Obdachlos

Obdach­losen­­heime gehö­ren nicht zu den schö­nen Gebäu­den. Genau wie ihre Bewoh­ner, die uns begeg­nen, wenn sie in der U‑Bahn »Motz« oder »Stra­ßen­fe­ger« verkau­fen oder die vor der Kauf­halle sitzen und betteln. Manch­mal trifft man sie auch uner­war­tet.
Nachts um zwei, ich wollte vor Schich­tende noch schnell das Taxi voll­tan­ken, an der Auto­bahn­ab­fahrt, um die herum es nur Gewerbe gibt. Um diese Zeit bin ich hier fast immer der einzige Kunde, anders aber vor ein paar Tagen.
Schon als ich ankam, stand ein Mann in ziem­lich verfetz­tem Mantel am Schal­ter. Da die Tanke nachts verschlos­sen ist, wird man nur durch diesen Schal­ter bedient. Nach dem Tanken stellte ich mich dazu, um zu bezah­len. Der Mann war noch nicht alt, viel­leicht 30 Jahre, bärtig, schmut­zig und sein linker Schuh war mit einem Tuch zusam­men­ge­bun­den. Auch sein Ruck­sack war sehr schmud­de­lig. Er trat zur Seite und ließ mich bezah­len. Als ich gerade wieder einstei­gen wollte, fragte er mich, ob es bis zur X‑Straße mit einer Kurz­stre­cke reichen würde. Mir war nicht klar, wieso er die etwa zwei Kilo­me­ter mit dem Taxi fahren wollte, schließ­lich war er ja offen­sicht­lich sehr arm. Er zeigte mir aber sofort die vier Euro und meinte, dass er auch vorher ausstei­gen würde, falls es teurer wird.
»Sind Sie über­all trocken?«, fragte ich. Das war nicht böse gemeint, sondern eine leid­volle Erfah­rung, weil viele Obdach­lose Alko­ho­li­ker sind und manche in die Hose machen.
»Ja, kein Problem.«
»Na, dann mal los.«
Mir war natür­lich schon klar, dass er dort zum Obdach­lo­sen­heim wollte, ansons­ten gibt es da nur Auto­werk­stät­ten und Büros. Auf dem Weg erzählte er mir, dass er in der Stadt die Zeitung »Stra­ßen­fe­ger« verkauft und dann mit der S‑Bahn gefah­ren ist. Weil sein Bein aber krank ist, kann er nicht laufen und hat für den halben Kilo­me­ter vom Bahn­hof zur Tanke schon 20 Minu­ten gebraucht. Und nun hat er zu große Schmer­zen. Der Bus fährt auch nur bis Mitter­nacht, es ist also wirk­lich eine Misere.
Vor dem Heim ange­kom­men hab ich ihm gehol­fen auszu­stei­gen. Der Ruck­sack mit den Zeitun­gen war noch ziem­lich schwer.
»War wohl keine gute Schicht, oder?«
»Doch, ich bin 19 Stück losge­wor­den, das ist sehr gut.«
Dann wollte er mir das Fahr­geld geben.
»Nee, behalte das mal, das kannst du besser gebrau­chen als ich.«
»Das ist aber lieb von dir. Vielen, vielen Dank!«
»Kein Problem, mich hat es nur ein paar Minu­ten gekos­tet.«
Er humpelte in das Heim und ich fuhr wieder los.

Genau einen Tag später traf ich ihn zufäl­lig auf einer meiner selte­nen U‑Bahn-Fahr­ten. Dies­mal war eine Frau dabei, die eben­falls sehr schmud­de­lig aussah, sie trug die Zeitun­gen. Der Mann erkannte mich sofort: »Das ist der Taxi­fah­rer von gestern, von dem ich dir erzählt habe!«
Und zu mir: »Schau, das ist meine Freun­din!« Beide strahl­ten sie eine unge­heure, ehrli­che Freude aus.
Mir wurde da wieder etwas klar. Einmal natür­lich, wie reich ich selber bin, mit dem eigent­lich weni­gen Geld, das ich verdiene. Aber auch, dass es sehr wich­tig ist, Menschen zu helfen, denen es dreckig geht. Selbst wenige Groschen oder Euro können für jeman­dem extrem wich­tig sein, der sonst fast gar nichts hat. Aber das Wich­tigste ist wohl, denje­ni­gen auch zu zeigen, dass man sie nicht ablehnt wegen der Äußer­lich­kei­ten. Keiner lebt gerne auf der Straße, fast niemand geht frei­wil­lig betteln. Zumal man dabei auf viel Ableh­nung stößt. Es ist nötig, diese Menschen zu respek­tie­ren und sie nicht als etwas Schlech­te­res zu betrach­ten.
Ich habe den beiden dann eine Zeitung abge­kauft und sofort kamen unab­hän­gig davon zwei Frauen dazu, eine kaufte eben­falls eine Zeitung, die andere gab ihnen etwas Geld. Auch das kann also anste­ckend sein.

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Zufallstreffer

Berlin

Gleisdreieck wird Park und Wohnviertel

Nach jahre­lan­gen Diskus­sio­nen, was mit dem großen Gleis­drei­eck­ge­lände gesche­hen soll, wurde gestern ein Vertrag unter­schrie­ben. Der Senat, das Bezirks­amt Frie­d­richs­hain-Kreu­z­­berg und die Firma Vivico als Eigen­tü­mer haben sich geei­nigt, das 62 Hektar große Grund­stück gemischt […]

8 Kommentare

  1. Das kann ich nur bestä­ti­gen. Es macht mir Freude diesen Menschen zu helfen und sei es nur mit weni­gen Cents. Sie haben noch ein ehrli­ches Lächeln.

  2. das mit dem “kann anste­ckend sein” kann ich auch bestä­ti­gen, ich gebe öfter­mal was auch mit dem Hinter­ge­dan­ken das dann andere viel­leicht auch auf die Idee kommen, und oft fuktio­niert das.

    eine Geschichte geht mir nicht mehr aus dem Kopf: vor einen Kauf­haus sah ich eine rela­tiv junge Frau mit einem Hund (Pitt­bull) und aller­lei Zeugs um sich rum die bettelte. Kurz über­legte ich ob ich Ihr was geben soll, habs dann aber erst­mal nicht gemacht (hatte in der U‑Bahn auch schon Jeman­den was gege­ben). Als ich aus dem Kauf­haus raus kam war sie noch da und sah auch zufäl­lig gerade in meine Rich­tung. Ich blieb stehn, und kramte nach meinem Geld und sah das ich null Klein­geld hatte, nur noch einen 20 € Schein. Ich wollte Ihr jetzt aber gerne unbe­dingt was geben, und den Schein von Ihr wech­sel lassen (falls sie es gekonnt hätte) war mir zu blöd. Aus meinen momen­ta­nen Gefüh­len heraus gab ich ihr die 20 € im Ganzen, und das gerne und von Herzen, hatte aber irgend­wie ein schlech­tes Gefühl dabei, so nach dem Motto: jetzt zeigst Du ihr auch noch, dass du einfach so 20€ wegschen­ken kannst, im Gegen­satz zu ihr, und stellst sie damit ja erst recht in die “Verlie­rer-Ecke”. Die junge Frau starrte mich einen Moment an und brach dann plötz­lich in ehrli­chen ströh­men­den Tränen aus, und machte Anstal­ten mich zu umar­men, zögerte aber, worauf­hin ich auf Sie zutrat und Sie umarmte und plötz­lich auch weinte. Der Pitt­bull leckte mir derweil die Hand. Ich war mit dieser Situa­tion in dem Moment völlig über­for­dert. Wir unter­hil­ten uns noch einen Moment, sie erzähle mir einige ihrer Erleb­nisse, dann verab­schie­de­ten wir uns und ich ging.
    Ich fühlte mich schlecht, irgend­wie schul­dig, als hätte ich mich frei­kau­fen wollen von Verant­wor­tung oder sowas, keine Ahnung.

  3. Ach wie schön das es neben Geld­geil­heit und Mach­be­ses­sen­heit auch noch “Engel” auf dieser Welt gibt.

    Schon arm das einer doch noch so “reichen” Gesell­schaft viel zu oft ein wenig Nächs­ten­liebe und Mensch­lich­keit fehlt. :-(

    Aro ich freue mich dich Freund nennen zu dürfen. :-)

  4. Man glaubt gar nicht, wie weit einen ein Euro von verein­zel­ten Perso­nen brin­gen kann. In einer Stunde schafft man 6 U‑bahnen… Im Sommer heißt das, in jeder Bahn einen Euro, sechs Euro in der Stunde… Im Winter teil­weise 2 Euro pro Bahn, 12 Euro die Stunde. Ich hör dann anstän­di­ger Weise auf, wenn ich das hab, was ich brauch… Weil unter Druck ist das wieder ne andere geschichte. ich hatte schon Situa­tio­nen, wo ich fast heulend, vor allem in der Anfangs­zeit, im Abteil stand. Aber mit der Zeit findet man Vertrauen und man entwi­ckelt Selbst­be­wusst­sein. Man darf sich nur nicht ärgern, wenn man mal 4 Stun­den fast umsonst unter­wegs war, hat es auch schon gege­ben. Aber dann ist es meist bei mir so, dass ich keine gute Laune habe und egal wie sehr ich lächel, die leute merken das einfach… Wenn ich so einen Tag erwi­sche, höre ich auf, aber das konnte ich mir nicht immer erlau­ben. Wenn man nix mehr übrig hat, muss man auf gedeih und Verderb etwas verdie­nen…

  5. Zu den 20 Euro. Ist mir auch schon passiert. Ich hab mich 10 mal bedankt und danach hab ich sofort aufge­hört, weil, warum soll ich ande­ren die Bahn wegneh­men, wenn ich gar nix mehr brauch? Und viel­leicht Leute zum 3. mal am Tag nerve, weil sie schon von ande­ren gefragt wurden. Und so ein Glück hat jeder einmal im Halben Jahr und es freut jeden und entlas­tet jeden. Und ich freu mich für jeden, dem so etwas passiert. Der Geber sollte kein schlech­tes Gewis­sen, sondern si9ch freuen dass er jeman­dem mal einen Tag rich­tig entlas­tet hat. Es hat nichts mit frei­kau­fen zu tun. Die Leute bemü­hen sich weitest­ge­hend, dann kann man sie auch mal beloh­nen. ;) Ich hab am Sonn­tag meinen Motz-Vorrat verschenkt, weil mich ein Kollege anquatschte und sagte, er hätte keine 4,20, um zum Nollen­dorf­platz zu fahren und sich neue zu holen. Beim ersten Tref­fen hatte ich keine dabei, beim zwei­ten Tref­fen schon, das war ne halbe Stunde später. Die 1,20 für 3 neue hab ich noch gehabt. Und ich hab ne Monats­karte, er nich.… Der hat sich auch gefreut… ich hab ihm im Grunde 5 Euro geschenkt…

  6. Ich habe das auch schon gemacht, aber vorm Super­markt mit Stras­sen­fe­ger. Ich habe mich als “leben­der Zeitungsständer/Universalhelfer” verstan­den, sei es wenn eine Einkaufs­tüte umge­kippt ist, ein Hund eines Kunden zu betreuen war, oder — der häufigste Fall — wenn jemand keinen Euro für den Einkaufs­wa­gen hatte. Ich hatte immer einen oder mehrere “Chips” in der Tasche, die ich verlie­hen (oder manch­mal auch verschenkt) habe. Ein mal ist mir dabei auch etwas wunder­vol­les passiert. Ich sah einen Mann, der einen Wagen brauchte, aber nichts zum rein­ste­cken hatte, und hab ihm sofort meinen Chip ange­bo­ten. Darauf­hin hat er sich freund­lich bedankt und mit mir kurz gere­det. Ich dachte mir nichts dabei. Und als er raus­kam, gab er mir einen 50-Euro-Schein und meinte, den Chip wolle er gern behal­ten. Ich war total happy und meinte: “Cool, davon kaufe ich mir neue Schuhe” (war im Dezem­ber, da sind die Leute erfah­rungs­ge­mäß am spen­da­bels­ten, und Schuhe konnte ich grad gebrau­chen), und er zog noch einen Fuffi raus und meinte: “Und auch ’ne neue Hose.” Nach diesem tollen Erleb­nis hab ich natür­lich auch “Feier­abend” gemacht.
    Ich bin froh, das inzwi­schen nicht mehr machen zu müssen, sondern ander­wei­tig “über die Runden” zu kommen — aber im Endef­fekt ist es trotz­dem menschen­ver­ach­tend, dass wir uns hier unsere Exis­tenz­be­rech­ti­gung “verdie­nen” müssen, und nur die Wenigs­ten das mit einer Tätig­keit machen können, die sie auch gerne und “frei­wil­lig” tun (also auch tun würden, wenn es dabei nicht ums Geld ginge). Und jeder, der sagt, im Tier­reich wäre das auch so, dem muss ich wider­spre­chen: Pflan­zen die man sich (als Tier) zum Essen sammelt, oder Tiere die man sich zum Essen erlegt, kosten alle kein Geld, sondern sind für alle zur freien Selbst­be­die­nung da!

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