Frühlingswiderständler

Schon in der Bibel steht: Ein jegliches hat seine Zeit. Das mag man akzeptieren oder nicht, aber es ist so. Und so wie Menschen oft mit allen Mitteln versuchen, ihr Vergehen zu verhindern oder wenigstens weit nach hinten zu schieben, so gibt es offenbar auch Pflanzen, die ebenfalls das ewige Leben suchen. Aber ach, es ist auch ihnen nicht vergönnt.
An dem Baum vor meinem Haus hingen bis zum ersten Wintersturm noch viele Blätter, die das letzte Jahr geboren hat. Im Jaunar dann waren sie verschwunden und vermengten sich mit dem frisch gefallenen Schnee. Alle, außer einem. Jeden Morgen beim Frühstück habe ich genau dieses eine Blatt beobachtet, wie es sich einfach nicht von Zweig lösen wollte. Woche um Woche verging, aber dieses eine Blatt wollte einfach nicht gehen.
Wie es sich wohl fühlen mag, so ganz allein an dem großen Baum? Vielleicht hat es ja ein Gefühl des Triumphes, weil es als einziges stark genug war, dem Winter zu trotzen und selbst der viele Schnee und das Eis ihn nicht herunter reißen konnte. Und so schaut es auch jeden Morgen zu mir durch’s Fenster und winkt mir zu.
Aber eines hat es wohl vergessen: An seiner Stelle werden bald neue Knospen wachsen, und die werden ihn endgültig vom Stamm werfen. Doch selbst noch heute, am Morgen des ersten Frühlingstages, grinst mich das verbliebene Blatt an, trotzig und voll Widerstand. Ich wünsche ihm, dass die Natur ihm eine Chance gibt und ihm vielleicht noch ein weiteres Jahr schenkt. Dunkelbraun zwischen den dann nachgewachsenen, hellgrünen Blättern, so wie Johannes Heesters im Kindergarten.

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7 Kommentare

  1. Es geht ihm noch gut. Hängt immer noch. Während die Bäume nebenan schon alle blühen, hat unser Diktatorblatt seinen Baum noch voll unter Kontrolle. Denn es weiß, wenn sich das ändert, ist sein Ende gekommen…

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