­hau­ses wurde 1943 durch Bombar­die­run­gen zerstört. Von den 1.850 Betten waren nach Kriegs­ende nur noch 340 nutz­bar. Der Wieder­auf­bau dauerte sehr lange. Erst 1977 war er komplett abge­schlos­sen.

1985 folgte dann die Ankün­di­gung des West-Berli­ner Senats, das Kran­ken­haus Moabit aus Kosten­grün­den zu schlie­ßen. Jahre­lang wehr­ten sich die Mitar­bei­te­rIn­nen gegen die Schlie­ßung, vorüber­ge­hend auch erfolg­reich. Doch 1999 erging der endgül­tige Senats­be­schluss, im Okto­ber 2001 folgte die Schlie­ßung. 752 Mitar­bei­ter wurden gekün­digt.

Heute befin­det sich auf dem Gelände das Gesund­heits- und Sozi­al­zen­trum Moabit. Einige der Gebäude sind als Arzt­pra­xen, Außen­stel­len ande­rer Kran­ken­häu­ser oder an verschie­dene Orga­ni­sa­tio­nen wie die Diako­nie vermie­tet. Hier befin­den sich eine Reha­bi­li­ta­ti­ons­kli­nik, ein Hospiz und ein Alten­heim sowie das Behand­lungs­zen­trum für Folter­op­fer.

Das Landes­in­sti­tut für Gericht­li­che und Soziale Medi­zin sowie die Rechts­me­di­zin haben hier ihre Räume. Der 1960er Neubau der Kran­ken­pfle­ge­schule in der Lübe­cker Straße ist zum Obdach­lo­sen­wohn­heim gewor­den. Insge­samt wurden nach der Schlie­ßung als Kran­ken­haus mehr Arbeits­plätze an dem Stand­ort im Gesund­heits­we­sen einge­rich­tet, als im Jahr 2001 verlo­ren gingen.

print

Zufallstreffer

Kein Bild
Weblog

004 – Keine Musik

Das Gute an den vielen besetz­ten Häusern war, dass es massig Platz gab. Nicht über­all wohn­ten Leute, es lief auch viel ande­res. neben Knei­pen und Werk­stät­ten gab es auch genug Platz für Konzerte. Die besetzte […]

Schreibe den ersten Kommentar

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*