Bundesrat im Herrenhaus

Am 27. Septem­ber 1996 fiel die endgül­tige Entschei­dung über den Umzug des Bundes­ra­tes von Bonn nach Berlin. Hier hat er seine Arbeit am 31. Juli 2000 aufge­nom­men.
Nach­dem bereits im Jahr 1993 das ehema­lige Preu­ßi­sche Abge­ord­ne­ten­haus als Sitz des Abge­ord­ne­ten­hau­ses von Berlin zum Leben wieder­erweckt wurde und das in den Jahren 1875–1883 errich­tete Kunst­ge­wer­be­mu­seum — der heutige “Martin-Gropius-Bau” — weitest­ge­hend in seiner ursprüng­li­chen Gestalt wieder­her­ge­stellt und für wech­selnde Ausstel­lun­gen genutzt wird, ist eine bauhis­to­ri­sche Insel aus der Zeit vom 18. zum 19. Jahr­hun­dert wieder­erstan­den und sicher­lich, bedingt durch das baulich aktive Umfeld, von vielen noch nicht in seinem vollen Umfang wahr­ge­nom­men worden. Bereits seit dem Jahr 1732 hatte Fried­rich Wilhelm I. durch Anlage der Wilhelm­straße und des Karrees (Pari­ser Platz), des Okto­gons (Leip­zi­ger Platz) und des Rondells (Mehring­platz) die Erwei­te­rung der Fried­rich­stadt voran­ge­trie­ben, so dass seit­dem immer­hin gut 250 Jahre Bauge­schichte in diesem Bereich geschrie­ben wurde.
Anfangs, sozu­sa­gen gezwun­ge­ner­ma­ßen, da die Devise des Königs gegen­über gut betuch­ten Adli­gen und Bürgern lautete: “Der Kerl hat Geld, soll bauen”.

Auf dem Areal des heuti­gen Herren­hau­ses, Leip­zi­ger Straße 3 und 4, entstan­den bereits 1735 die Palais der von der Groe­ben und der von Aschers­le­ben. Oft durch den ausge­präg­ten Bauzwang in finan­zi­elle Not gera­ten, musste der Grund­be­sitz alsbald wieder veräu­ßert werden, und so erwarb auch in diesem Falle der Kauf­mann Johann Ernst Gotz­kow­sky die Grund­stü­cke zur Errich­tung einer Seiden- und Taft­ma­nu­fak­tur im Jahre 1753 und Grün­dung der “Aechte Porce­laine-Manu­fac­ture” im Jahr 1761. Durch Verluste aus Speku­la­ti­ons­ge­schäf­ten in Not gera­ten, verkaufte er das Grund­stück Leip­zi­ger Straße 4 mit der Porzel­lan­ma­nu­fak­tur an Fried­rich den Großen. Später wird daraus die König­li­che Porzel­lan Manu­fak­tur — KPM. Das Haus Leip­zi­ger Straße 3 geht Anfang des 19. Jahr­hun­derts nach wieder­hol­ten Eigen­tü­mer­wech­seln an den Bankier Abra­ham Mendels­sohn Bartholdy, ein Sohn des Philo­so­phen Moses Mendels­sohn. Hier, im ehema­li­gen Reck’schen Palais, verbringt der werdende Kompo­nist Felix Mendels­sohn Bartholdy seine Jugend­jahre. Ebenso seine gleich­falls kompo­si­to­risch begabte Schwes­ter Fanny, die auch später­hin im dort befind­li­chen Garten­haus mit ihrem Mann, dem Maler Wilhelm Hensel, der 1829 Hofma­ler und 1831 Profes­sor der Berli­ner Akade­mie der Künste wurde, gelebt hat.

Nach der Veräu­ße­rung im Jahr 1851 diente das Haus Leip­zi­ger Straße 3 als Unter­kunft für das Preu­ßi­sche Herren­haus. Dazu ist anzu­mer­ken, dass der Land­tag in Preu­ßen, entspre­chend der revi­dier­ten oktroy­ier­ten Verfas­sung (einsei­tig vom Staats­ober­haupt gege­bene Verfas­sung) von 1850 aus der 1. Kammer, dem Preu­ßi­schen Herren­haus, und der 2. Kammer, dem Abge­ord­ne­ten­haus, bestand.
Letzt­ge­nann­tes wurde im ehema­li­gen Hardenberg’schen Palais in der Leip­zi­ger Straße 55 (am Dönhoff­platz) unter­ge­bracht. Mit der Grün­dung des Deut­schen Reiches 1871 hatte außer­dem der Reichs­tag seinen Sitz in Berlin. Er fand im Herbst 1871 eine provi­so­ri­sche Bleibe in dem um einen Plenar­saal erwei­ter­ten Gebäude der bishe­ri­gen Porzel­lan­ma­nu­fak­tur in der Leip­zi­ger Straße 4 — ein Provi­so­rium für weitere 23 Jahre. Die Porzel­lan­ma­nu­fak­tur wurde zuvor umge­sie­delt an ihren heuti­gen Stand­ort am S‑Bahnhof Tier­gar­ten.

Erst mit Fertig­stel­lung des Reichs­tags­ge­bäu­des von Wallot im Jahre 1894 konnte der Reichs­tag sein endgül­ti­ges Quar­tier bezie­hen. Nunmehr wurde durch den Gehei­men Baurat Fried­rich Schulze der Bau zur Unter­brin­gung der zwei preu­ßi­schen Kammern geplant und bausei­tig voll­zo­gen. Auf der Rück­seite des Hauses, das als Sitz des Preu­ßi­schen Herren­hau­ses diente (Leip­zi­ger Straße 3), wurde das zukünf­tige Abge­ord­ne­ten­haus im Stil der italie­ni­schen Hoch­re­nais­sance erstellt und 1899 endgül­tig bezo­gen. Danach über­sie­del­ten die Mitglie­der des Preu­ßi­schen Herren­hau­ses in das Notquar­tier am Dönhoff­platz (bis dahin Sitz des Abge­ord­ne­ten­hau­ses) und nunmehr konnte in der Leip­zi­ger Straße 3 und 4 das heute noch bestehende drei­flü­ge­lige schloss­ähn­li­che Preu­ßi­sche Herren­haus erbaut und im Jahr 1904 bezo­gen werden.
Nach dem Ersten Welt­krieg beschloss der Reichs­kon­gress im Dezem­ber 1918 die Grün­dung der “Weima­rer” Repu­blik. Das Abge­ord­ne­ten­haus wird 1921 umbe­nannt in “Land­tag”. Aus dem Preu­ßi­schen Herren­haus wird der Staats­rat, die Vertre­tung aller preu­ßi­schen Provin­zen. Von der Grün­dung im Jahr 1921 bis zur Auflö­sung durch die Natio­nal­so­zia­lis­ten im Jahr 1934 war der dama­lige Kölner Ober­bür­ger­meis­ter Konrad Adenauer der vorsit­zende Staats­rats­prä­si­dent.

Foto: camps­mum / Patrick Jayne and Thomas, CC BY 2.0

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1 Kommentar

  1. Ein reprä­sen­ta­ti­ves Bauwerk, das seit Juli 2000 — die Wieder­ver­ei­ni­gung hats möglich gemacht — endlich wieder seinem tradio­nell poli­ti­schen Zweck dienen kann.

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