Tempelhof – Mutter aller Flughäfen

85 Jahre lang diente der Flug­hafen Tempelhof der Berliner Luftfahrt und schrieb in dieser Zeit bewegende Geschichte. Im Oktober 2008 wurde der Flugbetrieb eingestellt, denn die Zukunft gehört dem neuen Flughafen „Berlin Brandenburg Willy Brandt“ (BER). Der Flughafen in Tempelhof ist für die Öffentlichkeit nun wieder geöffnet: als größter Park Berlins. Ein Rückblick in die Vergangenheit.

Jahrhunderte lang nutzten Bauern den sandigen Boden des Tempelhofer Feldes zum Ackerbau, bis Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. im Jahr 1722 das Gelände für sich entdeckte. Fortan fanden dort im Frühjahr große Militärparaden und Manöver unter den Blicken der königlichen Gesellschaft statt. Die ansässigen Bauern waren keineswegs erfreut, denn Tausende von Soldaten und Schaulustigen zertrampelten die Erde. Nach längeren Verhandlungen verkauften einige der Tempelhofer Landwirte dem Militärfiskus ihre Böden.

Als Ort der Luftfahrt wird das Tempelhofer Feld erstmals 1883 genutzt: Die Luftschifferabteilung der Berliner Garnison untersucht Gasballons auf ihren militärischen Nutzen. Das für Flugversuche gut geeignete Gelände zieht in den Folgejahren immer mehr Zivilisten an, die ihre selbst konstruierten Flugmaschinen testen oder einem breiten Publikum vorführen. So kommt auch der amerikanische Flugpionier Orville Wright im Jahr 1909 nach Tempelhof. Tausende Berliner werden Zeuge der ersten Motorflüge in Deutschland.

Nach dem ersten Weltkrieg verpflichtete sich Deutschland in den Versailler Verträgen, abzurüsten. Die reduzierte Armee benötigte das große Paradefeld in Tempelhof nicht mehr. Eine visionäre Idee des Berliner Stadtbaurats Leonhard Adler setzte sich durch: Auf dem Tempelhofer Feld sollte ein Zentralflughafen entstehen, der die beiden weit vor der Stadt liegenden Flugplätze Staaken und Johannisthal ersetzt. Zügig begannen die notwendigen Arbeiten zum Flughafenbau, die großen Höhenunterschiede des Geländes wurden eingeebnet. Da nicht genug Erde als Füllmaterial zur Verfügung stand, behalf man sich kurzerhand mit Berliner Hausmüll, der in 18.000 Fuhren antransportiert und eingearbeitet wurde.

Das erste Bauwerk auf dem neuen Flugplatz war ein Wärterhaus mit der selbstbewussten Aufschrift „Flughafen Berlin“. Zur feierlichen Eröffnung am 8. Oktober 1923 standen immerhin schon zwei hölzerne Flugzeugschuppen und ein provisorisches Verwaltungsgebäude. Mit den beiden Fluglinien Aero Lloyd und Junkers-Luftverkehr konnten wagemutige Passagiere nach München und Königsberg fliegen. Insgesamt 150 Fluggäste nutzten im ersten Jahr das neue Fortbewegungsmittel. Fliegen war zu dieser Zeit noch Abenteuer und des Öfteren mit Unannehmlichkeiten verbunden. Schlechte Wetter- und  Sichtverhältnisse zwangen Piloten zu außerplanmäßigen Landungen auf Äckern oder Wiesen. Das heftige Schaukeln der kleinen Maschinen ließ empfindliche Passagiere zu den bereitgestellten Tüten greifen, die nach Benutzung einfach aus dem Fenster geworfen wurden.

Da der geringe Flugverkehr noch nicht annähernd die Kosten des provisorischen Flugplatzes deckte, wurde auf ein Mittel zurückgegriffen, das auch schon andere Flugplätze angewendet hatten: Mit Flugschauen sollten die Besuchermassen angelockt werden. Dieser Plan ging  zumindest am Anfang nicht auf. Die schlechte Wirtschaftslage und der recht hohe Eintrittspreis machten einen Strich durch die Rechnung. Nach wie vor stand die Finanzierung des  Flughafens auf tönernen Füßen. Mit der 1924 gegründeten Berliner Flughafen-Gesellschaft änderten sich die Vorzeichen. Geldgeber zur Finanzierung des Flughafens wurden gefunden: Neben der Stadt Berlin trat nun auch das Deutsche Reich und kurze Zeit später der preußische Staat in die Gesellschaft ein. Mit einem Gesamtkapital von vier Millionen Reichsmark konnte nun zügig in den Ausbau investiert werden.

In den 20er Jahren entwickelten Flugzeugkonstrukteure größere, schnellere und komfortablere Maschinen, die das Fliegen für ein breites Publikum attraktiv machten. Auch die fein gekleidete Dame von Welt nutzte nun das neue Verkehrsmittel. Der Ausstieg allerdings erfolgte auch jetzt noch wenig komfortabel über Leitern. Nicht nur in der Luft, sondern auch am Boden sollte der Komfort für Passagiere erhöht werden. Ein neues Empfangsgebäude mit Restaurant und Hotel, entworfen von den Architekten Paul und Klaus Engler, entstand in zwei Bauabschnitten 1926/27 und 1928/29. Es bot den Passagieren deutlich besseren Komfort als die bisherigen Abfertigungsbaracken.

Nachdem sich die beiden konkurrierenden großen Fluggesellschaften Junkers Luftverkehr und Aero Lloyd 1926 zur Deutschen Luft Hansa zusammenschlossen, wurde Tempelhof zum Heimatflughafen der neuen Fluggesellschaft. Schon im Gründungsjahr konnte die Luft Hansa (damals noch auseinander geschrieben) den Fluggästen ein dichtes Streckennetz in viele deutsche Städte bieten. Mit Umsteigen oder Zwischentankstopp waren von Berlin auch ausländische Ziele wie London, Paris oder Moskau zu erreichen. Ebenfalls im Jahr 1926 wurde die weltweit erste Nachtflugstrecke eröffnet: Tempelhof-Königsberg. Nicht nur der Luftverkehr boomte, sondern auch die in Tempelhof veranstalteten Flugschauen. Die Berliner Bevölkerung strömte in Scharen auf das Flughafengelände, um Kunstflieger und Pioniere wie Gerhard Fieseler, Ernst Udet oder Elly Beinhorn zu bewundern. Irrwitzige Kunststücke in der Luft, neu entwickelte Flugzeuge und mutige Fallschirmspringer faszinierten die Zuschauer. Noch weiter entfacht wurde die Begeisterung fürs Fliegen, als Charles Lindbergh 1927 erstmals den Nordatlantik überquerte. Amerika und Europa sind nun mit dem Flugzeug verbunden! Die Welt wird kleiner.

1933 begann eine neue Zeitrechnung, die Nationalsozialisten waren an der Macht. Tempelhof war inzwischen europäisches Drehkreuz und größter Passagierflughafen Europas, viele internationale Flüge begannen oder endeten in Berlin. Hitlers Pläne für Tempelhof spiegelten den Größenwahn des NS-Regimes wider: ein riesiger „Weltflughafen“ für die „Welthauptstadt Germania“ sollte entstehen, der ankommenden Fluggästen allerhöchsten Respekt einflößt. Ebenso war angedacht, den Flughafen als „Luftstadion“ zu nutzen, um künftige Propagandaveranstaltungen wie Reichslufttage abhalten zu können. Der mit dem Bau beauftragte Architekt Ernst Sagebiel legte 1936 ein gewaltiges Konzept mit visionären Ideen vor: ein riesiger hufeisenförmiger Komplex, der erstmalig die Möglichkeit schaffte, Fluggäste, Gepäck, Post und Fracht auf unterschiedlichen Ebenen abzufertigen. Eine weitere Neuheit war das Dach des Flugsteigs. Flugzeuge konnten direkt darunter bis zum Terminal rollen, so dass die Passagiere auch bei schlechtem Wetter trocken zum Flieger gelangten. Diese revolutionären Ideen legten das Fundament für moderne Flughafenkonzepte. Stararchitekt Sir Norman Foster bezeichnete den Flughafen Tempelhof deshalb einmal als „Mutter aller Flughäfen“.

Durch genormte Fertigbauteile wuchs das monumentale Flughafengebäude in nur einem Jahr in die Höhe und war in Teilbereichen fertig gestellt, als im September 1939 der Zweite Weltkrieg begann. Auch während des Krieges flogen Passagiermaschinen noch einige europäische Länder an, zunehmend wurde Tempelhof aber für die Rüstungsproduktion entdeckt. Das massive Stahlbetongebäude bot Schutz vor den Luftangriffen der Alliierten, so dass Teile der Produktion von Kriegsflugzeugen nach Tempelhof verlegt wurden. Den gefürchteten Sturzkampfbomber Ju87 und später die FW190 montierten Deutsche und rekrutierte Zwangsarbeiter in tausendfacher Anzahl. Im April 1945 nahmen sowjetische Soldaten den kaum beschädigten Flughafen ein und übergaben ihn kurze Zeit später den Amerikanern. Schnell einigten sich die Alliierten auf die Wiederaufnahme des Flugverkehrs in Tempelhof. Drei Luftkorridore von Berlin nach Hamburg, Hannover und Frankfurt wurden eingerichtet, um den Westalliierten den freien Zugang zu ihrem Teil Berlins zu ermöglichen. Diese Korridore sollten kurze Zeit später eine wichtige Rolle in der Geschichte Berlins spielen. Nachdem die westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich in Westberlin die neue D-Mark als Währung einführten, verhängte die sowjetische Macht im Juni 1948 eine Blockade über die Stadt. Auf Straßen und Schienen kamen keine Transporte mehr an, Berlin war abgeschnürt. Die einzige Lösung: Die Bevölkerung über den Luftweg mit Lebensmitteln, Brennstoff und weiteren Gütern zu versorgen. Eine gigantische Luftbrücke unter dem Codenamen „Operation Vittels“ startete am 26. Juni 1948. Alle nicht in Europa benötigten Transportflugzeuge zogen die West-Alliierten ab, um Westberlins Freiheit zu retten. Die unvorstellbare Menge von 2,3 Millionen Tonnen Fracht brachten die Flugzeuge in über 270000 Flügen nach Tempelhof und den unter französischer Kontrolle stehenden Flughafen Tegel. Für die Berliner war schnell ein Begriff für die vielen anfliegenden Maschinen geboren: „Rosinenbomber“.

In den 50er und 60er Jahren entwickelte sich Tempelhof zum „Tor zur Welt“, viele DDR-Flüchtlinge reisten über den Flughafen in die Bundesrepublik ein. Auch Prominente waren nun öfters in Tempelhof zu Gast: Ob Filmstars, die zu den Berliner Filmfestspielen anreisten oder Politiker, die die geteilte Stadt aufsuchten. Mit der Ära der Düsenflugzeuge begann der Niedergang Tempelhofs, die kurzen Start- und Landebahnen konnten von den Jets nur eingeschränkt genutzt werden. Deshalb verlegte man 1974 den Berlin-Flugverkehr zum neu erbauten Flughafen Tegel-Süd. Der Mauerfall 1989 bescherte Tempelhof noch einmal eine kurze Renaissance bis Mitte der 90er Jahre, aber die glanzvollen Zeiten waren vorbei.

Am 30. Oktober 2008 wurde der Flughafen geschlossen, seit Mai 2010 wird das große Gelände als Park genutzt. Viele Ideen gibt es bereits für weitere Nutzungsmöglichkeiten. Eins jedenfalls steht fest: Das gesamte Flughafengebäude, immer noch eins der größten Bauten Europas, wird nicht abgerissen. Es steht unter Denkmalschutz.

Torsten Bachmann
Alle Rechte beim Autor
Fotos: © Archiv Berliner Flughäfen

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