Kopenhagen

Der erste Eindruck — sagt man — ist oft der wich­tigste. Offen­bar aber auch der rich­tige. Hätte ich das mal beher­zigt.
In der Nacht des Pfingst­mon­tags lief es am Haupt­bahn­hof ganz gut, eine Menge Leute kamen aus dem Urlaub zurück und trotz vieler Taxis kam man recht schnell wieder los.
Nach nicht mal einer halben Stunde stand ich als Erster am Euro­pa­platz, ein junger Mann ging ziel­stre­big auf mich zu, offen­sicht­lich ein Soldat. Der wollte bestimmt in den Wedding zur Bundes­wehr­ka­serne, eine schnelle 15-Euro-Tour. Oder sogar nach Kladow, das Doppelte. Gerade als ich ausstei­gen wollte, um ihm den Koffer­raum zu öffnen, drän­gelte sich eine kleine Frau vor, riss die Beifah­rer­tür auf und setzte sich rein. Das Auftre­ten der höchs­tens 30 Jahre alten Frau ging in diesem Stil weiter: “Kopen­ha­gen”, sagte sie. Ich dachte natür­lich, dass sie in die Kopen­ha­ge­ner Straße wollte. “In welche denn? Die im Prenz­lauer Berg oder in Reini­cken­dorf?”
“Egal, fahr los!” Über­trie­bene Höflich­keit konnte man ihr wirk­lich nicht vorwer­fen.
“Das ist nicht egal. Also welche Kopen­ha­ge­ner Straße? Die im Prenz­lauer Berg?”
“Ja, fahr endlich los.”
Spätes­tens dies wäre der Moment gewe­sen, die Dame wieder raus­zu­schmei­ßen, aber ich bin einfach zu gutmü­tig. Außer­dem würde die Fahrt nicht länger als zehn Minu­ten dauern, Inva­li­den, Bernauer, Wolli­ner, Gleim, das ging ja schnell.
Sofort nach dem Losfah­ren fing sie an, am Radio zu spie­len und es lauter zu stel­len. Ich machte es wieder leiser und sagte, dass sie das Radio bitte nicht anfas­sen soll. Sie kann mich gerne fragen, aber das hier ist nicht ihr Auto. Nach einer Minute das glei­che Spiel, dies­mal brüllte ich sie schon fast an. Danach war erst­mal Ruhe.
An der Ystader Ecke Kopen­ha­ge­ner wollte ich die Haus­num­mer wissen. Sie antwor­tete erst über­haupt nicht, dann aber sagte sie: “Links.” Ok, also rein in die Sack­gasse.
Am Ende ange­langt dann: “Ich wollte aber nach Kopen­ha­gen, nicht in die Straße. Fahren Sie mich nach Kopen­ha­gen!”
“Mit dem Taxi nach Kopen­ha­gen? Wissen Sie, wie teuer das wird? Außer­dem werde ich Sie da ganz sicher nicht hinfah­ren.”
“Wollen Sie kein Geld verdie­nen? Fahren Sie mich nach Kopen­ha­gen!”
“Ich fahre Sie gerne zum Gesund­brun­nen, da stehen viele Taxis, viel­leicht finden Sie ja dort jeman­den, der nach Däne­mark fahren will.”
“Nein, fahren Sie zum Busbahn­hof. Ich nehme dann den Bus da hin.”
Nun war es schon eini­ges nach Mitter­nacht. “Ich glaube kaum, dass Sie dort um diese Zeit noch einen Bus finden.”
“Dann Alex­an­der­platz!” Also wendete ich. So genervt wie in diesem Moment war ich schon lange nicht mehr.
An der Ecke zur Gleim­straße rief sie plötz­lich: “Links rum!” Gleich­zei­tig versuchte sie, ins Lenk­rad zu grei­fen. Ich machte eine Voll­brem­sung und schrie sie an: “Jetzt ist Schluss. Zwölf Euro und dann raus hier!”
Sie sah mich entgeis­tert an: “Das war doch nur ein Scherz, wir können ja auch gera­de­aus weiter fahren.” Aber das war zu spät, mit ihr würde ich sicher nicht mehr weiter­fah­ren. Wider­wil­lig kramte sie 15 Euro aus ihrer Börse, warf sie mir entge­gen und brüllte: “Bah!” Dabei sah sie mich so giftig an, als wenn sie mich gleich ansprin­gen wollte. Dann stieg sie aus und schmiss die Tür hinter sich zu. Ich gab sofort Gas, falls sie es sich noch­mal anders über­le­gen würde.
Hundert Meter weiter wink­ten mich dann vier junge Leute, die auch zum Pots­da­mer Platz woll­ten. Wie sich unter­wegs heraus­stellte, waren es Dänen — aus Kopen­ha­gen.

print

Zufallstreffer

Weblog

Paul ist tot

Vor ein paar Stun­den erhielt ich hier einen Kommen­tar aus Öster­reich. „Du kennst mich nicht, aber ich dich ein biss­chen.“ Der da geschrie­ben hat, über­brachte mir eine Nach­richt, die mich merk­wür­di­ger­weise sehr trau­rig machte: Paul […]

3 Kommentare

  1. In manchen Momen­ten bin ich der Meinung, dass die viel geschol­tene Kommu­ni­ka­tion im Inter­net die einzige Möglich­keit hervor­ge­bracht hat, auf eine Story wie die obige zu reagie­ren:

    WTF?

  2. Tja, die gute Frau hat vermut­lich zu viele Geschich­ten über aben­teu­er­li­che Taxi­fahr­ten während des Flug-Chaos gehört und wollte einfach mal auch so was aufre­gen­des erle­ben ;-)

Hier kannst Du kommentieren

Deine Mailadresse ist nicht offen sichtbar.


*